Boom bei Börsengängen:Europa führend bei Neuemissionen

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Selbst der Rekord des Boomjahres 2000 wackelt bereits: Nach kräftigen Kurssteigerungen an den Börsen wird es demnächst auch einen Höchststand an Aktienemissionen an den internationalen Märkten geben. Der Emissionsboom schäumt dabei in Europa höher als in den USA.

Gerd Zitzelsberger

Wenn die Hausse anhält, wird bis Jahresende noch mit einer Flut weiterer Börsenneulinge gerechnet.

Einer der größeren Börsenkandidaten in diesem Jahr ist der russische Stahlrohr-Hersteller Severstal. Das Unternehmen will Aktien in London anbieten. (Foto: Foto: AFP)

,,Unsere Pipeline ist so gefüllt wie nie zuvor'', sagt Luis Vaz-Pinto, der bei der Investmentbank JP Morgan das Geschäft mit Aktienemissionen leitet.

Bei der Konkurrenz von Goldman Sachs, dem weltweiten Marktführer in diesem Bereich, vermeidet man zwar das Wort ,,Rekord'' - möglicherweise um keine Erinnerungen an den letzten Boom und den Absturz hinterher zu wecken. Aber auch Christoph Stanger, der für die Bank in London das Emissionsgeschäft im deutschsprachigen Raum leitet, spricht von ,,einem sehr starken Jahr''.

Nach Angaben des Informationsanbieters Dealogic haben die weltweiten Börsengänge in den ersten neun Monaten ein Volumen umgerechnet 114 Milliarden Euro erreicht. Dies entspricht einem Anstieg um 44 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Neuer Rekord

Nimmt man die so genannten Zweitplazierungen und Wandelanleihen hinzu, dann erreichte die gesamte Primärmarkt-Aktivität bei Aktien in den ersten neuen Monaten sogar ein Volumen von umgerechnet 387 Milliarden Euro. Dieser Betrag liege nicht nur um 25 Prozent über der Vorjahreszahl sondern bedeute auch einen neuen Rekord.

Erstmals schäumt der Emissionsboom dabei in Europa höher als in den USA. Mit knapp 58 Milliarden Dollar (+61 Prozent) erreichten hier die Börsengänge in den ersten neun Monaten laut Dealogic 40 Prozent des weltweiten Volumens an Erstplatzierungen. Das Geschäft konzentriert sich dabei in erster Linie auf London. Das Volumen an der Themse dürfte in diesem Jahr höher liegen als das der beiden größten US-Aktienbörsen, Nyse und Nasdaq, zusammengenommen.

Regelverschärfung in den USA

Den wesentlichen Hintergrund dafür bildet die Regelverschärfung für in den USA notierte Firmen, zu der es nach der Enron-Pleite durch den Sarbanes-Oxley Act gekommen ist. Für ein kleineres Unternehmen koste es dreimal so viel, die amerikanischen Börsenvorschriften zu erfüllen wie die britischen, heißt es am Markt.

Mancher Beobachter registriert den London-Boom dennoch mit gemischten Gefühlen. Denn oft handelt es sich dabei um Zweitnotierungen russischer oder asiatischer Unternehmen, die ein hohes Emissionsvolumen aufweisen, aber hinterher wenig liquide sind. Schon jetzt gilt etwa die Deutsche Börse im Durchschnitt als liquiderer Markt als die Londoner Börse.

Zu spüren ist der Börsenboom mittlerweile auch auf dem europäischen Festland: An der Vierländerbörse Euronext gab es in den ersten zehn Monaten 105 Erstplatzierungen mit einem Volumen von zusammen 13,7 Milliarden Euro. Auch in Deutschland hat sich das Emissionsgeschäft erheblich verstärkt.

Marktklima stark verbessert

In den ersten zehn Monaten gab es - ohne den unregulierten Freiverkehr gerechnet - 88 Börsengänge. Im Rekordjahr 1999 waren es 168 - doch dieser Zahl weint angesichts der vielen Flops niemand eine Träne nach. Ursache des aktuellen Booms ist zum einen, dass sich das Marktklima für die Emittenten stark verbessert hat.

So ist etwa der europäische Stoxx-600-Index seit Jahresbeginn 2005 um 41 Prozent gestiegen und der amerikanische Dow Jones pendelt um Rekordwerte. Viele Börsengänge des bisherigen Jahresverlaufs haben sich auch für die Erstzeichner als erfolgreich erwiesen.

So liegt etwa die Notierung bei der Industrial & Commercial Bank of China (ICBC), der bislang weltweit größten Emission, derzeit um 17 Prozent im Plus. Auch beim größten deutschen Börsengang, der Wacker AG, kommen die Erstzeichner nach einer Zitterpartie jetzt wieder auf einen Gewinn von gut 15 Prozent. Bei anderen Kandidaten gibt teilweise allerdings auch herbe Verluste.

Echtes Boomjahr

Angesichts der schieren Masse an Börsenkandidaten sprechen Experten allerdings von einem echten Boomjahr. Die Gründe dafür liegen auch in den Privatisierungen in Russland, China und einigen anderen Ländern.

Nicht zuletzt treiben reichliche Liquidität beziehungsweise volle Kassen bei Investmentfonds, Hedge-Fonds und Unternehmen den Emissionsboom. ,,Das Kapital, das zu Verfügung steht, ist enorm'', sagte Stanger, und Vaz-Pinto berichtet: ,,Investoren zu finden, ist an sich überhaupt kein Problem.''

Die Gunst der Stunde wollen in den nächsten Wochen unter anderem die TMK, der größte Stahlrohr-Hersteller Russlands, der weltgrößte Stromproduzent UES oder der ebenfalls russische Stahlriese Sverstal nutzen. In Japan dürfte es mit Aozora zum größten Börsengang seit 1998 kommen.

"Gute Resonanz"

In den USA soll am 17. November die Rohstoffbörse Nymex erstmals selbst notiert werden, und Time Warner will eine Tochter auf den Markt bringen. In Deutschland realisiert die Biotechnologie-Firma Wilex ihre Börsenpläne; am Montag soll die Aktie erstmals notiert werden: ,,Wir sind auf gute Resonanz gestoßen'', heißt es auch hier.

© SZ vom 07.11.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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