Banken in der Finanzkrise:Die Zündler und ihre Brandbeschleuniger

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Als Lehre aus der andauernden Finanzmarktkrise fordern viele Banker, die internationalen Bilanzierungsregeln anzupassen - dabei waren sie einst die vehementesten Verfechter der Vorschriften.

Konrad Fischer

Deutschlands oberster Bankaufseher Jochen Sanio nennt ihn "Brandbeschleuniger", nach Ansicht von EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy hat er "die Finanzmarktkrise verschlimmert" und Bundesbank-Vizepräsident Franz-Christoph Zeitler glaubt, dass er "Schwankungen der Wirtschaftsentwicklung verstärkt" - die Rede ist vom "Fair Value".

Prozyklische Effekte: Die internationalen Bilanzierungsregeln haben offenbar das Ausmaß der Finanzkrise noch verschärft. (Foto: Foto: AP)

Das ist der Wert, zu dem börsennotierte Unternehmen ihre Vermögenswerte in der Bilanz angeben müssen. Und der entspricht immer genau dem Marktpreis, der beim Verkauf zum gegebenen Zeitpunkt erzielt werden könnte. "Früher mussten Unternehmen die Einkaufspreise angeben", erläutert Bernhard Pellens, Professor für internationale Unternehmensbilanzierung an der Ruhruniversität Bochum. Doch vor drei Jahren einigten sie sich auf den internationalen Rechnungslegungsstandard IFRS (International Financial Reporting Standard) einigten. Ein Teil davon ist der Fair Value.

Für viele Banken ist das Fair-Value-Konzept in der Finanzmarktkrise zum Problem geworden. Denn die Unsicherheit auf den Märkten ist zur Zeit so hoch, dass sich viele Vermögenswerte nicht verkaufen lassen oder zumindest nur einen sehr geringen Marktpreis erzielen - im schlimmsten Fall müssen sie abgeschrieben werden. "Dabei liegt der innere Wert vieler Vermögensbestände oft höher als das der Zeitwert erkennen lässt", schildert Pellens das Problem.

Abwärtsspirale wird ausgelöst

Die Zeitwert-Bewertung hat einen prozyklischen Effekt. Wenn an der Börse Euphorie herrscht, werden die Vermögenswerte zu hoch taxiert, in der Krise wird ihr Wert unterschätzt. Das Problem: An die Zeitwert-Berechnung ist die gesetzlich vorgeschriebene Eigenkapitalquote der Banken geknüpft. Die wiederum bestimmt, wie viele Kredite die Banken vergeben können. Steigt also der Zeitwert einer Bank, kann sie mehr Kredite vergeben. Sinkt der Wert, braucht sie frisches Eigenkapital.

Damit löst die Zeitwert-Berechnung eine unvermeidliche Abwärtsspirale aus: Immer mehr Banken verkaufen, es folgt ein höherer Kapitalbedarf der Banken. Der löst wiederum eine sinkende Kreditvergabe aus - bis schließlich der gesamte Markt illiquide wird.

Deshalb fordern viele Banken jetzt eine Reform der Regeln. Man solle die Festlegung der Vermögenswerte am Durchschnittspreis über einen längeren Zeitraum festmachen oder das Konzept bis zum Ende der Krise einfach aussetzen, so die Forderung. "Es wäre sinnvoll, den Banken rückwirkend zum Jahresbeginn zu erlauben, Wertpapiere der täglichen Neubewertung zu entziehen", meint etwa der scheidende Commerbank-Chef Klaus-Peter Müller.

Prominente Fürsprecher einer Reform

Dabei waren die Banken einst selbst die vehementesten Verfechter des Konzepts. Solange ihnen die Bilanzierungsregeln nutzten, zündelten sie selbst hemmungslos mit den Brandbeschleunigern. Jede Steigerung ihres Zeitwerts nutzten sie zu neuen Kreditvergaben - obwohl sie wissen mussten, dass ihre Wertsteigerungen oftmals rein fiktiv war. Sie steckten ihr Geld in minderwertige Immobilienkredite, deren fehlende Deckung schließlich die Krise auslöste.

Die Zeitwerte sanken, auf einmal brauchten die Banken selbst Geld. Und das konnte ihnen plötzlich keiner mehr geben, da alle in der gleichen Falle steckten. Die Finanzmarktkrise nahm ihren Lauf.

Eine Wiederholung solcher Spekulationsblasen wollen Banken und Aufseher unbedingt verhindern. Ob es daher auch zu Veränderungen der internationalen Bilanzregeln kommt, ist im Moment jedoch kaum absehbar. Vor wenigen Tagen hieß es aus dem deutschen Finanzministerium, eine Revision des Prinzips der Zeitwert-Betrachtung zeichne sich "nach derzeitigem Diskussionsstand nicht ab". Eine Änderung des IFRS-Standards hat jedoch prominente Fürsprecher: Sowohl Deutsche-Bank-Chef Ackermann als auch der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, haben sich für eine Änderung der Regeln ausgesprochen.

Finanzwissenschaftler Pellens warnt vor panischen Reaktionen. "Jetzt einfach zu alten Standards zurückzukehren, hieße, das Kinde mit dem Bade auszuschütten." Vor der Einführung des IFRS-Standards wurden Vermögenswerte mit ihrem Einkaufspreis taxiert. "Solche historischen Werte haben überhaupt keine Aussagekraft", warnt Pellens, "man sollte vielmehr in Ruhe über eine Änderung der mit dem Fair-Value-Konzept verbundenen Regulierung nachdenken."

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