Besser bauen:Die weltoffene Provinz

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Die Architektur des kleinen österreichischen Bundeslandes Vorarlberg ist längst Exportschlager.

Oliver Herwig

Vorarlberg. Drei Silben, und schon bekommen deutsche Architekten leuchtende Augen. Schwärmen plötzlich von strengen Bauten und lockeren Bebauungsvorschriften, von fordernden Auftraggebern und kooperativen Behörden. Tatsächlich hat unser Nachbar im Süden in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten eine Baukultur hervorgebracht, die den Namen verdient. Flächendeckend vom Bodensee bis zum Kleinen Walsertal und vom Einfamilienhaus zum Gewerbebau. Geradlinige, handwerklich perfekte Häuser, geschätzt von den Leuten im Lande. Und bewundert andernorts. Die Bildergalerie stellt zwei prämierte Projekte vor.

Im Vordergrund geradlinige Bauformen, im Hintergrund geschwungene Landschaft des Vorarlbergs. (Foto: Foto: Architekturatelier Walter Unterrainer)

Perfekte Synthese

Wo der Häuslebauer hierzulande vorsichtig über den Gartenzaun schielt, schnell die Gauben zur Straße zählt, um selbst noch ein, zwei mehr aufs Dach zu wuchten, ticken die Vorarlberger anders. Als schick gelten nicht unbedingt Jägerzaun, Erker und Satteldach. Zwischen Deutschland, Liechtenstein und der Schweiz darf es individueller zugehen, avancierter und ökologischer. Denn die Vorarlberger Baukünstler verbinden Ästhetik mit Niedrigenergie- und Passivhausstandards, die sie mit den Handwerkern und der florierenden Holzbauindustrie Vorarlbergs konsequent weiterentwickeln.

Revolte in den 70er Jahren

Bauen im Vorarlberg bietet den Stoff, aus dem Legenden sind. Und fast jeder um die 50 hat seine Geschichte parat. Denn am Anfang stand der große Streit. Avancierte Baumeister begehrten in den 70er Jahren gegen das begrenzende Reglement der Architektenkammer auf, traten aus der Standesvertretung aus und nannten sich fortan "Baukünstler", da die Bezeichnung Architekt geschützt blieb.

Eine Grassroot-Bewegung mit hehren Zielen. Den Gründervätern Jakob Albrecht, Leopold Kaufmann, Hans Purin, Rudolf Wäger und Gunter Wratzfeld ging es um Qualitätsbewusstsein am Bau mit dem Anspruch, Wohnwert zu schaffen. Und um ein neues Miteinander.

Minimale Preise

Die Zeit schien günstig. Im traditionell konservativen Vorarlberg konnte sich erstmals eine kleine, weltoffene Klientel - viele Lehrer und Rechtsanwälte - für minimalistische, preiswerte Bauten begeistern, oft gegen heftige Widerstände des Umfeldes.

Die Revolte hatte Erfolg, weil sie anspruchsvolle Gestaltungsfragen nicht auf dem Papier erledigte, sondern mit einer effizienten Baupraxis verband. "Ich habe gelernt, dass ein Zimmer vier Ecken hat - und nicht acht", meint Johannes Kaufmann, Vertreter der dritten Generation von Vorarlberger Baukünstlern schmunzelnd. Avanciert: ja, betont modisch: nein. Damit können sich viele im Alpenland anfreunden.

Wachsende Genarationen

Einen Nährboden für den Boom des guten Geschmacks bildete das neue Baugesetz von 1970: unkompliziert und übersichtlich. Auch das Amt für Raumplanung blieb offen für bauliche Querdenker. "Da wurde vieles ermöglicht", betont Markus Berchtold, Geschäftsführer des Vorarlberger Architekturinstituts.

Zählte die Gruppe der Abweichler anfangs gerade mal ein Dutzend Mitglieder, so nahm die Zahl der strengen Baukünstler beinahe exponentiell zu. Die zweite Generation in den 1980er Jahren zählte schon 50, die nunmehr dritte Welle seit zehn Jahren umfasst weit über 100 Baumeister, die längst ihren Frieden mit der Kammer geschlossen haben und mit den Architekten die "Zentralvereinigung der Architekten, Sektion Vorarlberg" bilden.

Das Musterländle Österreichs

Wien ist weit. "Anders, netter, verspielter, wie Maria Theresia", sagt Johannes Kaufmann. Entsprechend selbstbewusst und eigenständig treten die 350.000 Vorarlberger auf. "Österreichs aufmüpfige Alemannen", betitelte die Neue Zürcher Zeitung ihr Porträt eines Landstrichs, dessen Einkommen fünf Prozent über dem österreichischen Durchschnitt liegt und dessen Eigenheimquote bei stattlichen 58,9 Prozent im extrem zersiedelten Rheintal. Der Vorarlberger gilt wie der Schwabe als "schaffig"' das eigene Haus gilt als erstrebenswert.

Häuser aus Holz

Dazu kommt, dass durch die Grundteilung viele Vorarlberger ein Grundstück besitzen - oder zumindest eine Parzelle. Ideale Voraussetzungen für das Musterländle des modernen Bauens. Besonders im Holzbau wuchs ein beachtliches technisches Know-how heran, das auf einer ungebrochenen Handwerkstradition aufbauen konnte.

Hinzu kommt längst eine regelrechte Holzbauindustrie, die mit hoher Vorfertigung im Werk kostengünstig und schnell produziert. "Der Holzbau hat sich in den letzen fünf Jahren verdoppelt", weiß Markus Berchtold.

Die Wurzeln der Vorarlberger Qualitätsarchitektur liegen in der Geschichte. Schon immer brachte das Ländle am Schnittpunkt von Schweiz und Deutschland Architekten und Zimmermannsleute hervor, die in die Welt hinausgingen, Neues mitbrachten, das Wissen zielstrebig ausbauten und weitergaben. Die Vorarlberger Barockbaumeister waren weit über die Grenzen des Landes bekannt, und das Bregenzer-Wälder-Bauernhaus bot schon im 18.Jahrhundert mit seinen beheizten Räumen einen Standard, der andernorts erst ein gutes Jahrhundert später erreicht wurde.

Einmaliges Modell

Das Phänomen Vorarlberg ist im Nachhinein leicht nachzuvollziehen, aber schwer zu kopieren. Es muss schon eine Reihe von Faktoren zusammenkommen, um Baukultur im großen Stil zu ermöglichen. Es braucht Querköpfe ebenso sehr wie Pragmatiker, die eine Initialzündung auslösen. Und mutige Bauherren ebenso sehr wie Behörden, die sich nicht als Paragrafenreiter verstehen, sondern als Partner für gutes Bauen.

Lerneffekt

Was man von Vorarlberg lernen kann? "Vom hohen Ross heruntersteigen", rät Markus Berchtold allen Baumeistern. Schließlich diene Architektur nicht der Selbstverwirklichung, sondern den Nutzern. Selbst der ausgefuchsteste Planer könne noch von seinen Handwerkern lernen - in Vorarlberg "nichts Ungewöhnliches, sondern die Regel". Früher hätten die Architekten die Handwerker getrieben, heute aber seien die Architekten die Getriebenen. Offenbar mit Erfolg.

Inzwischen zählt Architektur zum Exportartikel des kleinen Landes. Büros wie Baumschlager Eberle mit ihren Aufträgen rund um den Globus bilden aber nur die Spitze einer breiten Bewegung, die sich im Ländle verwurzelt hat. Zum Nutzen aller.

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