Börsenmoderatorin Anja Kohl:"Manager hören einer Frau lieber zu"

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Die ARD-Börsenmoderatorin Anja Kohl über Dachs und Dax, Kreditkrise und New Economy - und den Unterschied zwischen Männern und Frauen.

Hans von der Hagen Video: Marcel Kammermayer

Hinter Anne Will, aber vor Monica Lierhaus wählte 2007 ein Boulevardmagazin Anja Kohl auf Platz fünf als "Miss Fernsehen". Dabei bringt sie ein Thema in die deutschen Wohnzimmer, das gerade in Deutschland als schwierig gilt: die Börse. Kohl moderiert die "Börse im Ersten" sowie den Börsenteil in den Nachrichtensendungen wie den Tagesthemen. 20 Jahre gibt es nun den Dax - rund zehn Jahre ist die Moderatorin schon auf dem Börsenparkett dabei. sueddeutsche.de hat mit ihr gesprochen.

Anja Kohl: Viele Manager hören lieber einer Frau zu und lassen sich auch gerne von ihr befragen. (Foto: Foto: Kammermayer)

sueddeutsche.de: Der Dax feiert seinen zwanzigjährigen Geburtstag. Wie viele Deutsche denken trotzdem beim Namen Dax zuerst an ein Tier und nicht an den Börsenindex?

Anja Kohl: Ich hoffe, dass die meisten nicht nur an das Tier denken, selbst wenn es einst ein sehr nützliches Tier war. Denken Sie nur an den Rasierpinsel. Was unseren Dax angeht, haben vor allem in der New Economy die Menschen angefangen, sich für Aktien zu interessieren. Sie haben sicher dabei auch leidvolle Erfahrungen gemacht, aber letztlich hat sich dadurch doch eine gewisse Aktienkultur in Deutschland etabliert.

sueddeutsche.de: Hat der Dax das Verhältnis der Deutschen zur Aktie verändert?

Kohl: Er ist der Herzschlag der deutschen Wirtschaft, die EKG-Kurve, die auch wir laufend im Fernsehen zeigen. Dieses Bild dürften mittlerweile viele verinnerlicht haben, so dass sie beim Stichwort Aktie zumindest den Dax vor Augen haben.

sueddeutsche.de: Die Börse nennt ihn eine Erfolgsgeschichte. Ist es eine?

Kohl: Es ist eine absolute Erfolgsgeschichte. Diejenigen, die in den letzten 20 Jahren investiert haben, sind kräftigst belohnt worden. Der Dax weist über die Jahre gesehen eine sehr stabile Entwicklung auf.

sueddeutsche.de: Allerdings gab es auch einige sehr kräftige Rückschläge und der kleine Bruder des Dax, der Neue-Markt-Index Nemax wurde verschämt beerdigt, weil die Anleger mit ihm nur noch schlechte Erinnerungen verbanden. Haben die Deutschen selbst nach 20 Jahren Dax nicht immer noch ein zwiespältiges Verhältnis zur Aktie?

Kohl: Es gab Rückschläge, doch ich glaube, dass die Deutschen die Börse insgesamt positiv sehen. Börse - das sind auch die Aktien von Unternehmen wie Bayer, Daimler oder BMW, mit Produkten, die die Leute kennen und schätzen. Negativ wirken sich dagegen die Wirtschaftsskandale aus: Steuerhinterziehung oder Bilanzfälschungen. Doch davon waren die großen Konzerne kaum betroffen. Wir haben in Deutschland eher ein Managerproblem, kein Firmenproblem. Die Managerlöhne gehen mit der Börse nach oben, die Angestelltengehälter steigen hingegen mit der Inflationsrate. Das lässt sich den Leuten nicht mehr vermitteln.

sueddeutsche.de: Spielen diese Themen auch hier auf dem Börsenparkett eine Rolle? Die Börsenmakler verdienen auch nicht schlecht.

Kohl: Das wird auch hier diskutiert, doch die Börsenmakler und Analysten haben ein ganz eigenes Problem: Sie gelten selbst als Buhmänner. Zu unrecht: Sie machen auch nur ihren Job. Die Deutschen haben einfach ein schwieriges Verhältnis zum Geld. In den USA gilt es als gut, wenn man viel Geld verdient: Man kann damit viel bewirken und schaffen. In Deutschland will man Geld haben, aber nicht darüber sprechen.

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sueddeutsche.de: Die Börse hat immer bestimmende Themen, die alles andere beherrschen. Vor ein paar Jahren waren es Emerging Markets, später die Hightech-Unternehmen und dann die Finanzkrise. Jetzt ist es die Energie?

Kohl: Meines Erachtens erleben wir derzeit sogar mehr als einen Themenwechsel: einen regelrechten Zeitenwechsel: Völlig neue Aspekte kommen hoch: Energie wird das Megathema der nächsten Jahre sein. Vor zehn Jahren hat der Ölpreis unsere Zuschauer überhaupt nicht interessiert. Jetzt berichten wir ständig darüber. Dazu die Bereiche Rohstoffe, Lebensmittelpreise und Inflation - das trifft jeden. Und da die Börse immer die Wirtschaft reflektiert, wird auch das Thema Börse immer wichtiger.

sueddeutsche.de: Sie bringen diese Themen in die Wohnzimmer. Wie reagieren die Zuschauer?

Kohl: Die einen interessieren sich, andere haben dagegen das Gefühl, abgezockt zu werden. Aber auch der Euro spielt eine große Rolle: Die Akzeptanz ist zwar besser geworden, viele sagen aber immer noch: Er ist an den Preissteigerungen schuld.

sueddeutsche.de: Sie haben ein sehr breites Publikum. Wie bringen Sie denen das Thema Börse und Wirtschaft nahe, die sich nicht dafür interessieren?

Kohl: Das ist jeden Abend der große Spagat: Einerseits wollen wir denen etwas bieten, die sich wirklich für Wirtschaft interessieren - je nach Sendung ist das vielleicht ein Drittel bis zu Hälfte der Leute. Doch die anderen dürfen wir nicht vergessen. Es muss darum in der Sendung Phasen von An- und Entspannung geben: Wir versuchen, die Leute mit dem Unerwarteten zu konfrontieren, ein bisschen zu unterhalten - aber auch mit Hintergrundinformationen zu versorgen. Unser Interesse ist nicht - anders als im Privatfernsehen - die allerletzte Kommastelle zu erwähnen. Wir wollen die Strukturen und Mechanismen in der Wirtschaft und an der Börse erklären.

sueddeutsche.de: Kommen die Zuschauer auch mit Fragen zu Ihnen?

Kohl: Ab und an. Wenn, dann sind es sehr konkrete Fragen: Etwa, warum wir Kursveränderungen nur in Prozenten und nicht in absoluten Zahlen angeben. Wir hoffen, dass wir die Zuschauer so gut mit Informationen versorgen, dass wenige Fragen bleiben.

sueddeutsche.de: Sie moderieren unmittelbar vom Börsenparkett aus. Dabei wird das Gros des Handels längst elektronisch abgewickelt. Stirbt das Parkett?

Kohl: Ich glaube nicht. Die Börse will jedenfalls daran festhalten, denn es vermittelt dem Zuschauer ein Bild vom Aktienmarkt. Die Börse hat hier einen Ort und er zeigt, dass es nicht nur um Zahlen geht, sondern auch Menschen dahinter stehen. Außerdem ist der Handelssaal und vor allem die Dax-Tafel einzigartig in der Welt. Das hat sonst keiner.

sueddeutsche.de: Wer sitzt hier noch außer den Journalisten?

Kohl: Vor allem kleine Maklerfirmen. Die großen Banken haben ihre eigenen Handelsräume. Wir können hier aber im Kleinen zeigen, was sonst im Großen stattfindet.

sueddeutsche.de: Man sieht hier auf dem Parkett nur wenig Frauen. Ist die Börse noch immer eine Männerwelt?

Kohl: Männer haben einen Vorteil: Sie lernen schnell, wie gut wir sind. Es hat sich also mittlerweile gebessert und mehr Frauen wurden eingestellt. Nicht nur in der Berichterstattung, sondern auch auf Analyse- und Handelsseite. Dennoch ist das Geldgeschäft nach wie vor eine Männerbranche.

sueddeutsche.de: Einige Frauen sind als Börsenmoderatorinnen sehr erfolgreich - in den USA und auch hierzulande. Ist es vorteilhaft, in diesem Umfeld Frau zu sein.

Kohl: Es ist immer ein Vorteil, Frau zu sein (lacht). Und als Moderatorin sowieso: Viele Manager hören einer Frau lieber zu und lassen sich auch gerne von ihr befragen - selbst wenn sie kritischere Fragen stellt. Sie bekommt also womöglich mehr Informationen. Bei zwei Männern gibt es hingegen gleich dieses Jagdrevier-Verhalten: "Was will der jetzt von mir?"

sueddeutsche.de: "Börsenmoderator" ist selten ein Berufsziel. Wann wussten Sie, dass Sie es werden würden?

Kohl: Klar war zunächst nur, dass ich Journalistin werden wollte - zumindest, nachdem ich nicht mehr Lehrerin werden wollte. An die Börse hatte ich zunächst auch nicht gedacht. Doch ich bin von der New Economy sozialisiert worden. Sie war der Ausgangspunkt, um sich mehr mit dem Thema Börse zu beschäftigen - übrigens auch für die Fernsehsender. So bin ich mit ein bisschen Talent, ein bisschen Glück und viel Interesse Börsenmoderatorin geworden.

sueddeutsche.de: Haben Sie selbst Aktien? Meist entfacht ja erst das das Interesse an der Börse?

Kohl: Ja, ich hatte früher tatsächlich Aktien - und bin auch auf die Nase gefallen. Worldcom ging Pleite, bei US-Papieren brach alles ein. Ich habe alle Erfahrungen gemacht - das war heilsam und hilfreich, auch jetzt für die Moderation: Wie soll man über Aktien reden, wenn man nicht weiß, wie schmerzhaft Verluste sind? Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk dürfen wir keine einzelnen Aktien besitzen, um nicht in Interessenkonflikte zu geraten. Aber wir dürfen Fondsanteile haben und jetzt investiere ich langfristig.

sueddeutsche.de: Was war Ihr aufregendster Tag an der Börse?

Kohl: Es war jetzt in der Finanzkrise. Eines Tages kam ich hier rein und einer der Makler sagte: Das ist schlimmer als 1929. Zunächst dachte ich, er macht einen Witz und wollte lachen. Doch er meinte es total ernst. Selbst Kollegen, die schon mehr als 30 Jahre dabei sind, befürchteten plötzlich, dass alles aus den Fugen gerät. Es war eine ganz andere Dimension als das Platzen der Internetblase. Das war eher ein Crash auf Raten. Es gab noch einen besonderen Tag, der ging aber in die andere Richtung: Als die Steuer auf Beteiligungsverkäufe von Firmen abgeschafft wurden, gab es direkt zum Jahreswechsel einen gewaltigen Kursaufschwung.

sueddeutsche.de: Wann setzte sich auf dem Parkett die Erkenntnis durch, dass die Kreditkrise gefährlich ist?

Kohl: Als Bear Stearns als fünftgrößte Investmentbank zusammenzubrechen drohte. Das war eine Dimension, die man zunächst nicht begriffen hatte. Alle dachten immer, die größte Gefahr ginge von Hedgefonds aus. Es war viel Optimismus im Markt und der sorgt für Übertreibungen. Dass die Katastrophe über die Immobilienmärkte ihren Anfang nahm, hatten viele nicht vorhergesehen. Der Hausmarkt hatte ja immer funktioniert.

sueddeutsche.de: Wird Ihnen hier auch mal langweilig?

Kohl: Nein, nie. Unternehmen sind nichts Abstraktes. Sondern es gibt Mitarbeiter, die mit ihren Teams in eine bestimmte Richtung wollen und Entscheidungen treffen müssen. Die Manager kommen gerne hierher, natürlich auch wegen der Öffentlichkeitswirkung. Aber es ist spannend, was sie erzählen, denn sie sind dicht am Geschehen dran.

sueddeutsche.de: Die Moderatoren treten regelmäßig in kräftigen Farben vor die Kamera. Das ist dann demnach keine Kompensation für einen drögen Börsentag?

Kohl: Wenn das so wäre, dann haben wir da auch nichts dagegen. Der wahre Grund ist: Seit dem Umbau dominieren hier die Schwarzweißtöne. Das macht es für die Moderatoren schwieriger, sich richtig zu kleiden: Man hebt sich nicht mehr deutlich genug vom Hintergrund ab. Deshalb setzen wir auch in punkto Farbe eine Marke.

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