Second Life:Die armen Seelen von Second Life

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Es ist höchste Zeit, mit dem Missionieren der Einwohner von Second Life zu beginnen, finden die Jesuiten. Doch haben Avatare Angst vor dem Fegefeuer?

Christian Wölbert

Sie kamen über das Meer, mit festem Glauben im Herzen und wenig mehr als Bibel und Kreuz im Gepäck. Justus von Canterbury bekehrte um 600 nach Christus die Engländer, David Livingstone predigte im 19. Jahrhundert in Südafrika und am Sambesi. Moderne Missionare haben nun aufs Neue ein fernes Reich voll gefährdeter Seelen für sich entdeckt: Second Life. In seiner Ordenszeitschrift Civiltà Cattolica schlägt der italienische Jesuit Antonio Spadaro vor, dort zu missionieren.

Pater Antonio Spadaro, Jesuit und vielleicht schon bald Missionar in Second Life. (Foto: Foto: Catholica)

Und tatsächlich: Auch wenn Weltenerschaffer Linden Labs kürzlich mit gottgleicher Machtfülle Glücksspiele aus Second Life verbannte, frönen die Einwohner weiter dem Cybersex und unreflektiertem Konsum-Materialismus. Einander völlig unbekannte Menschen kommen an den virtuellen Stränden schnell zur Sache, innerhalb von Sekunden verabreden sie sich zum Spontansex. Auch handfeste Kriminalität macht sich breit. Im April geriet Second Life in die Schlagzeilen, weil Avatare untereinander Kinderpornografie ausgetauscht hatten. Angeblich ermittelt sogar das FBI im Cyberspace.

Einige Religionsgemeinschaften sind bereits in Second Life zu finden. Auf dem "Platz der Religionen" stehen Kirchen, Synagogen und Moscheen. Avatare suchen hier Erholung, Gleichgesinnte und einen Platz zum Beten. Mitte August öffnet die digitale Kopie des Kölner Doms ihre Pforten. Wie viele Linden-Dollar das Grundstück kostete, ist nicht bekannt.

Vollkommen neu ist die Idee, Missionare in den Cyberspace zu schicken. Pater Michele Simone, Mitherausgeber von Civiltà Cattolica, sagte der Financial Times: "Wir haben heute mehr als 200 Missionare in China. Ich sehe nichts Außergewöhnliches darin, ein paar Avatare nach Second Life zu schicken." Unter den Jesuiten steht Pater Spadaro mit seiner Idee also nicht alleine da.

Deutsche Pater prüfen noch

Die deutsche Provinz des Ordens ist ebenfalls im Netz aktiv. "Wir bieten auf unseren Seiten Online-Seelsorge an, bald auch Online-Fürbitten", erklärt Dr. Thomas Busch, Sprecher der deutschen Jesuiten. "Das Internet gibt Leuten die Chance, sich an die Kirche zu wenden, die es sonst nicht tun würden". Konkrete Pläne für einen Einstieg in Second Life gebe es aber unter den deutschen Patern noch nicht: "Wir werden das sorgfältig prüfen, müssen aber nicht unter den Ersten sein, die diesen Schritt gehen."

Die Erfolgschancen einer solchen Mission sind ohnehin dürftig. Schließlich kann es den Missionaren nicht darum gehen, die Avatare selbst zu bekehren - diese können nicht einmal sterben. Sie wollen nicht in den Himmel und haben auch vor dem Fegefeuer keine Angst.

Es gilt, die Person dahinter zu erreichen. Doch in der Anonymität von Second Life benehmen sich viele User mit Freude im Herzen und voller Absicht daneben. Beim Cyber-Flirt mit der hübschen Avatarin von nebenan besteht kein Schwangerschaftsrisiko, auch die Chance einer öffentlichen Blamage ist gering. Und weil alles so wunderbar unpeinlich ist, probiert man das aus, was man sich im ersten Leben nicht traut. Zum echten Sünder, den es vor ewiger Verdammnis zu retten gilt, wird der Mensch an Maus und Tastatur dadurch nicht.

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