Degler denkt: Finanzkrise:Pfeifen im Dunkeln

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Die internationale Finanzmarktkrise überfordert politische Allrounder und Spezialisten. Doch die Branche muss zivilisiert werden.

Dieter Degler

Senator John McCain, der Präsident des mächtigsten Landes der Erde werden möchte, verfügt in der Wirtschaftspolitik, speziell im Finanzwesen und ganz speziell hinsichtlich der Krise dieser Branche, über eng begrenzte Kompetenz. Vor einer guten Woche erklärte er, der Staat dürfe die mindestens 85 Milliarden Dollar teuren Folgen des Missmanagements beim größten amerikanischen Versicherer AIG nicht dem Steuerzahler aufbürden. Kurz darauf, als in den USA der Sozialismus für Reiche entdeckt und AIG verstaatlicht wurde, um den Konzern vor der Pleite retten, fand er die Aktion völlig in Ordnung.

Und wahrscheinlich wird er auch die revolutionäre amerikanische Finanzpolitik nicht verurteilen, die innerhalb von Tagen mehr marode Versicherungen, Banken und Immobilienfinanzierer übernahm, verkaufen oder in Konkurs gehen ließ, als sich selbst stramme Stamokap-Ideologen in ihren kühnsten Träumen ausmalen. Denn McCain - und darin steht ihm sein demokratischer Rivale Barrack Obama kaum nach (er hält nur geschickter den Mund) - hat wie der gesamte Rest der Welt nicht die geringste Ahnung von dem, was die Finanzkrise noch an schwarzen Billiardenlöchern birgt und wie sie, wenn überhaupt, bewältigt werden könnte.

Das Ärgerliche daran ist, dass genau die Leute, unter deren Augen das Unheil seinen Lauf nahm, heute schon wieder so tun, als hätten sie alles unter Kontrolle. Und bereits morgen sollen und wollen sie jenes Vertrauen in die Finanzmärkte wieder herstellen, das seit dem Untergang der Investmentbank Bear Stearns im März erdrutschartig verloren ging.

Vorneweg marschiert derzeit US-Finanzminister Henry Paulson. Er schnürte das 700-Milliarden-Dollar-Paket, mit dem die Washingtoner Regierung weiteren Banken ihre faulen Kredite abkaufen will, und wurde, jedenfalls für kurze Zeit, als finanzpolitischer Messias gefeiert. Erst als dem Publikum bewusst wurde, dass ausgerechnet Paulson als Chef der Investmentbank Goldman Sachs genau jene finanztechnischen Schummelprodukte in die Märkte drückte, welche das Kreditgewerbe nun ausbluten lässt, und dass am bitteren Ende Steuerzahler und Verbraucher belastet werden, legte sich die Euphorie wieder.

Der Steuerzahler als Ausputzer

Ähnliche Skepsis hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit ist auch gegenüber Angela Merkel angebracht, wenn sie erklärt, hierzulande sei alles in Butter. Die Finanzmarktkrise sei ein amerikanisches Thema, kein europäisches und schon gar kein deutsches. IKB-Desaster? KfW-Panne? Schieflage von Bayerischer Landesbank und Sachsen-LB? Alles Peanuts offenbar. Der Steuerzahler wird's schon richten - müssen.

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In Wahrheit pfeift die Kanzlerin im Dunkeln. Denn niemand vermag derzeit zu sagen, wen der Strudel aus Schummel-Hypotheken und Derivate-Blasen noch verschlingen wird. Reichen zwei Billiarden Dollar in den USA oder werden es zwanzig? Folgt auf die Hypothekenkrise die Kreditkartenkatastrophe, weil schon seit Jahrzehnten niemand mehr prüft, ob jemand die Plastikgeld-Schulden auch begleichen kann? Wieviel haben die Treasurer und Finanzvorstände in anderen Branchen verzockt, auf die gerade niemand so genau schaut wie auf die Banken? Kann Europa stehen, wenn die US-Finanzmärkte wackeln oder kollabieren? Oder bekommen wir, wie Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy glaubt, in Zeiten globaler Verflechtungen doch mehr ab vom Wall-Street-Hurrikan, als Kollegin Merkel hofft?

Fakt ist, dass weder Paulson noch Steinbrück, kein Ackermann, kein Buffet und kein Soros beziffern kann, wie hoch die Risiken noch sind. Sicher ist auch, dass die Bewältigung der Krise extrem teuer wird. Der wirtschaftliche Schaden beim Scheitern der Rettungsbemühungen wäre mutmaßlich allerdings noch schlimmer. Denn ohne funktionierendes Finanzsystem gibt es keine Kredite mehr für Hauskäufer, Handel, Gewerbe und Industrie.

Und deshalb ist das einzige, was sich derzeit lernen lässt, dies: Dass eindeutige, möglichst globale Regulierungsmechanismen für die Branche entwickelt werden müssen. Zwar gilt das Geldgewerbe schon heute als stark reglementiert. Und manche Analysten interpretieren die Entwicklung jener hochkomplexen und intransparenten Finanzprodukte, welche die Krise mitverursacht haben, als kreative Branchenreaktion auf diese strengen Vorschriften.

Dennoch ist richtig, was emeritierte Staatslenker wie Helmut Schmidt fordern: Eine Weltfinanzkonferenz müsse einerseits den maßlosen Wildwest-Kapitalismus eindämmen, in dem von Investoren vorgegebene Effizienz- und Renditekennzahlen, Restrukturierungsketten und Übernahmeoptionen wichtiger geworden sind als ordentliche Firmen, deren Produkte und Angestellte und ehrbare Kaufleute kaum noch vorkommen. Und diese Instrumente müssten den Finanzinstituten andererseits so viel Beweglichkeit lassen, dass sie ihre Rolle im Wirtschaftssystem verantwortungsvoll und erfolgreich ausfüllen können. Kommen Märkte und Menschen diesmal mit einem blauen Auge davon, wären solche Kontrollinstrumente immerhin ein Gewinn. Was geschieht, wenn es anders ausgeht, hat Kurzzeit-Messias Paulson auch schon prophezeit: "Dann gnade uns Gott."

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