Alternativen zum Pflegeheim:Neue WG für die Oma

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Wenn Oma nicht ins Heim will: Demenz-WGs sind eine alternative Wohnform für verwirrte alte Menschen. Aber nicht jede WG ist eine gute WG: Eine Checkliste für Angehörige.

Sarina Märschel

Keine langen Flure, kein strikter Waschplan, kein Abendessen um halb fünf: In Demenz-WGs sollen verwirrte alte Menschen ein stinknormales Leben führen können - ohne Stundenplan. Aber passt Oma überhaupt in eine WG? Und wenn ja, worauf ist bei der WG-Suche zu achten?

Demenz-WGs: Ein Zuhause für verwirrte alte Menschen (Foto: Foto: dpa)

Das Ziel von Wohngemeinschaften für Demenzkranke ist, Heimat zu sein. Durch die kleine Gruppe an Bewohnern wird Häuslichkeit geschaffen. Was die Wohnform auszeichnet, ist, dass die Betreuung der alten Menschen dort nicht stark therapeutisch orientiert ist. Der Ansatz ist vielmehr: Alltag. Wäsche zusammenlegen, Kartoffeln schälen - die Bewohner sollen das tun können, was sie möchten, ohne Zeitdruck und Stundenplan der Pflegekräfte.

Ein vom Bundesfamilienministerium gefördertes Modellprojekt hat Qualitätskriterien für ambulant betreute Wohngemeinschaften verabschiedet, die im August veröffentlicht werden und in Zukunft bundesweit gelten sollen - bisher aber ist niemand so recht verantwortlich für die Demenz-WGs, deshalb sind die Unterschiede riesig.

Die Wohngemeinschaften fallen nicht unter das Heimgesetz - das ermöglicht Freiheit in der Gestaltung und birgt gleichzeitig Gefahren, weil niemand die alternativen Pflegeeinrichtungen kontrolliert.

Deshalb ist es wichtig, dass die Angehörigen der verwirrten alten Menschen genau hinschauen, wenn sie einen WG-Platz aussuchen. Astrid Grunewald-Feskorn, die Projektleiterin des Bundesmodellprojekts, und Sabine Wenng, die Leiterin der bayerischen Koordinationsstelle "Wohnen zu Hause", die Alternativen zur Heimunterbringung entwickelt und unterstützt, nennen Punkte, die stutzig machen sollten und Zeichen, die auf eine prima WG hindeuten.

Checkpoint 1: Wer hat das Sagen?

Wenn jemand in einer Großfamilie aufgewachsen ist, kennt er das Leben mit vielen anderen schon - und mag es vielleicht auch. (Foto: Foto: Scherl)

Die Bewohner müssen das Sagen in der WG haben.

Sabine Wenng, Koordinationsstelle "Wohnen zu Hause": "Der Demenzkranke in der Wohngemeinschaft braucht einen aktiven Partner - vor allem deshalb, weil statt der Heimaufsicht Angehörige oder gesetzliche Vertreter für die Bewohner-Interessen eintreten. In sogenannten Angehörigengremien wird diskutiert und entschieden - welcher ambulante Pflegedienst engagiert wird, wer einziehen darf und welche Mineralwassermarke auf den Tisch kommen soll.

Astrid Grunewald-Feskorn, Modellprojekt "WG-Qualität": "Schon wenn ich eine WG für meinen Angehörigen anschauen möchte, ist wichtig, dass ich da nicht einfach reinspazieren kann. Wenn der Pflegedienst dort als Hausherr auftritt, würde ich mir schon überlegen: Ist das die Art von WG, die wir wollen? Eigentlich müssten nämlich die Bewohner gefragt werden, ob Besuch willkommen ist - beziehungsweise die Angehörigen. Wichtig ist, dass die Entscheidungsgewalt nicht nur auf dem Papier bei den Bewohnern beziehungsweise dem Angehörigengremium liegt - der Pflegedienst soll auch nicht einfach bestimmen können: In der Spargelsaison gibt es jeden Tag Spargel.

Sabine Wenng: "Je offener für die Angehörigen so ein Haus ist, desto besser ist es. Wenn also die Regelung schon so ist, dass die Angehörigen nur nachmittags zwischen zwei und vier kommen können, dann wäre das für mich schon so ein Alarmlämpchen."

Checkpoint 2: Alltagsgestaltung

Es gibt keinen Stundenplan - jeder darf machen, was er will.

Astrid Grunewald-Feskorn: "Häuslichkeit schaffen, das geht in der Regel im Heim nicht: Wäsche zusammenlegen, Kartoffeln schälen - in den Wohngemeinschaften macht man das, was man zu Hause macht. Die Dementen können sich einbringen, ich sage mal salopp: Sie sitzen nicht im Sessel und starren aus dem Fenster. Es soll Platz sein für Individualität."

Sabine Wenng: "Das heißt, man steht in der Früh auf, aber man kann individuell aufstehen. Es ist eben nicht so: 6.15 Uhr wecken und waschen. Und so setzt sich das den ganzen Tag fort. Dieses ganz Normale, wie wir es aus unserem Leben gewohnt sind, das wird dort weitergelebt und das ist sicher die richtige Antwort für die Krankheit, was man da Menschen mit einer Demenz an Wohlgefühl bieten kann."

Checkpoint 3: Persönlichkeit des Dementen

Ob das Modell Demenz-Wohngemeinschaft für einen Kranken geeignet ist, hängt auch vom Betroffenen selbst ab:

Sabine Wenng: "Wenn jemand vielleicht immer sehr stark isoliert gewohnt hat und das gar nicht gewohnt ist mit anderen so eng zusammen zu sein, dann muss man sich auch überlegen, ob das die richtige Wohnform für einen Demenzkranken ist. Wenn jemand in einer Großfamilie groß geworden ist, dann hat er sicher weniger Probleme, sich einzufügen.

Ob es immer eine gute Alternative für Angehörige ist, möchte ich ein stückweit offenlassen. Wenn die Angehörigen die Zeit haben und das Engagement aufbringen, sich in so einer WG einzubringen, ist es sicherlich das Beste, was für beide Partner passieren kann.

Es ist schon ein Angebot, wo der Demenzkranke einen Partner an der Hand braucht, der immer das ist, das kann auch eine Freundin sein oder ein gesetzlicher Betreuer, wenn er engagiert ist."

Astrid Grunewald-Feskorn: "Aber auch, wenn jemand nie so ein WG-Typ gewesen ist, sonder sich immer eher abgekapselt hat, kann es funktionieren: Er kann ja auch in der WG seinen eigenen Weg gehen. Neulich hatten wir ein nettes Beispiel von einer alten Dame, die Zeit ihres Lebens Personal hatte. Sie setzte sich nicht zu den anderen, die alle Kartoffeln schälten - weil das von ihrem Empfinden her unter ihrer Würde gewesen wäre. Aber das ist ja dann auch kein Problem."

Checkpoint 4: Drei-Säulen-Struktur

Als gelungenes WG-Konzept hat sich ein Drei-Säulen-Modell durchgesetzt, beim dem Vermietung, Betreuung und ambulanter Pflegedienst in verschiedenen Händen liegen.

Astrid Grunewald-Feskorn: "Miet- und Pflegevertrag müssen getrennt sein, und wenn möglich völlig unabhängig. Manchmal ist der Mann der Vermieter, seine Frau hat den Pflegedienst - das sehen wir nicht gern. Die Unabhängigkeit ist wichtig, die WG muss den Pflegedienst kündigen können, wenn sie nicht zufrieden ist.

Es gibt einen Graubereich bei den Wohngemeinschaften: Manchmal werden WGs von Pflegediensten initiiert, denen es nur ums Geld geht - die führen die WG dann wie ein Kleinstheim."

Checkpoint 5: Anzahl der Mitbewohner

In einer Wohngemeinschaft leben in der Regel sechs bis acht Demenzkranke, die dort rund um die Uhr betreut werden. Die Kosten liegen ungefähr gleich hoch wie die Kosten für einen Heimplatz.

Astrid Grunewald-Feskorn: "Wenn in einer WG 16 Leute wohnen, würde mich das stutzig machen - da ist es nicht mehr möglich, Häuslichkeit herzustellen. Es ist wichtig, dass noch auf Individualität eingegangen werden kann."

Checkpoint 6: Pflegepersonal und medizinische Betreuung

Astrid Grunewald-Feskorn: "Es sollten immer zwei Leute vom Pflegedienst da sein."

Sabine Wenng: "Wichtig ist, denke ich, auch noch die medizinische Versorgung. Es ist natürlich schon so, dass die medikamentöse Einstellung von Demenzkranken ein eigenes Arbeitsfeld ist und da braucht man schon Spezialisten an der Hand. Die Beteiligten, die dort tätig sind, sind die beste Qualitätssicherung."

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