Besser Bauen:Eins aufs Dach

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Wir Luxusmenschen verbrauchen immer mehr Platz. Aufstockungen sind deshalb im Kommen. Zum Glück gibt es schon Architekten, die Garagen, Bungalows und Reihenhäusern einfach was draufgesetzt haben.

Von Oliver Herwig

Eine paradoxe Entwicklung prägt den Wohnungsmarkt: Die Deutschen haben immer weniger Kinder, verbrauchen aber trotzdem mehr Wohnraum. Fast verdreifacht hat sich der Flächenbedarf in den alten Bundesländern von 1960 bis heute. Reichten vor 40 Jahren noch bescheidene 15 Quadratmeter zum guten Leben, sollten es heute schon rund 42 Quadratmeter sein. Tendenz steigend.

Eine Garage in München-Sendling und seine Beletage. (Foto: Foto: Catherina Hess)

Freie Entfaltung braucht eben Platz. Kein Wunder, dass Singles und Dinks (Double Income No Kids) Wohnraum beanspruchen, der ursprünglich für ganze Familien gereicht hätte.

Dieser Trend gleicht den Bevölkerungsschwund unserer Städte keineswegs aus, denn gefragt sind in der Regel große, flexible Wohnungen mit Atmosphäre, wie sie die Gründerzeit errichtete, und nicht Plattenbauten oder Häuser aus den 1980er Jahren. Da wird Wohnraum schnell knapp. Wohin mit uns Luxusmenschen, wenn nicht hinaus an den Stadtrand, staatlich subventioniert dank Pendlerpauschale und Eigenheimzulage? Neue Grundstücke müssen her.

Grundstücke in ungewöhnlicher Lage. Mitten in der Stadt. Zum Glück gibt es eine Reihe von Architekten, die Lücken im städtischen Gewebe erkennen und dann einfach was draufsetzen: Garagen, Bungalows und Reihenhäuser werden Kandidaten für Aufstockungen. Und das mit überraschenden Ergebnissen.

Statik nicht überfordern

Zum Beispiel 1994. Da verpassten die Münchner Architekten Hild & Kaltwasser einem Bungalow aus den 1960er Jahren ein neues Stockwerk, mit Holzrahmen und Aluminium, um die Statik nicht zu überfordern. Klare Kanten und bündig in die Fassade eingelassene Fenster - das hat Schule gemacht.

"Im Grün schweben", nennen die Münchner Christoph Grill und Stefan Köppel ihre so genannte Wohnhauserweiterung unweit der Theresienhöhe. Tatsächlich heben sie auf der eiszeitlichen Hangkante, an der in einigem Abstand die Bavaria steht, ziemlich ab.

Sie hatten schon Erfahrung mit dem Bauen im Bestand, mit aufwändigen Sanierungen an der Bruchstelle von Alt und Neu, als sie unter die Wohnraumpioniere gingen. Und eine Garagenanlage aus den 1950er Jahren überbauten.

Mittels einer Stahlkonstruktion erschlossen sie auf der bestehenden Anlage 180 Quadratmeter Wohnen mit Blick in die Baumkronen. Sie stemmten lange Fensterschlitze und ein kubisches Fenster aus dem kupferverkleideten Aufbau, und schufen sogar zweigeschossigen Wohnraum samt Galerie, der luftig, leicht und edel wirkt. Lust am besonderen Wohnen? Auch, aber vor allem Findergeist, und der Reiz, Orte gegen den Strich zu bürsten, neue Nutzungen aus Bestehendem herauszukitzeln.

Reserven herausholen

In den nächsten Jahren dürften ganze Bungalow-Siedlungen aus den 1950er und 1960er Jahren ins Visier der Erbengeneration geraten, die mehr aus dem Grundstück rausholen möchte. Und wenn nicht gerade lokale Bauordnungen und Satteldächer als ästhetische Drohung über den Vierteln schweben, warum nicht mehr wagen?

Was im Kleinen gelingt, funktioniert auch im Großen. Auf dem Dach des Hamburger Kaispeichers A projektierten Herzog & de Meuron eine ganze Philharmonie. Das strahlende Gespinst aus Kuppeln und parabolischen Räumen, das wie eine gläserne Krone auf dem schlichten Rechteck des Speichers sitzt, hat das Zeug zum Magneten nicht nur der projektierten Hafenstadt.

Der geniale Dachausbau - unten parken 685 Autos, oben spielt die Musik - schafft eine Landmarke, die weit über die Hansestadt hinausweist.

Aufbauten sind im Kommen, sie werden Lücken in der urbanen Matrix füllen und unsere Städte nach innen hin verdichten. Mit der Devise "einfach was draufsetzen" kommt man freilich nicht weit. Aufbauten verlangen Architekten, die mit dem Ort umgehen können, um ihn vollständig durchzuformen und ihm neuen Wert zu verleihen.

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