Besser bauen:Ein Hauch von Haus

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Mitten in der Wiese, hinter der Fichtenschonung, steht ein Atelier, das frech Mies van der Rohes Farnsworth House zitiert.

Von Oliver Herwig

Mitten in der Wiese, hinter der Fichtenschonung, steht ein begehbares Schaufenster, ein gläsernes Nichts, das frech Mies van der Rohes Farnsworth House zitiert: das Atelierhaus von Bembé + Dellinger Architekten. "Nein", sagt Felix Bembé und grinst, an Mies habe er bestimmt nicht gedacht.

Bembé, Mitte 30, wirkt wie ein amerikanischer College-Student, mit lässigem Shirt und braun gebranntem Gesicht. Nonchalant kommen auch die Entwürfe aus dem Büro Bembé + Dellinger daher, elegante Häuser, die sich geschickt in ihre Umgebung einpassen und dem Betrachter doch vermitteln, dass sie besonders sind.

Das Atelier am Ammersee führt diese Haltung nur einen Schritt weiter. Da steht ein Hauch von Haus, halb verwurzelt im Grund, halb schwebend über einer künstlichen Hangkante nach Osten, wie eine Yacht vor dem Stapellauf.

Es muss in der Familie liegen. Der Großvater wohnte in einem Dampfer auf dem See, erzählt Bembé. Hier hat der Architekt für sich geplant, denkt man, mit Cortenstahl und riesigen Glasflächen. Dabei hat Bembé eigentlich für seine Tante gebaut, die sich wieder ganz dem Malen widmen will.

Ihr Künstlerhaus muss keine Rücksicht nehmen auf den Alltag, es muss nur als Atelier funktionieren, und dafür ist der Ort gut gewählt. Der See liegt nicht weit, Wiese wuchert um das Haus, und die Fichten bieten Sichtschutz vor der Straße. Vor allem spenden sie Schatten für die Glasbox.

Wer die hohe Türschleuse aus Cortenstahl durchschritten hat, steht in einem wunderbar hellen, aufgeräumten Atelier. Grafikschränke bilden eine Arbeitsplatte in der Mitte des Raums, der sich nach allen Seiten öffnet, in die Wiese schwappt.

Transparenz ist kein Versprechen, sondern Programm. Das Atelier gibt sich ganz der Umgebung hin, das Auge geht auf Wanderschaft. Hier die unbehandelten Eichenbretter des Bodens, da die stählerne Spüle, dort eine Reihe schöner Schwarzweiß-Fotos. Hier zu arbeiten, heißt mitten in der Natur zu stehen, im Kontakt mit dem Licht und der Landschaft.

Da stört keine Mauer. Alle zehn Holzwände lassen sich auf Deckenschienen mit einem Handgriff wegziehen und hintereinander stapeln. Die Paneele dienen mal als Raumtrenner, dann wieder als Regal, Garderobe oder Küchenelement, sie gehören zum bewegten Innenleben des Hauses. Alles soll praktisch sein, wie die im Boden eingelassenen Lichtschalter oder die genagelten Eichenbretter: einfach zu bedienen, einfach zu ersetzen.

Die unbehandelten Materialien werden Patina anlegen. Alters- und Gebrauchsspuren gehören dazu, sie lassen das Atelier langsam mit der Wiese verschmelzen, aus der die unterkellerte, halb aufgeständerte Glas- und Stahlbox kaum merklich ragt. Darunter liegt ein voll ausgebautes Kellergeschoss.

Was oben galt, ist unten schon nicht mehr wahr. Das durchsichtige Raumkontinuum des Oberdecks weicht einer Wohnhöhle im Stil der 60er Jahre: Eine Welt aus Beton, Samt und Filz.

Die Garderobe - eine eiförmige Nische in der Wand. Segeltuch und Reißverschluss ersetzen die Tür. Das Bad mutiert zur glucksenden Wassergrotte mit elliptischen Durchgängen, Nischen und Fenstern.

Die Höhlenlandschaft formte Bembé aus Styroporblöcken, um die herum er Sichtbeton goss. Ein kompliziertes Unterfangen, denn das Styroporei bekam beim Betonieren Auftrieb, erinnert sich Bembé, und es gehörten einige Tricks dazu, das Werk zu vollenden.

Dafür ist nun alles aus einem Guss. Selbst die Oberfläche zeigt nicht die Abdrücke von Schalungsbrettern, sondern fühlt sich an wie eingeschlagener Samt. Bembé + Dellinger haben Kunststofffolien wie Einpackpapier verwendet, wodurch eine faltige Struktur erzielt wurde.

Nach Osten öffnet sich der Gang zum Schlaf- und Wohnraum; in Augenhöhe, knapp über der Grasnabe, liegt ein Fensterband. Gegenüber schlägt das Herz der Unterwelt, eine in rotem Samt gefasste Schlafnische. Plötzlich scheint Mies van der Rohe Lichtjahre entfernt, das Atelierhaus nimmt märchenhafte Züge an, wird zum Versteck in der Wiese.

Das gefiel den Kollegen. Beim BDA-Preis Bayern lag das Atelierhaus ganz vorne und musste sich nur dem Kulturspeicher Würzburg geschlagen geben.

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