Zukunft der Videospiele:Pygmalions Traumfabrik

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Gestern Science-Fiction, heute Milliardengeschäft: In Los Angeles entsteht das digitale Entertainment der Zukunft - für die Spielkonsole.

Tobias Moorstedt

Der Prophet sitzt in einem kleinen, dunklen Zimmer im zweiten Stock. ,,Ich wusste immer, dass dies die Zukunft ist'', sagt Richard Taylor, ,,ich bin nur überrascht, wie schnell alles geht.''

Die neuen Computerspiele wollen nicht nur Reaktionstests sein, sondern die Menschen mehr schütteln als rühren. (Foto: Foto: EA)

Taylor ist Spezialist für Spezialeffekte und Beleuchtung, hat Bühnenshows für Jerry Garcia and The Grateful Dead produziert, Werbeclips gedreht und das Raumschiff für den Star-Trek-Kinofilm entworfen. Er ist ein Veteran des Multimedia-Betriebs, und eines Tages im Jahr 1983, da zeichnete er die Zukunft.

Taylor war für die Spezialeffekte des Films ,,Tron'' verantwortlich. Der Plot ist simpel: Jeff Bridges wird in ein Computerspiel transportiert und rettet am Ende ein Mädchen oder doch die ganze Welt.

,,Tron'' ist deshalb wichtig, weil Taylor und seine Kollegen in dem Film die Ikonographie entworfen haben, mit der Cyberspace und virtuelle Welten noch heute gedacht und verhandelt werden. Neonbunte Linien bezeichnen einen unendlichen Raum in der Zentralperspektive, blitzende Icons, Stadt des Lichts.

Zwanzig Jahre nach ,,Tron'' hat Taylor der Filmbranche den Rücken gekehrt und arbeitet bei Electronic Arts, dem Weltmarktführer für Videospiele. Taylor sagt: ,,Der Computer ist das stärkste visuelle Werkzeug, das je entwickelt wurde.'' Und: ,,Die Kamera ist nichts dagegen.''

Als die Bilder spielen lernten

Entertainment-Computer wie die Xbox 360 oder die Playstation 3 können mit ihren High-Definition-Laufwerken und multiplen Prozessor-Kernen eine fotorealistische Grafik erstellen. Der PS3-Grafik-Chip trägt den unbescheidenen Namen Reality Synthesizer.

Sony wirbt auf der Webseite mit der ,,cineastischen Produktion'' der neuen Spiele. ,,Aber es geht nicht nur um Bits und Hertz'', so Neil Young, General Manager der EA-Studios in Los Angeles, ,,wir beginnen gerade erst, das Potential unseres Mediums auszuschöpfen.'' Schon lange wird mit Videospielen mehr Geld verdient als mit Kinofilmen.

,,Nun möchten wir aber auch Produkte machen, die einen ähnlich berühren wie ein guter Film'', sagt Neil Young. Jeden Donnerstag kommt deshalb Steven Spielberg bei Neil Young vorbei. Zusammen wollen sie zwei Spiele produzieren. ,,Steven ist der geborene Medien-Macher'', sagt Young, ,,er soll uns beibringen, wie man eine Geschichte programmiert.''

Videospiele, die traurig machen?

1984 erschien in einigen Fachmagazinen eine doppelseitige Anzeige. ,,Can a Videogame Make You Cry'', fragte EA seine Kunden und Kollegen, kann es mehr sein als ein bunter Reaktionstest, vielleicht sogar ein Kunstwerk? Young beantwortet diese Frage auch im Jahr 2007 mit einem gequälten ,,noch nicht''.

Aber natürlich ist Los Angeles der richtige Ort, um an der Zukunft des Entertainments zu arbeiten. Hier haben die Warner Brother und Universal die Mythen der Moderne produziert, haben die Menschen berührt, verändert und zum Weinen gebracht.

Hier funkeln die Sterne auf dem Boulevard. In den Studios unter dem immergrünen Hollywood Hill wurden phantastische Welten aus Pappmaché, Styropor und viel Farbe gebaut - künstliche Straßenzüge, Dschungellandschaften und fremde Planeten.

Die Studios von Electronic Arts liegen nur dreißig Minuten entfernt. Schon die Standortwahl wirkt wie eine Ansage an die Filmindustrie: Wir sind jetzt die Traumfabrik!

Technik wie in Hollywood

Das Labor glüht. Die Prozessoren blasen heiße Luft unter den Schreibtischen hervor und gewinnen den ewigen Kampf gegen die Klimaanlage. Das Großraumbüro sieht aus wie ein Filmset. Hier wurde unter anderem das Spiel ,,Medal of Honour'' produziert, ein Kriegsspiel, dessen Bilder jenen von Spielbergs ,,Private Ryan'' zum Verwechseln ähnlich sehen.

An der Wand hängt ein Fallschirm. Schaufensterpuppen tragen historische Uniformen. In der Ecke lehnen Gewehr-Attrappen. Aus Kulisse und Requisiten ist Büro-Dekoration für die Medienmacher von Morgen geworden. Die künstlichen Welten entstehen nicht mehr auf dem Studiogelände, sondern im Computer. ,,Wir verwenden die gleichen Techniken wie Hollywood'', sagt Richard Taylor.

,,Man kann alles machen'', erzählt er begeistert, ,,es gibt keine Einschränkung beim Licht oder der Kamerabewegung.'' Manchmal arbeitet er trotzdem mit Schauspielern. Gerade hat Taylor für das Spiel ,,Command and Conquer'' einige Live-Action-Szenen in den Studios von Culver City gedreht. Vor einem Green-Screen hat er zwanzig Schauspieler dirigiert, um sie später in die digitale Wüstenlandschaft des Spiels zu versetzen.

,,Wir müssen den Spieler emotional berühren'', sagt Taylor, ,,wenn dir echte Menschen in die Augen schauen, dann merkst du: Da ist eine Seele drin.''

Videospiele sind Filme zum anfassen

Gerade wird in den EA-Studios das neue Harry-Potter-Spiel produziert, das zeitgleich mit dem Film veröffentlicht werden soll. Es ist eines der größten Projekte in der Geschichte des jungen Mediums. 127 Leuten arbeiten an der Software. Das Spiel wird in 22 Sprachen übersetzt.

Die Entwickler arbeiten eng mit der Filmcrew von Warner Brothers zusammen. So bekamen die virtuellen Regisseure die Blaupausen der Film-Modelle, Beleuchtungsskizzen und auch die Kostüme zur Verfügung gestellt. ,,Jedes Medium hat seine eigene Berechtigung'', sagt der leitende Produzent Harvey Elliott, ,,das Buch liefert die Details, der Film den Look.

Wenn wir Erfolg haben, dann ist das Spiel die Erfüllung der Phantasie. Dann kann man die Welt selbst entdecken.'' Das Kino hat die Bilder zum Laufen gebracht. Dank dem Videospiel kann man die Bilder nun berühren, anfassen und mit ihnen, ja, spielen.

Harry-Potter-Darsteller Daniel Radcliff ist der Star des Videospiels. Die Schauspieler hatten auch im Videospiel-Studio einen Drehtermin. Kleine weiße Punkte werden auf ihr Gesicht geklebt. Zehn Kameras zeichnen dann auf, wenn Harry erschrickt, zweifelnd die Augen hebt oder sich zum ersten Mal verliebt.

Kaum zu unterscheiden

Mit der Motion-Capturing-Technik werden reale Bewegungen zur Grundlage der Animation. King Kong oder Gollum, die menschlichen Pixel-Monster aus Kinoblockbustern wie ,,King Kong'' und ,,Herr der Ringe'' werden auf die gleiche Art und Weise zum Leben erweckt.

Hollywood-High-Concept-Filme und Videospiele sind sich ohnehin so ähnlich geworden, dass ein flüchtiger Blick auf den Fernsehbildschirm nicht mehr genügt, um festzustellen, ob da gerade eine Szene aus ,,Harry Potter'' im DVD-Player abgespielt wird, oder ob es sich um eine Sequenz aus dem gleichnamigen Videospiel handelt. Die Konsolen spielen ohnehin beide Medienformate ab.

Der Plot hängt vom Spieler ab

In einem Film wird die Steuerung der Bilder vom Regisseur übernommen, er bestimmt was und wann der Zuschauer etwas sieht. ,,Ein Film ist vollkommen linear'', sagt Harvey Elliott, ,,wir hingegen wissen nie was der Spieler als Nächstes vorhat.'' Zwar sind auch beim Videospiel Setting und Figuren von den Designer programmiert, aber der Plot, die Abfolge der Ereignisse auf dem Bildschirm, hängt vom Input des Spielers ab.

Innerhalb der Grenzen des Programmcodes kann er Entscheidungen treffen. ,,Im Kino ist man nur Voyeur'', sagt Richard Taylor, ,,im Spiel dagegen kann man kann als freier Mensch handeln.'' Taylor wirkt wie ein Kind, das endlich das perfekte Spielzeug gefunden hat. Ein Mensch wird in eine fremde Welt transportiert, rettet dort ein Mädchen oder doch die ganze Welt. Was 1983 ein Science-Fiction-Film war, ist heute ein Milliardengeschäft.

© SZ vom 23.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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