Anlegerschutz:Aus Fehlern lernen

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Der Börsengang der Telekom hat viele Deutsche erst zu Aktionären gemacht. Viele mussten leidvoll erfahren, dass an der Börse auch Verluste möglich sind.

Simone Boehringer

Der gerade angetretene neue Telekom-Chef René Obermann muss nicht nur die schwindenden Kundenzahlen seines Unternehmens schnell in den Griff bekommen. Auch die rund 2,8 Millionen Besitzer von T-Aktien muss er davon überzeugen, dass die Telekom ihr Geld (wieder) wert ist.

Hochs und Tiefs erlebten Anleger, die in die Deutsche Telekom investierten. (Foto: Foto: dpa)

Von dem allgemeinen Kurssturz an den Aktienmärkten im Jahr 2000 hat sich das Papier nicht mehr erholt. Im Frühjahr 2000 lag der Preis bei mehr als 100 Euro. Seitdem notiert die T-Aktie meist mehr oder weniger deutlich unter ihrem einstigen Börsen-Einstandspreis von 14,57 Euro.

Fast drei Milliarden Aktien hat die Deutsche Telekom seit ihrem Börsengang im Herbst 1996 unters Volk gestreut. Fast die Hälfte gehört auch heute noch inländischen Anlegern.

In heimischen Portfolios übergewichtet

Damit ist die T-Aktie in deutschen Depots so weit verbreitet wie wohl kein anderes Dividendenpapier bei den mittlerweile fast zehn Millionen Aktionären im Land. Vor dem Börsengang der Telekom waren nur ungefähr halb so viele Menschen in dieser Anlageklasse investiert.

Schon deshalb gibt es kaum Zweifel an der grundsätzlichen Bedeutung der T-Aktie. "Der Börsengang der Deutschen Telekom hat die Aktienkultur nach vorne gebracht", sagt Roland Oetker, Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW): "Die Privatanleger sind seitdem in der Mehrzahl erwachsener geworden und haben gelernt, dass Aktienkurse an der Börse nicht immer nur steigen."

Hilfreich für Kapitalmarkt-Entwicklung

"Die Telekom ist auch für die Entwicklung des Kapitalmarktrechts in Deutschland ein Schlüsselfall", meint Andreas Tilp, Rechtsanwalt aus Tübingen.

Rund 17.000 T-Aktionäre haben das ehemalige Staatsunternehmen im Zusammenhang mit möglichen Fehlinformationen im Börsenprospekt mit Klagen überzogen. Generell habe "die Regulierungswut der rot-grünen Bundesregierung" an den Börsen zwar nur selten die zunächst anvisierten Ziele erreicht; aber zumindest die aktienrechtlichen Anfechtungsrechte seien deutlich gestärkt worden, so Tilp.

Tatsächlich sind unter Finanzminister Hans Eichel und Justizministerin Brigitte Zypries mit Wortungetümen wie dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz oder dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) viele heikle Themen angesprochen worden.

Nach Meinung von Tilp, der auch Chef der bislang einzigen vom Gericht bestimmten Musterklägerkanzlei für die Telekom-Fälle ist, gibt es in drei Grundsatzfragen "aber noch erheblichen Nachholbedarf": Die Verjährungsfrist müsste von derzeit drei Jahren deutlich verlängert werden.

Beweislastumkehr gefordert

Die Beweislast dürfe nicht, wie bisher, größtenteils beim Kläger liegen. Und die Musterverfahren sollten nach US-Vorbild vereinfacht werden. "So könnten wir zu einer anlegerfreundlicheren Rechtsprechung kommen", was Tilp für eine verbesserte Börsenkultur für wünschenswert hält.

Doch dieses Thema ist unter Experten strittig. Manche Fachleute am Kapitalmarkt und in den Unternehmen monieren schon heute, dass die Informations- und Transparenzpflichten in Deutschland sehr hoch seien.

Und Zustände wie in den USA, wo die Börsenaufsicht SEC mittlerweile so viele Durchgriffsrechte auf die Firmen am heimischen Kapitalmarkt bekommen hat, dass manche europäische Unternehmen die Wall Street lieber meiden, will auch nicht jeder.

Rüdiger von Rosen, Chef des Deutschen Aktieninstituts (DAI), findet sogar, dass der Anlegerschutz "in einigen Punkten schon überzogen ist". So sei etwa die Meldepflicht von Organmitgliedern für Aktienan- und verkäufe der Firmentitel (so genannte Insidergeschäfte), zu umfangreich.

"Da kommen zu viele Meldungen, die Wirkung verpufft." Rosen fordert deshalb eine deutliche Heraufsetzung der Grenze von derzeit 5000 Euro, ab der man die Aktiengeschäfte der Führungskräfte melden muss.

Klare Regelungen bei Gewinn-Besteuerung

Neben dem Anlegerschutz spielt nach Ansicht der meisten Experten auch die Steuerpolitik eine tragende Rolle für die Entwicklung der Aktienkultur. So begründete das DAI den Rückgang der Aktionärszahlen in der ersten Hälfte des Jahres unter anderem mit der Unsicherheit über die künftige Besteuerung von Kursgewinnen.

Nun, nachdem entschieden worden ist, dass ab 2009 eine 25-prozentige Abgeltungsteuer anstelle des komplizierteren Halbeinkünfteverfahrens treten wird, können sich die Anleger darauf einstellen.

"Wir bekommen damit einen völligen Systemwechsel in der Kapitalbesteuerung", stellt Rosen fest. Aufgabe der Regierung sei es jetzt, "Kontinuität zu zeigen". Damit sei der Aktienkultur am besten gedient.

© SZ vom 15.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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