Börsenoma:"Kai Pflaume hat keine Ahnung"

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Wie eine 84-Jährige erfolgreich an der Börse gewinnt und damit nicht nur sich selbst glücklich macht.

Christoph Hickmann

Sicher, man könnte es so sehen, dass es im Fall von Ingeborg Mootz vor allem um Zahlen geht. Um die 1000 Aktien am Anfang, die 60.000 Mark wert waren und recht schnell zu 2000 neuen Aktien oder 155.000 Mark wurden, aus denen sie wiederum 4350 Aktien machte, wofür sie 6684 Mark Dividende kassierte, bevor dann nach vielen weiteren Zahlen die halbe Million stand.

In Euro. Johannes B. Kerner hatte Ingeborg Mootz vor einigen Monaten ins ZDF eingeladen, da ging es vor allem um diese Zahlen. Neben ihr saßen der Schauspieler Maximilian Schell, der Moderator Kai Pflaume und die boxenden Klitschko-Brüder, und Kerner ließ sich vorrechnen, wie viel Geld die 84-Jährige nun an der Börse gemacht hat.

Die Anwesenden lächelten damals nachsichtig, als sie ihnen erzählte, dass die Zahlen ja nicht so besonders seien, weil jeder an der Börse sein Geld machen könne, wenn er nur wolle. Aber das war nicht so interessant wie die Zahlen, außerdem klang es wohl zu einfach, um wahr zu sein. Aber im Fall von Ingeborg Mootz nur über die Zahlen zu sprechen, auch das wäre zu einfach.

Es beginnt mit einem Streit

Hat man begriffen, worum es Ingeborg Mootz geht, dann sind die Zahlen nicht mehr so wichtig. Es geht ihr um Sätze wie: "Ich will die Leute aus der verfluchten Armut befreien", was man erst einmal witzig finden mag aus dem Mund einer alten Dame aus Gießen. Aber diese Dame hat durchaus eine Mission.

Bevor sie diese entdeckte, hat Ingeborg Mootz, geboren in Wilhelmshaven, die Volksschule besucht, danach keinen Beruf gelernt und jahrelang die kranke Mutter gepflegt. Sie hat dann geheiratet und eine Tochter geboren.

Ihr Mann wurde Prokurist, sie blieb Hausfrau, und Ende der siebziger Jahre gab es diesen Streit, an dessen Ende der Ehegatte zu ihr sagte, sie sei zu dumm zum Geldverdienen. Woraufhin Ingeborg Mootz dachte, dass sie es ihrem Mann schon noch zeigen werde.

Sie ließ sich in drei Wochen zur Vermögensberaterin ausbilden und verdiente damit auch tatsächlich Geld. Sie wurde dann aber sehr lange sehr krank und hatte die Sache wieder drangegeben, als ihr Mann 1997 starb und ihr die 1000 Aktien hinterließ, mit denen alles wieder anfing, an einem Punkt, an dem für viele alles so gut wie vorbei ist.

Ingeborg Mootz wollte nun wissen, ob man aus den Aktien nicht mehr machen könnte. Neun Jahre später hat sie die halbe Million Euro, außerdem eine Visitenkarte, auf der "Keine Angst vor Aktien" steht. Und sie hat inzwischen viele Verehrer und Anhänger.

Es ist deshalb nicht ganz einfach, sich mit ihr zu unterhalten, das Telefon hört eigentlich nie mit dem Klingeln auf. Ingeborg Mootz geht zwar nicht dran, aber ihr Sprüchlein auf dem Anrufbeantworter ist doch ziemlich laut.

Es dauert auch eine Weile, bis sie per Tonband erklärt hat, wie viel ihr Börsenbuch kostet und wie man es bekommt, nämlich per Vorkasse und auf dem Postweg von ihr selbst. Zum Buch im Eigenverlag gibt es noch einen Hefter mit Informationen über ein paar Firmen, den sie selbst bastelt, jeden einzelnen.

Die bedruckten Seiten dafür liefern sie aus dem Kopierladen zwei Straßen weiter, Ingeborg Mootz hat ja keinen Drucker, nicht einmal einen Rechner.

So 15, 20 Bücher seien es am Tag, sagt sie. Weil deshalb öfter einmal die Bandansage läuft, bleibt einem währenddessen nicht viel übrig, als sich umzusehen im Wohnzimmer und dabei eine weiße Robbe mit Mütze, eine gelbe Ente und einen grauen Koalabären zu entdecken, dazu diverse Puppen, alles um zwei Sofas mit Samtbezug verteilt. Man hat außerdem genügend Zeit, sich Ingeborg Mootz selbst anzuschauen, den Kurzhaarschnitt, das faltige Gesicht, zu dem diese Stimme kommt, ein bisschen zittrig schon, aber irgendwie eindringlich.

Es fällt einem dann das Lächeln von Kai Pflaume und Johannes B. Kerner wieder ein, die sich offensichtlich über diese nette Oma amüsierten, aber dann klingelt das Telefon einmal nicht, und Ingeborg Mootz erklärt, wie das an der Börse so läuft:

Das Erfolgsrezept

Man dürfe nur Aktien von großen Unternehmen kaufen, die schon lang an der Börse sind. Man verfolge zuvor die Kursentwicklung der vergangenen fünf Jahre, schaue auf die Dividenden dieser Jahre und achte ferner darauf, ob auch genügend Kleinaktionäre vorhanden sind.

Man habe Geduld und strebe nicht nach schnellem Geld. Man kaufe, wenn die Aktie im Tief ist, man verkaufe, wenn der Kurs hoch ist, und mühe sich stets, die Zahl der Aktien zu vermehren. "Man muss es nur verstanden haben", sagt Ingeborg Mootz. Sie lächelt dazu, und alles klingt sehr selbstverständlich.

Zusammengefasst liest sich ja auch ihr Buch wie eine einzige Selbstverständlichkeit. Es hat 82 Seiten, es ist geschrieben, wie Ingeborg Mootz spricht, und es gibt darin Kapitel, die heißen "Meine philosophischen Gedanken über Investmentanlagen".

Das Buch heißt "Börsenkrimi", weil die Sekretärin, die es einst abgetippt hat, bei Ingeborg Mootz anrief und sagte, das lese sich ja wie ein Krimi. Zusammen ergibt das dann diese Mischung, bei der man wieder das Lächeln anfangen will und sich fragt: Ja, kann denn das so einfach sein?

Es gibt darauf zwei Antworten. Die erste ist: Zumindest bei Ingeborg Mootz ist es offenbar so einfach gewesen. Und die zweite gibt sie selbst, ohne es zu wollen.

Sie sagt: "Das Geld an sich interessiert mich ja eigentlich gar nicht." Die 32,20 Euro für das Buch sprechen zwar dagegen, aber man glaubt es ihr, wenn man den 18 Jahre alte Kadett vor der Haustür sieht und dazu die 76 nicht opulent eingerichteten Quadratmeter Wohnung.

Außerdem will sie bald eine Stiftung gründen für Frauen und misshandelte Kinder. Und dann sind da noch diese Sätze: "Die Leute sind doch alles Arbeitssklaven, und am Ende bleibt ihnen nichts." Oder: "Ich will die Frauen befreien. Die sollen nicht mehr abhängig sein von ihren Männern. Sobald der Mann Geld verdient und die Frau nicht, ist das keine Partnerschaft mehr. Dann sind die unterdrückt."

Ingeborg Mootz mag sich dann gar nicht mehr beruhigen. "Das alles hat doch noch lange kein Ende." Und das hat eben nichts mit den Zahlen zu tun und mit den Schlagzeilen von der "Börsen-Oma" oder der "Königin der Kleinanleger". Sondern damit, dass da eine alte Frau sehr junge Dinge sagt, die ihr so wichtig sind, dass alle sie hören sollen.

Mutmacher

Inzwischen wollen das viele, einmal im Jahr hält Ingeborg Mootz an der Universität Gießen eine Art Vorlesung, und inzwischen, sagt sie, kämen sogar Männer. Neben ihrem Schreibtisch im Wohnzimmer stapeln sich außerdem Briefe ihrer Leser, die mit Anreden beginnen wie "Liebe phantastische Frau Mootz".

Es gibt Frauen, die sich in den Briefen "eine kleine ungebildete Maus" nennen oder schreiben: "Ich habe immer und überall zu hören bekommen: Schuster, bleib bei deinen Leisten." Es gibt Briefe über sieben Seiten, und es gibt Briefe, in denen Ingeborg Mootz für den Nobelpreis vorgeschlagen wird, ohne dass spezifiziert würde, für welchen.

Aber das genau ist es wohl: Dass da eine alte Frau Hoffnung gibt, nicht hauptsächlich ökonomische, das auch, aber vor allem Hoffnung in Sachen Leben: Ihr könnt denken, also denkt. Ihr wollt etwas, also sagt es. Und fangt am besten heute an, ganz gleich, worum es geht.

So ähnlich beginnen auch Revolutionen. Obwohl, so würde Ingeborg Mootz das nie sagen, natürlich nicht. Sie geht dann zum Videorekorder, sie lässt noch einmal die paar Minuten Kerner laufen. Manchmal nickt sie, wenn es Szenenapplaus gibt, weil sie wieder etwas über Männer gesagt hat, und am Ende der Sendung lächelt Kai Pflaume.

Er sagt: "Der sicherste Weg, an der Börse ein kleines Vermögen zu machen, ist, mit einem großen einzusteigen." Ingeborg Mootz schaltet ab und sagt: "Der hat keine Ahnung." Ob das nun stimmt, tut nichts zur Sache. Zur Sache tut nur, dass sie das überhaupt sagt.

Immerhin hat sie ja nie einen Beruf gelernt, war immer für andere da und hatte dabei sich selbst schon fast vergessen. Dann aber begann sie, sich selbst ernst zu nehmen - wozu ja auch gehört, dass man nicht unbedingt von allen ernstgenommen werden muss.

(SZ vom 31.10.2006)

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