Pleiten, Pech und Pannen:Wundertüte Web?

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Vor kurzem noch bedenkenlos gehypt, geraten virale Kampagnen in die Kritik. Von Clip-Schwemme ist die Rede und von Abstumpfung. Dabei mangelt es nur am professionellen Einsatz der Disziplin.

Peter Hammer und Markus Weber

Pete gab sich alle Mühe, authentisch rüberzukommen: Und so rappte er, mit Weihnachtsbommelmütze auf dem Kopf, munter drauflos: "PSP, PSP - all I want for X-Mas is a PSP...". Yo! Yea. Den Clip gab's nicht nur auf YouTube zu sehen, sondern auch auf dem Blog der beiden PlayStation-Fans Charlie und Jeremy.

Die bedankten sich umgehend: "luv and thx, pete."Die weltweite Web- und Gamer-Gemeinde fand das überhaupt nicht originell. Vor allem, als sich herausstellte, dass Sonys Viralmarketing-Agentur Zipatoni höchstselbst den Blog eingerichtet hatte.

Die Urteile aus der Web-Community reichten von "erschreckend dumm" bis hin zu "blamabel" und "beleidigend". Sony nahm die Site "alliwantforxmasisapsp.com" daraufhin hurtig vom Netz.

Ein Rohrkrepierer auch "technosexual.de", der Blog eines jungen Mannes mit Namen Tomek, der sein Lebens- und Liebesleid à la Web-Telenovela kommunizierte - und als Blogger auch nicht mit Kommentaren auf anderen Blogs sparte.

Ins eigene Knie geschossen

Nur: Hinter Tomek verbirgt sich die Coty Lancaster Group und deren Frankfurter Agentur d.k.d. Sie sollte den neuen Calvin-Klein-Duft IN2U promoten, für den die Marketer extra die Zielgruppe "Technosexuals" definiert hatten. Der Schuss ging nach hinten los. Nicht nur die Web-Gemeinde war empört, der Agentur flatterte die Rechnung eines anderen Blogbetreibers ins Haus: für nicht erlaubte, als private Meinung getarnte kommerzielle Kommentare.

Pannen im Viralmarketing häufen sich. Agenturen und Unternehmen stellen sich angesichts des Überangebots an Clips auf YouTube & Co. zunehmend die Frage: Was funktioniert überhaupt, und was nicht? Der amerikanische Online-Dienst Marketing Sherpa hat rund 3000 US-Marketer danach gefragt, welche Formen des Viralmarketings "großartige", und welche völlig "trostlose" Resultate gebracht hätten.

Filme allein sind kein Erfolgsrezept

Demnach waren Microsites, Games und Web-Videos in den Augen der Unternehmen am erfolgreichsten. Als ineffektiv erwiesen sich "Tell a friend"-Hinweise auf der Website, das Angebot von E-Cards oder die Aufforderung, E-Mails weiterzuleiten.

Dennoch scheinen Internet-Filme - für sich allein betrachtet - kein ausreichendes Erfolgsrezept zu sein. "Simple Techniken kommen einem Glücksspiel gleich und sind nicht planbar", bestätigt Markus Roder von der Hamburger Agentur Dialog Solutions (DSG). Wer zum Beispiel nur Tabus brechen will, mit sexuellen Inhalten spielt oder durch Gewaltszenen auf sich aufmerksam macht, hat seiner Meinung nach heute keine Chance mehr im riesigen Web-Ozean aufzutauchen.

Bei weniger als ein Prozent aller Streifen, die ins Netz gestellt werden, heißt es, funktioniert die virale Expansion. Und dennoch werden es Tag für Tag mehr Filme.

DSG versucht daher auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse vor allem aus der Evolutionsspsychologie Konzepte für virale Spots zu entwickeln. Im Zentrum steht eine Art Baukasten mit insgesamt acht "Triggern".

Beispiel für einen Trigger: Schock/Angst/Selbsterhaltung, wie er für das Viral für den Energiedrink Kfee eingesetzt wurde. Die plötzlich ins Bild explodierende hässliche Fratze versetzt den Betrachter förmlich in Lebensangst.

Da er aber lernt, dass er dadurch keinerlei Schaden an Leib und Seele nimmt, wird er diese "existenzielle" Erfahrung weitergeben. Roder: "Dieser Mechanismus ist fest im Menschen verankert."

Möglichkeiten sind nicht ausgereizt

Nur wenige Agenturen beherrschen virale Techniken, sagt Michael Zerr mit Blick vor allem auf die Networks, die seit geraumer Zeit den Markt mit Web-Clips förmlich überschwemmen. Der ehemalige Gründer von Yellow Strom ist heute einer der Chefs der Berliner Agentur vm-people und hält die Möglichkeiten viraler Kommunikation für keineswegs ausgereizt.

Doch gibt es eine Reihe von Missverständnissen auf Kunden- wie Agenturseite. So wird oft vergessen, dass "eine virale Kampagne lediglich eine Teildisziplin innerhalb des Marketingmixes sein kann", so Zerr. Auch würden die Möglichkeiten von Internet-Filmen häufig überschätzt. "Sie bringen vielleicht zwei, drei Monate lang Traffic, aber wenn es um den Abverkauf geht, sind andere virale Konzepte oft besser."

Kosten-Nutzen-Verhältnis unschlagbar

Wie Roder warnt er davor, den finanziellen Aufwand zu unterschätzen. So kalkuliert man bei DSG mit einem sechsstelligen Betrag für einen guten Clip - für Konzeption, Umsetzung sowie Seeding, also das Platzieren im Web.

Außerdem, sagt Zerr, steht den eingesparten Media-Spendings auch mal ein höherer Zeit- und Personalaufwand gegenüber, so beispielsweise bei komplexen Alternate Reality Games. Dennoch "ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei guten Kampagnen unschlagbar."

Beispiel AEG: Für den Werkzeughersteller kreierte DSG einen Film. Erreicht werden sollten Handwerksmeister im Alter von 40 Jahren und älter. Eine Gruppe, die wenig Internet-affin ist, aber für die der Umgang mit E-Mails vertraut ist. Daher "spielten wir über Bande", erzählt Markus Roder.

Auf den Viral neugierig gemacht wurden Personen aus dem beruflichen Umfeld der eigentlichen Zielgruppe. Sie mailten den Link weiter. Rund neun Millionen Mal wurde der Film angeklickt, mehr als 1000 Handwerker bedankten sich schriftlich bei AEG. Und der Abverkauf stieg während des Kampagnenzeitraums - ohne flankierende Maßnahmen - um rund 20 Prozent.

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