Vernetztes Rechnen:Das globale Superhirn

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Es ist eine der großen ungeklärten Fragen der Physik: Woher hat Materie eigentlich ihre Masse? Das wollen Wissenschaftler am internationalen Forschungszentrum Cern klären. Doch wie sucht man in einem Meer an Daten nach bestimmten Mustern?

Ingo Arzt

Mit Außerirdischen hat Peter Higgs eigentlich nichts am Hut. Die Aufgabe, die der englische Physiker der Wissenschaft stellt, zeigt aber zumindestens mit der Suche nach Signalen extraterrestrischer Zivilisationen einige Ähnlichkeiten.

Blick in einen Teil des LHC in Genf. Dort werden die gigantischen Mengen an Daten anfallen, die weltweit vernetzte Rechner dann auswerten sollen. (Foto: Foto: AFP)

Higgs machte sich in den 60er Jahren Gedanken darüber, woher Materie eigentlich ihre Masse hat - eine der großen ungeklärten Fragen der Physik. Sollte seine Theorie stimmen, dann müsste es ein bestimmtes Elementarteilchen geben, das nach ihm benannte Higgs-Boson.

Ob nun Wissenschaftler wie die am internationalen Forschungszentrum Cern in der Schweiz nach deratigen subatomaren Teilchen fahnden, oder ob andere mit Radioteleskopen das All nach Intelligenz abhören: Beide Male geht es um die Suche nach Signalen eines bestimmten Musters in einem Meer elektromagnetischer Spektren.

Ein Meer, das so groß ist, dass die Analyse ein einzelnes Rechenzentrum überfordern würde. Deshalb nutzen Wissenschaftler vernetzte Rechenleistung auf der ganzen Welt.

Von 2007 an haben die Physiker am Cern mit dem Large Hadron Collider (LHC) ein Instrument zur Verfügung, mit dem sie die Existenz des Higgs-Bosons entweder beweisen oder widerlegen können - und damit die Richtigkeit des Standardmodells der Teilchenphysik.

Denn beim Zusammenprall von Protonen in dem 27 Kilometer langen, kreisförmigen LHC wird erstmals eine so hohe Energiedichte erreicht, dass dabei irgendwann ein Higgs-Boson nachweisbar sein müsste.

Die Detektoren in dem unterirdischen Tunnel werden dabei so viel Informationen empfangen, wie heute das gesamte europäische Telekommunikations-Netz umsetzt. "Ab 2008 werden wir ein Million Gigabyte Daten im Jahr auswerten müssen, dass ist ungefähr so viel, wie die gesamte Menschheit im gleichen Zeitraum spricht", sagt Klaus-Peter Mickel, Leiter des Instituts für Wissenschaftliches Rechnen im Forschungszentrum Karlsruhe.

Das dortige Rechenzentrum wird Daten des Cern zum Verarbeiten und Speichern an andere Forschungseinrichtungen in Deutschland verteilen. Es ist der nationale Beitrag zum weltumspannenden Computer-Netzwerk "LHC Computing Grid" (LCG), das größte seiner Art, eigenes für die Auswertung der Datenflut des Cern konzipiert.

Allgemein werden als Grid an mehreren Orten verteilte EDV-Anlagen bezeichnet. Im Fall des LCG stellen momentan 200 Universitäten und Forschungseinrichtungen in Europa, Asien und Nordamerika 13.000 Prozessoren. Bis zum Jahr 2007 sollen es 100.000 werden.

Wissenschaftler werden das LCG nutzen können, als hätten sie den globalen Rechnerverbund direkt auf dem Schreibtisch: Das Management der Prozessoren und Festplatten übernimmt eine Zentrale in Großbritannien. Sie steuert das LCG vergleichbar wie ein Betriebssystem die verschiedenen Teile eines Desktop-PCs.

Sie sind allerdings nicht durch einen wenige Zentimeter langen, internen Datenbus verbunden, sondern durch tausende Kilometer Glasfaser-Leitungen um den ganzen Erdball. Im "Service Challenge 3", dem vorletzten großen Testlauf des Grid, wandern die Daten derzeit mit 10 Gigabit pro Sekunde um den Globus, das ist mehr als 100.000 mal schneller als eine ISDN-Verbindung.

Das SETI (Search for Extraterrestrial Intelligence)-Institut nutzt zur Auswertung von Signalen aus dem All ebenfalls die Rechenleistung von PCs weltweit: Jeder, der einen Computer besitzt, kann sich einen Bildschirmschoner von der Homepage des Instituts herunterladen.

Er lädt automatisch Pakete mit den Daten der Radioteleskope auf den heimischen PC und nutzt dessen Rechenleistung, um darin nach Spuren intelligenter Wesen zu suchen.

"Verteilte Rechner zu nutzen ist mehr als eine Alternative zu Supercomputern. Wir erzielen dadurch mehr Leistung, als durch alles, was wir heute kennen", sagt Jeremy Coles, Betriebsmanager bei GridPP, dem britischen Beitrag zum LCG. Was den neuen Teilchenbeschleuniger am Cern angeht, ist er sicher: "Wir werden Dinge entdecken, an die wir bis heute nicht einmal gedacht haben."

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