Deutsche Architektur als Exportgut:Im Reich der Mittel

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"Planned in Germany": In Izmir, Aserbaidschan, Peking, Princeton oder Sydney wird nach deutschen Architekturplänen gebaut.

Von Gerhard Matzig

Dresden. Ein Tag im Oktober. Der Architekt Volkwin Marg ist Juror eines Baukulturpreises. In kleiner Runde schreitet er den Parcours der eingereichten Projekte ab. Sein Mobiltelefon klingelt. Meinhard von Gerkan ruft aus Schanghai an. Dort wurde soeben, etliche tausend Kilometer entfernt, eine neue GMP-Filiale eröffnet.

GMP-Architekten haben für das Internationale Messe- und Kongress-Zentrum Nanning in China den ersten Preis gewonnen und anschließend realisiert. (Foto: Foto: GMP-Architekten)

Das G steht für Gerkan und das M für Marg. Das P im größten und erfolgreichsten deutschen Architekturbüro, das in Hamburg ansässig und zunehmend in der Welt zuhause ist, das P verweist dagegen auf die "Partner" - und nicht auf "Peking", wie die Konkurrenz in einer Mischung aus Neid und Respekt gerne mutmaßt.

Seit Jahren erobern sich die GMP-Architekten im Reich der Mitte und der Mittel die Baustellen. Drei Dutzend Ausschreibungen konnte das Büro mittlerweile für sich entscheiden. Chinesische Projekte wurden oder werden also gewissermaßen nach Hamburger Plänen realisiert, darunter sogar das Nationalmuseum in Peking. "Ja", sagt Marg am Telephon zu Gerkan, "dann also noch einen schönen Tag in Schanghai."

München. Ein Tag im August. Der aus Regensburg stammende, junge Architekt Sebastian Knorr ist auf der Durchreise. Er kommt aus Los Angeles, wo er das Büro "tec Architecture" gegründet hat. Jetzt fliegt er über München, wo er ebenfalls Mitarbeiter trifft, nach Dubai. Dort würden demnächst ein paar Hochhäuser gebaut werden - und wer weiß, vielleicht ergattert man ja auch dort den einen oder anderen Auftrag. "Ja", sagt der Reporter in München zu Knorr, "dann also noch einen schönen Tag in Dubai."

Zwei Momentaufnahmen der Architekturszene, die in ihrer Genese unvergleichbar, aber dennoch typisch sind. GMP dominieren seit Jahren die deutschen Rankinglisten der Baukunst, von Sebastian Knorr wird man noch hören. Beiden Büros gemeinsam ist: Die Telefonkosten sind hoch, die Fremdsprach-Hemmschwellen niedrig - und eine Baustelle ist eine Baustelle ist eine Baustelle.

Ob in Izmir Stadtplanung zu betreiben ist oder in Aserbaidschan Golfplätze anzulegen sind, ob in Peking eine Schule gebaut, in Princeton ein Universitätsgebäude errichtet oder in Sydney ein Museum erweitert wird: All dies geschieht derzeit nach deutschen Architekturplänen. Manchmal auch mit deutschem Baumanagement. Vor allem im asiatischen Raum jenes gigantischen Bau-Booms, der bereits ein Drittel der Stahl-Weltproduktion für sich beansprucht, entstehen Häuser, ja sogar ganze Städte, denen man im Grunde einen kleinen, weißen Aufkleber wie ein Gütesiegel verpassen könnte: "Planned in Germany".

Deutschland entwickelt sich seit einiger Zeit zu einer höchst erfolgreichen, im internationalen Wettstreit anerkannten und bedeutungsvollen ArchitekturExportnation. Wobei das Exportgut aus Ideen, Analysen und Plänen besteht, aus Formerfindungen und Ingenieursleistungen. Und manchmal auch aus einer wahren Schau: Auf der weltweit größten Leistungsschau des Bauens, auf der Architekturbiennale in Venedig, die eben noch zu erleben war, wusste der deutsche Pavillon - nach Jahren des nationalen Darbens - die Fachwelt durch einen wachen Zukunftsgeist zu inspirieren.

Nach Jahren, in denen wir - teils bewundernd, teils verzweifelnd - zu den architektonischen Höchstleistungen und Ästhetik-Sensationen der Niederländer, Japaner oder Franzosen aufgeblickt haben, während wir der eigenen zeitgenössischen Baukunst misstrauisch gegenüberstanden (und in 99-Meter-München oder Stadtschloss-Berlin noch immer gegenüberstehen), ist es offenbar an der Zeit, das internationale Interesse an unseren baukulturellen Wertschöpfungen der Gegenwart auch im eigenen Land anzuerkennen.

Deutsche Architekten gründen Büros in Riad und Dependancen in New York, sie bauen Bürobauten in Montenegro und Wohnsiedlungen in Nigeria. Nach Jahrzehnten der Innerlichkeit und einem fraglosen Defizit an Weltläufigkeit, Draufgängertum und Risikofreude verstehen sich immer mehr deutsche Architekten als selbstbewusste Dienstleistungs-Exporteure in eigener Sache.

Vergessen ist der kleinliche Architektengroll, der dem Briten Norman Foster und dessen Umbauplänen für den Reichstag in Berlin entgegenschlug. Damals hieß es, in keinem Land der Welt würde man sich das Parlament von einem "ausländischen Architekten" bauen lassen. Inzwischen bewerben sich auch deutsche Architekten in aller Welt um prestigeträchtige "Staatsaufträge". Oft mit Erfolg.

Und auch abseits solch emotional aufgeladener Projekte gilt das German Engineering der Baukunst etwas. Regine Leibinger und Frank Barkow (Berlin) errichten zum Beispiel den Neubau der Architekturfakultät für die Cornell University in Ithaca. Heinle, Wischer und Partner (Stuttgart) realisieren das Algerian Forensic Sciences Institute in Algier. Christoph Ingenhoven (Düsseldorf) baut die European Investment Bank in Luxemburg.

Albert Speer schließlich plant in Anting, 25 Kilometer vom Zentrum Schanghais entfernt, eine ganze Stadt: die "Internationale Automobilstadt". Auf einer Fläche von zehn Quadratkilometern sollen Produktions-, Ausstellungs-, Handels-, Ausbildungs-, Management- und Unterhaltungsbereiche rund um das Auto entstehen, dazu Museen und Freizeiteinrichtungen sowie eine komplette Wohnstadt für mindestens 30 000 Einwohner.

Kein Wunder also, dass Albert Speer einer der Paten von "Nax" ist. Nax ist das "Netzwerk Architekturexport", das die Bundesarchitektenkammer dankenswerterweise gegründet hat, um "grenzüberschreitend tätigen deutschen Architekten den Weg zu neuen Märkten zu öffnen". Am kommenden Dienstag wird in Berlin der neue BAK-Ratgeber "Architekturexport" vorgestellt. Dieser Ratgeber verdankt sich auch einer Forsa-Studie, wonach deutscher Architektur im internationalen Maßstab "technische und funktionale Perfektion", aber auch - unerhört! - "Innovation" attestiert wird.

Das ist nun wirklich eine Innovation, galt es doch bislang aus deutscher Kritikersicht als ausgemacht, dass deutsche Architektur gut, solide, teuer und hoffnungslos banal sei. Tatsächlich findet man das Kennzeichen D der Baukultur, wenn man es in seiner realen Varianz auf irreale Gemeinplätze partout reduzieren möchte, eher unter der Rubrik "Nachhaltigkeit" - als unter dem Begriff "Spektakel".

Aber gerade die ingenieurstechnischen Aspekte markieren in Zeiten, in denen sich die globalistische Architektur angesichts ökologischer und ökonomischer Realitäten die nun wirklich allerletzten und allersinnlosesten Gefechte formaler Neuerungssucht liefert, einen echten Standortvorteil "D". Das Bauen für die Zukunft muss man ernst nehmen. Also scheint die deutsche Neigung zum Sachlichen gerade recht zu kommen.

Natürlich ist es nicht so, dass die Architektur in ihrer Geschichte als "Mutter aller Künste" (Vitruv) nun zum ersten Mal Mobilität demonstriert. Reisende Baumeister gab es schon in der Antike. Seit jeher haben sich die Kulturen auch auf dem Terrain des Architektonischen ausgetauscht. Manchmal lassen sich entlang bestimmter Reiserouten bestimmte Baudetails oder Konstruktionsprinzipien aufzeigen, die uns wie Gästebucheintragungen wandernder Architekten vorkommen.

Die Evolution der Kommunikation und die Vereinheitlichung der Baustandards haben Planungsimport und -export allerdings dramatisch bis in die Neuzeit hinein beschleunigt. Nur Deutschland hat sich - in der mittelbaren Gegenwart zumindest - kaum daran beteiligt. Statt Haus-Visionen haben wir lieber Hummelfiguren und Heimeligkeitsversprechen exportiert.

Das war nicht immer so - aber nicht immer auch aus erfreulichen Gründen. In den NS-Jahren 1933 bis 1945 ging praktisch das ganze "Bauhaus" als einzigartige Versammlung baukultureller Avantgarde ins Exil: Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius, Erich Mendelsohn, Hannes Meyer oder Ernst May verließen Deutschland - und eroberten dafür die Bauwelt.

Böse amerikanische Kritiker behaupten immer noch, Mies van der Rohe habe sich seinen sparsamen, höchst reduzierten Baustil ("less is more") nur deshalb angeeignet, weil er kaum Englisch konnte - und deshalb möglichst wenig erklären wollte. Insofern wäre es fast schade, wenn immer mehr deutsche Architekten immer besseres Chinesisch oder Arabisch sprächen.

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