Banken:Milliarden in fremden Händen

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Spezielle Beratung für spezielle Kunden: Die Großbank Unicredit hat Italiens Einwanderer als Zielgruppe entdeckt - und eröffnet jetzt eigene Filialen für Migranten.

Ulrike Sauer

Was Issam El Khadmi weiß, wissen Bankangestellte in der Regel nicht. Da ist zum Beispiel die Angst vor den Kühlfächern. El Khadmi, 34 Jahre alt, versteht auf Anhieb. "Einen Moslem", so erklärt der Unicredit-Mann in Bologna, "begräbt man am Geburtsort."

Oft aber sei beim Tod von Migranten niemand da, der die Überführung des Leichnams bezahle. Also bleiben die Toten in den Eisschränken liegen. Seinen Kunden in Europas erster Bankfiliale für Ausländer bietet der Marokkaner für 30 Euro eine spezielle Versicherung an. Sie deckt 5000 Euro Transportkosten und stößt auf reges Interesse. "So ist man eine Sorge los", sagt der Banker.

Man duzt sich

Issam El Khadmi stammt aus Casablanca und ist selbst im Alter von 19 Jahren in Italien eingewandert. Er studierte Wirtschaft, Politologie und Diplomatische Beziehungen. Jobs gab es für ihn trotzdem nur als Barmann.

Dann kam er im Konsulat in Bologna unter. Nun sitzt er im blütenweißen, gestärkten Hemd an einem geschwungenen, von der Sonne beschienenen Schreibtisch und hilft, ganz andere Sorgen aus der Welt zu schaffen. El Khadmi arbeitet in der Agenzia Tu, "der Bank, die der Welt von morgen die Tür öffnet'', wie der italienische Finanzkonzern Unicredit seinen jüngsten Ableger bewirbt.

Dem marokkanischen Putenschlachter, der an diesem Morgen vorbeischaut, hat El Khadmi ein kleines Darlehen besorgt. Das klingt einfacher, als es ist. "Bloß nicht zeigen, dass man nichts versteht" - so verhielten sich die meisten Ausländer in der Bank. Damit fangen nicht selten große Probleme an. El Khadmi nimmt den Kunden die Scheu. Sie duzen ihn, trauen sich nachzufragen. "Ich weiß, was ein Einwanderer durchlebt", meint der Nordafrikaner. "Und ich bringe ihnen bei, sich richtig zu verhalten."

Lohneinbuße für Festanstellung

Mit seinem hageren Landsmann spricht der Unicredit-Angestellte drei Minuten über das Darlehen. Zehn Minuten lässt er sich über die Probleme mit der Arbeit und die Hochzeitspläne in der Familie informieren.

Die schwerste Klippe, über die der Banker dem Putenmetzger geholfen hat, war die Beendigung der Schwarzarbeit. "Ich habe ihm erklärt, wie er seinen Arbeitgeber dazu bringt, ihm einen Vertrag zu geben." Er redete ihm zu, für die Festanstellung eine Lohneinbuße in Kauf zu nehmen.

Issam kennt sich aus mit Ämtern und ist versiert in Rechtsfragen. "Unicredit war clever in der Personalauswahl", lacht er. Welcher Bankangestellte weiß schon, wie man eine Aufenthaltsgenehmigung erlangt? Ohne sie gibt es auch bei der Agenzia Tu weder Girokonto noch Kredit.

"Tu" - zu deutsch: Du - spricht die 2,8 Millionen gemeldeten Einwanderer im ehemaligen Auswandererland Italien an. Im Herbst gingen die Pilot-Filialen in Bologna und Mailand an den Start. Acht neue Niederlassungen sollen bis Jahresende folgen.

Giacomo Bacchini, Tu-Filialleiter in Bologna, treibt sich an den Wochenenden auf Ausländerfesten und multikulturellen Veranstaltungen herum, um Kontakt zu den Einwanderern aufzunehmen. "Wir müssen uns die Kunden suchen", sagt der umgängliche Mann aus Ravenna. Seit 16 Jahren leitet er eine Filiale. Nun ist er Pionier im Migranten-Banking.

"Wir bahnen uns den Weg in die verschiedenen Gemeinschaften", berichtet Bacchini. Das ist harte Arbeit: Die südlich der Alpen ansässigen Ausländer gehören 180 ethnischen Gruppen an.

Die Aufklärung begreift der rundliche Italiener als seinen Hauptjob. Viele Einwanderer seien nur mit den Geschäftsbedingungen ihres Heimatlandes vertraut. Manche noch nicht einmal damit. Auf den Treffen stellt er daher "das Bildungsprogramm" von Tu vor.

Eine Art ABC des Geldgeschäfts. Oft sei seinen Kunden nicht klar, dass das Vergessen der monatlichen Kredittilgung automatisch registriert wird. Oder sie stellen Kreditanträge in vier Filialen gleichzeitig. Mit dem Ergebnis, dass sie nirgends mehr Geld bekommen. "Unser Ansatz ist: Wir müssen uns besser verstehen", sagt er.

Schwellenangst nehmen

Seine erste Kundin spürte Bacchini auf, als die helle Filiale an der Via de' Carracci noch gar nicht eröffnet war. Fe, eine 42-jährige Philippinin, irrte durch die Gänge der Unicredit-Zentrale, bevor sie bei ihm ein Darlehen über 5000 Euro beantragen konnte. Die Haushälterin wollte mit dem Geld Schulden bei Freunden begleichen und Möbel kaufen.

Aurelia, 32, aus Moldawien hat es heute leichter. Das Filial-Konzept von Tu zielt darauf ab, den Ausländern die Schwellenangst zu nehmen. Man bemüht sich um Transparenz den Fremden gegenüber. Die Schaufenster geben freie Durchsicht. Schalter gibt es nicht.

Vor den Schreibtischen von El Khadmi und seinem peruanischen Kollegen Freddy Alejandro Silva Torre stehen rote Schalensessel. Die beiden Finanzberater bedienen in der Mittagspause und abends bis 18.45 Uhr. Denn zwischendurch den Arbeitsplatz verlassen können Ausländer selten.

"Da steckt viel Wert drin"

"Wer sich nicht integrieren kann, wird ein Problem für uns", umreißt Bacchini seine Einstellung. Aus der angelsächsischsten aller italienischen Banken ist nicht etwa ein Hilfsverein geworden. Roberto Nicastro, Unicredit-Konzernvorstand für das Privatkundengeschäft, beauftragte Projektleiter Lauro Longarzo im Juli 2005, den Wachstumsmarkt Ausländer-Banking anzugehen. Longarzo stürzte sich mit zwölf Mitarbeitern in die "stimulierendste Aufgabe" seiner Bankerkarriere. "Nichts war vorgegeben", sagt der Vater der Agenzia Tu.

Einwanderer verfügen in Italien inzwischen über 25,7 Milliarden Euro Einkommen. Ein Fünftel davon sparen sie. In zwei Jahren werden Migranten schon hinter jedem fünften Wechsel von Immobilieneigentum stehen. 85,6 Prozent der Kaufsumme finanzieren sie über Kredit. ,,Unser großer Vorzug ist, dass wir Zeit haben'', meint Longarzo. "Da steckt viel Wert drin."

Unsicher schaut Aurelia ihren Tu-Berater Freddy Silva Torre an. Die junge Frau will ein Konto eröffnen. In einer anderen Bank wurde sie gleich abgewiesen. Man habe ihr gesagt, das sei schwierig, erzählt sie in gebrochenem Italienisch. Silva erklärt der Moldawierin, welche Angebote das "Konto tu" umfasst.

Auf ein Blatt Papier malt der Peruaner Kästchen und Pfeile, um Aurelia die Funktionsweise der aufladbaren Geldkarte verständlich zu machen. ,,Sieht absurd aus'', lacht er nachher.

Bevor die schüchterne Frau seine Kundin wird, muss sie in Bologna gemeldet sein. Das Amt macht Schwierigkeiten, weil in der Wohnung schon vier Erwachsene registriert sind. "Ich habe ihr Tipps gegeben, wie sie die Sache angehen soll", sagt Silva Torre zuversichtlich.

Viele Opfer

Der Südamerikaner strahlt die positive Energie eines Mannes aus, der sich nach oben gekämpft hat. Er kam 2000 nach Bologna. Jobbte zweieinhalb Jahre bei McDonald's, sparte Geld, studierte Wirtschaft, verdiente nebenher als Kassierer, half bei Ikea aus, stieg zum Kundenbetreuer eines Glücksspielbetreibers auf.

"Ich habe für mein Fortkommen viele Opfer erbracht", erklärt er. Bei Unicredit bewarb er sich auf der Webseite. Nach vier Einstellungsgesprächen hatte er den Job. "Mein Traum ist in Erfüllung gegangen", sagt Freddy.

Auch Issam glückte in der Via De' Carracci 7 der soziale Aufstieg. Bacchini, Vater von zwei erwachsenen Kindern, hat dort "Neuland entdeckt" und eine Gelegenheit, sich "für andere einzusetzen".

Longarzo erprobt hier seine innovativen Konzepte, um "die Konkurrenz abzuhängen". Und für den marokkanischen Putenschlachter öffnete sich die kleine Tür in eine vielleicht bessere Zukunft.

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