Besser Bauen:Einfach neunmal anders

Lesezeit: 3 min

Die geradlinige Bauform macht, was die Bewohner wollen: Sie passt sich dem Lebenslauf an ohne teuere Umbauten.

Georg Etscheit

(SZ vom 22.3.2002) Nein, früher war nicht alles besser. Zu sechst wohnten die Schmittners in ihrem bescheidenen Häuschen in Feldmoching am Stadtrand von München. Häuschen war fast zu viel gesagt, denn eigentlich war es eine alte Baubaracke aus Holz, 48 Quadratmeter klein, mit Eternit verkleidet. Die hatte die Familie nach dem Krieg auf eine Parzelle am Rande des Dachauer Mooses gesetzt.

Das Niedrigenergiehaus meistert multifunktionale Aufgaben preisgünstig und preisgekrönt. (Foto: Foto: b17 Planungsbüro)

Neubau verdrängt Baracke

Ein Schwarzbau wie so viele hier draußen, ohne Keller einfach auf den blanken Boden gebaut. "Im Winter habe ich morgens meine Pelzstiefel angezogen, weil es von unten so kalt kam, und habe sie erst abends wieder ausgezogen", erinnert sich Frieda Schmittner.

Heute kommt es mollig warm von unten. Dank einer modernen Fußbodenheizung kann die 61-Jährige locker in Pantoffeln herumlaufen. Aber oft brauchen die Schmittners die Heizung gar nicht einzuschalten, weil ihr neues Heim, das 1996 an Stelle der alten Baracke entstand, mit besonders wenig Fremdenergie auskommt.

Gutes Klima

Intensive Wärmedämmung nebst ausgeklügelter Belüftung sorgen für ein angenehmes, ausgeglichenes Innenklima. Einen Keller gibt es zwar immer noch nicht, dafür aber hohe Fenster, die Licht und Wärme hineinlassen und eine kleine Solaranlage auf dem Vordach über der Eingangstür.

Monopoly im echten Leben

Auf den ersten Blick wirkt das Haus "Schmittner" wie eines dieser knallroten oder quietschgrünen Steinchen aus dem Monopoly-Spiel: Unten ein Quadrat, obenauf ein spitzes Dreieck.

Schlichtheit in Fasson

Die Längsseiten der Fassade sind mit Latten aus unbehandeltem Lärchenholz verkleidet, die beiden Giebelseiten, die von großen, über beide Stockwerke reichenden Fenstern durchbrochen sind, je zur Hälfte mit grauen Platten aus Faserzement. Auch auf dem Dach liegt unbehandelter Betonstein. Schlicht, klar, erdverbunden wirkt das ganze in seinen Linien, seinen Farben und Materialien, unprätentiös wie die karge Landschaft im Moos.

"Wir haben uns ganz bewusst an den einfachen Bauformen hier draußen orientiert", sagt Tobias de la Ossa, von b17 Architekten, der das Haus mit entworfen hat.

Lobenswert

Mittlerweile hat es einen Preis bekommen. Die Stadt München kürte es zum vorbildlichsten Niedrigenergiehaus des Jahres 1998. Und der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) schraubte eine "Grüne Hausnummer" für praktizierten Klimaschutz neben die Eingangstür.

Kein Durchschnitt

Das Haus hat aber nicht nur wegen vorbildlicher Umweltstandards Aufsehen erregt. Es sticht auch gestalterisch heraus aus dem Mittelmaß der kleinen ungenehmigten "Splittersiedlung", die erst 1993 per Bebauungsplan legalisiert wurde.

Besonderheiten am Stück

Seither haben hier viele dem pseudo-bayerischen "Jodlerstil" gefrönt, mit ausladenden Balkonen, Erkerchen, Schmiedeeisernem. Das "Schmittner"-Haus fällt so deutlich aus dem ortsüblichen Rahmen, dass sich immer mal wieder ein irritierter Nachbar mokiert über den beinahe spartanischen Auftritt und die ungewöhnlichen Details: die Haustür, die nicht, wie gewohnt, in der Mitte sitzt, die schwedischen Kippfenster, die auffälligen hölzernen Schiebe- und Klappläden an der westlichen Giebelseite, die mittels Handkurbel zu einer Pergola über der ebenfalls mit Holzlamellen belegten Terrasse hochgezogen werden können. Klicken Sie auf das Bild und schauen Sie sich die Besonderheiten an.

Kosten

Das Haus ist nicht nur ein Niedrigenergiehaus. Dank preisgünstiger Modulbauweise aus weitgehend vorgefertigten Teilen ist es auch ein Niedrigpreishaus.

Rund vierhunderttausend Mark haben Mutter und Sohn seinerzeit aufbringen müssen, um sich ihren Traum von einem Heim zu erfüllen, in dem man nie mehr kalte Füße bekommt.

Innenleben passt sich an

Von außen fällt kaum auf, dass auch das Raumprogramm nicht den üblichen Regeln folgt. Die multifunktionale Aufteilung ermöglicht es, das Haus ohne teure Umbauten ganz unterschiedlichen Lebenssituationen anzupassen.

Idealer Einstieg

Zentrale "Schaltstelle" ist das Treppenhaus, das sich über beide Etagen zieht, energiesparend von einem Oberlicht erhellt wird, und den Besucher staunen lässt, wie großzügig ein so kleines Haus von innen wirken kann.

Variation der Nutzung

Das Gebäude besteht aus vier Segmenten, die über das Treppenhaus und eine "Brücke" im Obergeschoss beliebig miteinander verkoppelt werden können. Dadurch bieten sich theoretisch neun Nutzungsmöglichkeiten vom Einfamilienhaus über zwei separate Doppelhaushälften bis zur Familienwohnung plus Einlieger-Apartment. Klicken Sie auf das farbige Häuschen und Sie sehen, was möglich ist

Zurzeit bewohnt Frau Schmittner das gesamte Erdgeschoss. Ihr 38 Jahre alter Sohn Jürgen, der als U-Bahnfahrer arbeitet, hat sich in dem ebenso gemütlichen wie großzügig geschnittenen Dachgeschoss eingerichtet.

Dort gibt es unter der Dachschräge auch eine Art drittes Maisonette-Geschoss, dass über eine steile Leiter von der Brücke des Treppenhauses zu erreichen ist.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: