Besuch im Bauzentrum Poing:"Guck mal, eine ovale Wanne"

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Die meistbesuchte Musterhausausstellung Deutschlands ist ein Spiegel der postindustriellen Gesellschaft: Ausbruch am Ortsrand, Blick auf Nachbars Küche, Handtuchgrundstück für die Koniferensammlung.

Von Oliver Herwig

Natürlich, das Kinderzimmer. Sonnengelb leuchtet es im ersten Stock, Plüschtiere im Bett und Sisalteppich am Boden. Der Laufstall steht geschützt hinter dem hölzernen Paravent, Spatzen und Kühe tanzen über den orangegrünen Vorhang, dann wandert der Blick hinaus, durch die Lamellen und über den Balkon auf Äcker und Baumgruppen. Genau so könnte es sein. Wer nach Poing kommt, will Träume verwirklichen.

Kein Wunder, dass im Bauzentrum nur Paare unterwegs sind. Acht Euro, bezahlt im gläsernen Technologiepavillon, dann ein erster Rundlauf.

Bayerns größte Eigenheimausstellung bildet ein Dorf aus 58 Häusern, bei dem die Planer offensichtlich bei Asterix Maß genommen haben: Drei Siedlungsringe liegen um den Kinderspielplatz: Bavarica neben Blockhäusern, Sattel- und Schwarzwalddächer, Komfortanlagen und Klassiker wie an einer Wäscheleine. Das ganz normale Leben.

"Wir sind flexibel", sagt die Vertreterin im beigen Twinset, "und das da, das kann der Hauswirtschaftsraum werden". Dabei deutet sie auf die Kammer neben der Küche. Wer so von Haus zu Haus schlendert und Maß nimmt, kann in Ruhe stöbern. Die Angestellten haben Anweisung, sich nicht aufzudrängen, erklärt die Frau an der Kasse. Viele haben sich deshalb wohl ins Büro zurückgezogen und hängen am Telefon.

"Ja, klar", sagt der Enddreißiger, das Jackett lässig über den Stuhl gehängt, "bin an einem Kunden dran, der am Samstag da war."

Am Wochenende herrscht Hochzeit, und im Frühjahr. Häuserkauf hat etwas von Cabriokauf. Das Wetter muss stimmen, wenn es um die Entscheidung fürs Leben geht. 90.000 Besucher kommen im Jahr, aber der Märzwinter ist Gift fürs Geschäft. Schneeränder an den Wegen, klamme Finger.

Fünf, sechs Paare wandern über das Gelände und gehen in eines der 58 komplett möblierten Musterhäuser. Zum Beispiel in das Maisgelbe mit dem grünen Pultdach. Riecht nach Möbelhaus. Die Treppe führt zackig nach oben, auf eine schräge Galerie, die das Haus wie eine Landungsbrücke durchschneidet. Zwei Bäder, zwei Schlafzimmer, viel Licht. Im Erdgeschoss Abstellraum, Toilette, Arbeitszimmer und offener Wohn-Essbereich.

Knapp 150 Quadratmeter Wohnen, auf Wunsch auch unterm Satteldach. Ein Besucher in dunkler Lederjacke hat sich auf den Sessel der Galerie geworfen und grinst. Der beste Platz im Haus, heißt das Lächeln. Seine Frau schaut derweil ins Bad. "Guck mal, eine ovale Wanne."

Die meistbesuchte Musterhausausstellung Deutschlands ist ein Spiegel der postindustriellen Gesellschaft. Ausbruch am Ortsrand, Blick auf Nachbars Küche, Handtuchgrundstück für die Koniferensammlung. Ein Ort, der ständig neue Namen für alte Wünsche findet: Arche Nova, Allgäu, Switch 167, La Grande A Haus München, Harmony 188, Magic 159 oder Europa-Dekor 148.

Bei den Namen können Fertighaushersteller noch von der Automobilindustrie lernen, nicht aber bei der Sonderausstattung. Das besondere, unverwechselbare Eigenheim, ist für einen kleinen Aufpreis zu haben. "Raumhohe Türen"? Der Vertreter lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. "Kein Problem, 70 Euro pro Stück". Längst ist das Haus ein ganzheitliches Erlebnis.

Am äußersten Rand der Anlage steht ein Hexenhäuschen. Finanzierungen und Feng Shui steht über dem Eingang, der aussieht wie ein begehbarer Erker, dessen Fenster mit Zetteln zugepflastert sind. "Optimieren Sie ihr Haus nach Feng Shui", rät der Katalog. In der Mitte des Dorfes steht Invito 138 mit blauen Dachziegeln, Putzflächen, Holzverschalung und Wintergarten.

Das Haus sieht nach einem Unfall im Genlabor aus, bei dem Techniker McDonald's mit einem Einfamilienhaus kreuzten. Viererlei Fenster wuseln über die Fassade, Dachflächen kippen, drehen, biegen und stürzen zusammen. "Eine gelungene Symbiose aus architektonischer Extravaganz und praktischer Funktionalität", erklärt der Musterhauskatalog, "in Verbindung mit natürlichem und gesundem Wohnen." Poing bietet für jeden etwas. Bescheidene, gut geschnittene Häuser, dann wieder Gauben, Erker und Säulen vor den Eingängen.

Was der Geldbeutel nicht hergibt, müssen Tuning-Teile besorgen. Am Ende des Rundgangs steht der Technologiepavillon, der am 29. Mai 2000 als Projekt der Expo 2000 eröffnet wurde. Kubische Form, große Glasflächen und sparsam eingesetzte Materialien beruhigen den Blick. Vielleicht einen Kaffee, vielleicht noch einige der Bauzeitschriften schnappen. Dann geht es heim, mit einem Berg Katalogen und dem Bild des sonnengelben Kinderzimmers.

Eintritt: 4 Euro, ermäßigt 2 Euro, täglich von 10-17 Uhr (Montag Ruhetag, der Technologiepavillon ist geöffnet, das Freigelände ist zugänglich). Bauzentrum Poing, Senator-Gerauer-Straße 25, 85586 Poing / Grub, Tel.: 089 / 990207-60/61

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