Werbung im Internet:Guerillerakampf im Chatroom

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Im Internet wächst eine fragwürdige Form von heimlichem Marketing: Professionelle Werber schmuggeln sich in Diskussionsforen ein.

Von Christian Stöcker

Irgendwann ging Gaby allen auf die Nerven.

Immer wieder schrieb sie Beiträge ins Mogelpower-Internetforum, das sonst nur Fans von Computer- und Videospielen nutzen. Und alle handelten von einem österreichischen Hersteller für Holzspielzeug.

Das interessierte bei Mogelpower eigentlich niemanden so richtig. Trotzdem fand Gaby einige Gleichgesinnte, die allesamt auch sehr angetan von den hölzernen Spielsachen waren.

Mogelpower-Gründer René Meyer fand die fachfremde Begeisterung auf seiner Webseite merkwürdig. Er filterte den Autor heraus. Und siehe da: Offenbar waren Gaby und die anderen Holzspielzeug-Freunde die selbe Person. Alle Beiträge kamen aus der gleichen Gegend, erkennbar an den IP-Adressen der Autoren.

Schließlich fand Meyer heraus, dass alle Beiträge an nur zwei Rechnern geschrieben worden waren. "Gaby" hatte beide benutzt. Meyer suchte auf anderen Webseiten, und auch dort hatte jemand Werbung für die Spielsachen aus Österreich gemacht.

"Gaby" hat viele Kollegen. Internetforen als Plattform für Schleichwerbung zu nutzen ist kein Einzelfall mehr: Vorsicht ist plötzlich geboten an den Stammtischen im Netz.

Eigentlich sind solche Foren eine Art elektronischer Freundeskreis: Gleichgesinnte treffen sich, plaudern oder geben einander Ratschläge. Doch gerade dort, wo viel Wert auf gegenseitigen Respekt gelegt wird, haben sich professionelle Lobhudler eingenistet. "Chat attack" oder "Forum Spamming" heißt die neue Plage.

"Wir arbeiten eher im Guerilla-Bereich", sagt David Eichner vom Münchner Marketingunternehmen "Webguerillas". Seine Firma ist spezialisiert auf "virales Marketing": "Dabei geht es um das Weiterleiten von Werbebotschaften durch Dritte", erklärt Eichner.

Gewinnspiele, kleine Filme oder Spiele werden ins Netz gestellt, die per Email an Freunde verschickt werden können - und nebenbei auf ein Produkt oder eine Dienstleistung hinweisen sollen.

Moorhuhn: Größter Coup der viralen Vermarkter

Das erfolgreiche "Moorhuhn"-Spiel, programmiert für eine Whiskymarke, gilt als größter Coup der viralen Vermarkter in Deutschland.

Zum Repertoire gehören mittlerweile auch als normaler Beitrag getarnte Werbung in Chatrooms und Diskussionsforen. "Sie sind vor der Werbung nirgendwo mehr sicher. Wir machen das fast täglich", sagt Eichner.

Als Beispiel nennt er eine Kampagne für Computerboxen der Firma Logitech. "Im Rahmen einer zweiwöchigen Chat Attack wurden subversive Nachrichten in relevanten Foren der Zielgruppe gepostet, um das Z-680 bei den Meinungsführern ins Gespräch zu bringen", prahlt die "Webguerillas"-Internetseite.

In den notorisch paranoiden Kreisen versierter Internetnutzer kann diese Art von Marketing leicht nach hinten losgehen. Moderatoren von Diskussionsforen reagieren allergisch, wenn jemand nicht mit offenen Karten spielt.

"Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten", erklärt René Meyer. "Sie können richtig böse werden oder die Leute lächerlich machen, dann verschwinden sie von alleine".

Rabiat ging beispielsweise ein Moderator der US-Website Hollywood Bitchslap zu Werke. Im Forum der Film-Fanseite hatte jemand Lobeshymnen für eine Dokumentation über die Heavy-Metal-Band Metallica verbreitet - bevor die überhaupt in die Kinos kam. Moderator Chris Parry suchte in anderen Foren nach ähnlichen Einträgen und wurde fündig.

Daraufhin veröffentlichte er Links zu den zahlreichen wortgleichen Forumseinträgen und beschrieb, wie man Eingeschlichene in Foren erkennen kann:

"Sie treten bei und wählen einen Namen mit einer Nummer darin, weil sie keine Zeit damit vergeuden wollen, sich einen Namen auszudenken, der womöglich schon vergeben ist.

Wenn überhaupt, geben sie eine nichts sagende Email-Adresse von einem Freemail-Anbieter wie Hotmail an. Meistens schreiben sie nur einen Beitrag und verschwinden dann wieder."

Die Wachsamkeit der Netz-Gemeinde nimmt zu. Erst kürzlich wurden zwei Mitarbeiter der britischen Marketingagentur "Babel" aus einem Spielerforum verjagt. Sie hatten für ein Autorennspiel getrommelt.

Das Geschäft läuft

Seinen Dschungelkriegern kann das nicht passieren, ist David Eichner überzeugt: "Die sind geschult, haben Redemanuskripte, wissen, wie sie sich verhalten müssen."

Das Forums-Marketing sei enorm effektiv, man erreiche ja Multiplikatoren. Und das Geschäft läuft: "Wir werden unser Geschäftsvolumen in diesem Jahr verdoppeln", schätzt er.

Nicht alle, die in diesem Bereich arbeiten, sind von Infiltrationsstrategien begeistert.

Justin Kirby etwa, ein Veteran des Internet-Marketing und Chef der US-Agentur DMC, kritisiert die unehrlichen Methoden: "Ich bin nie von den Chatroom-Infiltrationstechniken überzeugt gewesen, ganz abgesehen von den ethischen Fragen, die damit verbunden sind."

Außerdem sei zu bedenken, was es für katastrophale Effekte für das Markenimage haben könnte, wenn die "Guerilleros" erwischt würden. Noch deutlicher wurde Thomas Zorbach von der Agentur "VM-People" in seinem Weblog: "Das ist Bullshit-Marketing!"

René Meyer hat "Gaby" aufgefordert, eine Verlosung des gelobten Holzspielzeugs auf seiner Seite zu organisieren: "So musst Du Dir nicht ständig neue Namen und Texte ausdenken".

"Gaby" alias "Linda" antwortete ein letztes Mal. Das sei eine "super Idee", schrieb sie. Dann verschwanden alle Holzspielzeug-Enthusiasten für immer aus dem Computerspiel-Forum.

© SZ vom 13.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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