Börse:Deutschlands Angst vor Aktien

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Nach der Euphorie Ende der 90er Jahre trauen sich viele Deutsche inzwischen nicht mehr, in den Aktienhandel einzusteigen. Das Auf und Ab an der Börse scheint sie abzuschrecken - zu unrecht.

Simone Gröneweg

"Wer gut schlafen will, kauft Anleihen - wer gut essen will, kauft Aktien", soll Börsenaltmeister André Kostolany einmal gesagt haben. Ein Blick auf die Zahl der Aktionäre in Deutschland zeigt: Die Deutschen wollen lieber gut schlafen.

Viele Deutschen trauen dem Aktienmarkt nicht - vor einigen Jahren sah das noch ganz anders aus. (Foto: Foto: AP)

Von 82 Millionen Menschen haben nur 4,7 Millionen Aktien. In Skandinavien, Frankreich, Großbritannien und den USA sei der Anteil deutlich größer, sagt Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut. Und bedauert: "Fernsehleute haben mir erzählt, wenn sie jetzt Beiträge über Aktien und Börse senden, schalten die Leute um."

Wer keine Aktien hatte galt als altmodisch

Das sah Ende der 90er Jahre anders aus. Wer keine Aktien hatte, galt als altmodisch und erntete mitleidige Blicke. Ob Computerspezialist, Hausfrau oder Anlageberater - Aktien begeisterten alle. Als der deutsche Leitindex Dax die 8000 Punkte überschritt, waren Händler, Analysten und Börsenexperten in Feierlaune.

Doch der Glaube an den ewigen Kursanstieg wurde vom jähen Absturz zerstört. Der Dax verlor zwischen März 2000 und 2003 fast drei Viertel seines Wertes. "Jeder Vierte ist bei den Aktien wieder ausgestiegen", bedauert Leven.

Viele sind nicht kritisch genug

Die Leute seien mittlerweile skeptisch, wenn es um Aktien gehe. "Leider sind sie nicht kritisch genug", so Leven. "Wenn wir Telefonaktionen machen, rufen Leute an und fragen mich, was ich von einer bestimmten Aktie halte. Manchmal stellt sich heraus, dass sie gar keine Aktie gekauft haben, sondern einen Anteil an einem Aktienfonds." Das hätten die Betroffenen gar nicht verstanden.

Dabei ist der Unterschied gravierend: Wer sich Aktien kauft, beteiligt sich an einer Firma. Wer sich an einem Aktienfonds beteiligt, vertraut sein Erspartes einem Fondsmanager an, der es in verschiedene Firmen investiert. Anleger, die sich an einem Fonds beteiligen, haben ihr Kapital also breiter gestreut; wer die Aktie eines bestimmten Unternehmens hat, setzt auf diese eine Firma.

"Solch eine Beteiligung ist mit besonderen Risiken verbunden", warnt Dorothea Kleine vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Kleine rät daher, sich intensiv mit der Firma zu beschäftigen. Und sagt: "Auf das Geld sollte man nicht angewiesen sein."

Durch Aktienverkauf finanziert das Unternehmen bestimmte Projekte

Unternehmen verkaufen ihre Anteile, um so bestimmte Vorhaben zu finanzieren. Im Gegenzug sind die Aktionäre an den Gewinnen beteiligt. Die werden als Dividenden regelmäßig an die Anteilseigner ausgeschüttet.

Besonders interessant sind Aktien für Anleger aber, weil ihr Wert steigen kann. Wer vor einem Jahr die Aktie des Industriegaseproduzenten Linde kaufte, zahlte 59,64 Euro - jetzt kostet sie mehr als 68 Euro. Anleger, die sich vor zwölf Monaten mit Aktien des Autoherstellers Volkswagen eindeckten, können sich über einen Kursanstieg von 45 auf mehr als 62 Euro freuen.

Es gibt nicht nur Gewinner

Doch an der Börse gibt es nicht nur Gewinner. So heißt es in einer Broschüre der Verbraucherzentrale Bundesverband: "Das Auf und Ab könnte man manchmal fast mit den Gesetzmäßigkeiten von Ebbe und Flut vergleichen - allerdings mit dem Unterschied, dass die Kursentwicklung im Gegensatz zu den Gezeiten weder regelmäßig noch verlässlich vorhersagbar ist."

Schlecht lief es zum Beispiel für die Aktionäre von Telekom und TUI: Eine Telekom-Aktie kostete vor einem Jahr etwa 15 Euro, jetzt sind es ungefähr 11 Euro. TUI-Aktien fielen von 18 auf etwas mehr als 15 Euro.

Der Kursverlauf der Vergangenheit sagt aber wenig über die Zukunft aus; wer jetzt Linde- oder Volkswagen-Aktien kauft, muss damit nicht unbedingt Gewinn machen. Und vielleicht steigt auch der Kurs von Telekom und TUI wieder, nur wann, ist kaum vorherzusagen.

Am besten in große Firmen investieren

Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), sagt deshalb: "Man sollte das investierte Geld nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt benötigen. Das funktioniert einfach nicht." Er rät Privatanlegern, vor allem in große Firmen zum Beispiel aus dem Dax zu investieren. "Da ist ein Totalverlust unwahrscheinlich, und man erhält auch noch regelmäßig eine Dividende."

Auf keinen Fall solle man das Geld in risikoreiche kleine Firmen stecken. Wer sich für Aktien großer Firmen entscheidet, hat auch den Vorteil, dass die von mehreren Analysten beobachtet und bewertet werden. Deren Einschätzung kann bei der Meinungsbildung helfen.

Je größer die Zahl der Anteile, desto einfacher der Handel

Die Auswahl an Aktien ist groß. Derzeit gibt es 1040 börsennotierte deutsche Aktiengesellschaften. Zudem werden die Anteile von fast 14000 ausländischen Firmen hierzulande gehandelt. Je größer die Zahl der Unternehmensanteile und je mehr sie gehandelt werden, desto einfacher kann man sie kaufen oder verkaufen.

Die meisten Anleger haben in ihrem Depot so genannte Stammaktien - den Klassiker unter den Anteilsscheinen. Eigner von Stammtiteln haben ein Anrecht auf die Dividende und dürfen auch an der Hauptversammlung teilnehmen, und zwar unabhängig davon, ob sie eine oder 100 000 Aktien besitzen.

Anders sieht es bei den Vorzugsaktien aus: Ihre Besitzer haben bei der Hauptversammlung kein Stimmrecht - als Ausgleich erhalten sie eine höhere Dividende.

© SZ vom 8.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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