Patientenschutz im Krankenhaus:Der Chip im Bauchraum

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Gelegentlich vergessen Ärzte bei Operationen Utensilien im Körper des Patienten - mit entsprechend unangenehmen Folgen. Das Forschungsprojekt einer Münchner Klinik verspricht vorbeugenden Schutz.

Jörg Donner

Statistisch gesehen passiert es etwa alle 3000 bis 8000 Mal: Bei einer Operation bleibt im Bauchraum des Patienten ein Utensil zurück. Vor allem Tupfer oder Tücher, die zur Aufnahme von Blut während der OP dienen, werden übersehen und eingenäht. In einigen Fällen heilt die Wunde dennoch, in anderen kommt es zu schmerzhaften Entzündungen. "Wenn so etwas passiert ist das immer mit Leid und Ärger verbunden", sagt Hubertus Feussner, Oberarzt in der Chirurgie der Uni-Klinik Rechts der Isar in München.

Ein Blick über die Schulter der Chirurgen: Jörg Rüdiger Siewert und sein Team im Operationssaal des Klinikums Rechts der Isar in München (Foto: Foto: Klinikum Rechts der Isar)

Oft werden die vergessenen Tücher erst spät entdeckt, weitere Operationen sind die Folgen. "Dieser Problematik treten wir mit dem Forschungsprojekt entgegen", sagt Feussner.

Ein Ziel des Projektes ist es, sämtlich Instrumente und Materialien, die während einer Operation verwendet werden, mit Hilfe sogenanner Radio Frequency Identification (RFID) zu überwachen. Dazu werden Tupfer, OP-Tücher und Kompressen mit Microchips versehen, die ein schwaches Funksignal aussenden.

Empfänger im Material-Archiv, auf der Anrichte im OP, unterhalb des Behandlungs-Tisches und in den Abfalleimern empfangen die Signale und melden den Verbleib von Instrumenten und Tüchern an einen Computer. Somit lässt sich zu jeder Zeit feststellen, ob die Tupfer bereits entsorgt wurden oder noch verwendet werden. Ein Empfänger unterhalb des OP-Tisches meldet, ob sich noch Utensilien im Bauchraum des Patienten befinden.

Noch in der Testphase

"Die Sender haben eine Reichweite von etwa 50 Zentimetern, die Strahlung liegt deutlich unter den Werten von Mobiltelefonen", erklärt Thomas Jell, Projektverantwortlicher beim Forschungspartner Siemens IT Solutions and Services.

Schon die Wahl der richtigen Chips ist dabei nicht ganz einfach: "Das RFID-System darf durch Einflüsse wie Metall, Feuchtigkeit oder Störfrequenzen nicht beeinflusst werden", sagt Jell. So werden die OP-Tücher beispielsweise gewaschen, sterilisiert und wiederverwendet. Eine Prozedur, die die Chips mitmachen müssen. Außerdem darf es keine Wechselwirkungen mit medizinischen Geräten geben.

Im Probe-Operationssaal des Klinikums, der normalerweise für die Ausbildung von Assistenzärzten und Studenten genutzt wird, ist die Überwachung mit RFID bereits im Einsatz. Momentan läuft das Projekt in einer ersten Testphase, deren Ziel unter anderem die Bestimmung der geeigneten Chips ist.

Dabei geht es aber nicht nur um die reine Materialkontrolle, sondern auch um die Nachverfolgung der Operationen selbst.

Unterstützung im Extremfall

"Jede Person im OP trägt einen RFID-Chip, der seine Position kennzeichnet. Also beispielsweise Schwester, Operateur, Assistent und Anästhesist", sagt Jell. Über ein Trackingsystem lässt sich auch von außerhalb des Operationssaales verfolgen, wer sich wo befindet und wann welche Person den OP betritt.

Aus der Analyse dieser Daten wollen die Projektverantwortlichen mehrere Informationen ableiten. So kann man unter Umständen sofort feststellen, ob es bei der Operation Komplikationen gibt. "In der Praxis arbeitet der Assistenzarzt, der Oberarzt überwacht lediglich", erkärt Feussner. "Kommt es zu unvorhergesehenen Schwierigkeiten, verhalten sich die Beteiligten anders, als im Normalbetrieb. Über das Tracking lässt sich das erkennen." Auch der Griff zu einem Instrument, dass an dieser Stelle der Operation unüblich ist, kann ein Hinweis auf Komplikationen sein.

Ressourcenplanung und Raumauslastung

So kann auf eventuelle Schwierigkeiten schnell von außen reagiert werden, beispielsweise durch weitere Hilfskräfte. Ein weiterer Ansatzpunkt des Projekts ist die bessere Terminplanung und Raumbelegung. "Ziel ist es, anhand der gelieferten Daten festzustellen, in welcher Phase sich eine Operation befindet", sagt Feussner. "Dadurch können den nachfolgenden Patienten unnötige Wartezeiten im OP erspart werden."

Für den Patienten hätte die neue Technik den Vorteil einer "gläsernen Operation": Neben dem subjektiven OP-Bericht der behandelnden Ärzte soll die Technik objektiv Vorgänge aufzeichnen und nachvollziehbar machen.

Die Arbeit des OP-Teams würde durch den erfolgreichen Einsatz von RFID ebenfalls vereinfacht: "Die strengen Kontrollen machen Last und Ärger", sagt Feussner. "Jedes OP-Tuch, jeder Tupfer wird vor Beginn der Behandlung und danach gezählt und wehe es fehlt etwas." Neben der größeren Sicherheit für die Patienten entlaste die neue Technik demnach das Personal und verkürze aufwendige Dokumentationsarbeit.

Das Forschungsprojekt ist zunächst auf drei Jahre angelegt. Die Testphase ist dabei auf den Übungs-OP beschränkt, überwachte Operationen am Menschen sind nicht vorgesehen.

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