Sicherheit:Geheimdienst hört ab - Wirtschaft horcht auf

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Das anglo-amerikanische Lauschsystem Echelon verursacht bei deutschen Unternehmen große Bedenken.

Ulrich Hottelet

(SZ vom 25.4.2001) - Ist die schöne, neue Kommunikationswelt des weltweiten Surfens und Mailens ein einziger riesiger Big-Brother-Container? Mit ständiger Überwachung aller ein- und ausgehenden Mails, Telefonate und Faxe rund um den Globus? Und dem US-Geheimdienst statt RTL2 in der Schaltzentrale? Diese Fragen drängen sich der Nutzergemeinde bei dem in der öffentlichen Diskussion auffallend wenig beachteten Lauschsystem "Echelon" auf, das von der amerikanischen National Security Agency (NSA) zusammen mit befreundeten westlichen Geheimdiensten aus englischsprachigen Ländern betrieben wird.

Zweifel daran, ob ein solch Flächen deckendes Abhörsystem existiert, werden kaum mehr geäußert. Die holländische Regierung informierte ihre Abgeordneten kurz vor einer Parlaments-Sitzung zu Echelon im Januar, dass es das Lauschnetz gibt. Gerhard Schmid (SPD), ein führendes Mitglied im Echelon-Ausschuss des Europaparlaments, geht inzwischen davon aus, dass die USA Wirtschaftsspionage betreiben und warnt deutsche Unternehmen davor. Strittig bleibt unter den Insidern aber deren Ausmaß. Während einige von einer systematischen Überwachung eines Großteils der Telefonate und E-Mails weltweit ausgehen, sind andere skeptisch, ob ein solch dichtmaschiges Abhörnetz technisch möglich ist. Auch welche Ziele wirklich damit verfolgt werden, bleibt im Halbdunkel.

Besonders pikant ist die Angelegenheit für deutsche Firmen, die oft als Konkurrenten amerikanischer Firmen bei Aufträgen im Ausland auftreten. Entsprechend groß ist die Besorgnis: "Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Großindustrie überwacht wird", erklärt Michael Zeyen, Internet-Sicherheitsspezialist von Utimaco Safeware. Harald Summa, Geschäftsführer des Provider-Verbandes eco (Electronic Commerce Forum), sekundiert: "Wir sehen Echelon sehr kritisch." Zwar fehlt nach Aussage von Stephan Lechner, Leiter der Unternehmenssicherheit des Mobilfunkers Viag Interkom, "eine nachweisbare Statistik, wie viele Aufträge wegen Echelon an US-Firmen verloren gingen", aber "man darf annehmen, dass bei der systematischen Erfassung erlangte Kenntnisse an amerikanische Unternehmen weitergegeben werden", so Werner Metterhausen, Spezialist für Netzwerk-Sicherheit bei der Beratungsfirma von und zur Mühlen in Bonn.

Wie umfassend die Überwachung der Kommunikationswege via Abhörstationen und Satelliten mit Schlüsselwort-Suchmaschinen und Spracherkennungs-Software durch NSA & Co. wirklich ist, darüber können auch die Experten nur spekulieren, denn der über 100. 000 Mitarbeiter starke Geheimdienst lässt sich - nomen est omen - kaum in die Karten schauen. Einig sind sich die Spezialisten in dem Rat, wichtige Mails gut zu verschlüsseln, zum Beispiel durch das Kryptographie-Programm "Pretty Good Privacy". "Eine Verschlüsselung mit über 256 Bit ist auch für die NSA schwierig zu knacken", sagt Günther Welsch, Referent für IT-Sicherheit des Branchenverbandes Bitkom.

Der vom Europaparlament in Auftrag gegebenen "STOA-Studie" zufolge (STOA steht für die Abteilung für Technikfolgenabschätzung des EU-Parlaments) unterhält die NSA aufgrund eines Abkommens aus dem Jahre 1948 (Ukusa-Vertrag) gemeinsam mit Partnerdiensten aus Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland das weltumspannende Abhörsystem Echelon.

Während es zu Zeiten des Kalten Kriegs ausschließlich der Kontrolle militärischer Aktivitäten des Ostblocks gedient habe, werde es heute gezielt auch zur Überwachung der multimedialen Kommunikation westeuropäischer Unternehmen eingesetzt, heißt es darin.

Doch die Bundesregierung wiegelt die Bedenken von Firmen und Datenschützern ab. Das Innenministerium verweist lapidar auf seine Stellungnahme zur Anfrage des Bundestagsabgeordneten Hans-Joachim Otto, Vorsitzender der FDP-Internet-Arbeitsgruppe, vom 14. April 2000. Darin heißt es: "Über den gegenwärtigen Stand der Zusammenarbeit mehrerer englischsprachiger Länder bei der elektronischen Fernmeldeaufklärung unter der Bezeichnung Echelon hat die Bundesregierung keine genauen Erkenntnisse."

Trotz der mageren Erkenntnislage kommt das Innenministerium zu dem Schluss: "Im Ergebnis ist auf jeden Fall festzuhalten, dass nach Einschätzung von sachverständiger Seite die - in diversen zirkulierenden Studien zu diesem Thema beschriebenen - technischen Möglichkeiten und Kapazitäten in großen Teilen weit überzogen dargestellt werden."

Belgier protestieren

Kritischer sehen das die europäischen Parlamente. Neben den Strassburger EU-Abgeordneten geht auch der Bundestag den Missbrauchsmöglichkeiten des Lauschsystems in einem Ausschuss nach. Die Regierung der Niederlande bestätigte kurz vor einer Sitzung der Volksvertreter die Existenz des Abhörnetzes. Die belgische Regierung hat offiziell dagegen protestiert. Und in Frankreich, traditionell ein kritischer Bündnispartner der Amerikaner, gibt es eine öffentliche Diskussion über Echelon, in der auch die Regierung ihre Bedenken frei äußert. Der FDP-Bundesparteitag in Bremen hat bereits im Mai 1999 die Bundesregierung aufgefordert, die Einstellung von Echelon zu fordern.

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