Online-Spiel "Pennergame":Gar nicht lustig

Lesezeit: 2 min

Pfandflaschen sammeln, Betteln, Mülleimer durchstöbert: Das Online-Spiel "Pennergame" ist vor allem bei Jugendlichen beliebt. Doch Politiker kritisieren es als menschenverachtend.

T. Arnu

Ist es lustig, Pfandflaschen zu sammeln? Macht Betteln Spaß? Im Internet-Spiel "Pennergame" schon. Die Spielfigur durchstöbert Mülleimer nach Pfandflaschen, sammelt Spenden und trinkt ab und zu ein Bier. Der Online-Penner kann in der virtuellen Welt ein Musikinstrument erlernen, sich ein Haustier anschaffen und sich mit anderen Pennern zu Banden zusammenschließen. Überfälle auf eine Currywurstbude oder Trick-Betrügereien bringen wertvolle Punkte. Der Spieler muss sich mühsam hocharbeiten, vom Obdachlosen zum Schlossbesitzer.

Zwei Millionen Mitglieder hat pennergame.de bereits, es gibt Versionen für Hamburg, Berlin, London, Warschau und Paris, weitere Ausgaben sollen folgen. "Aufgrund der satirischen und zum Teil politisch unkorrekten Umsetzung der Thematik empfehlen wir, das Spiel ab einem Mindestalter von 14 Jahren zu spielen", heißt es auf der Penner-Website, aber viele Fans sind deutlich jünger. Nicht nur deshalb schlagen Pädagogen und Politiker Alarm: Das Spiel sei menschenverachtend.

In Frankreich, wo die französische Version "Clodogame" gerade gestartet ist, wird sogar über ein Verbot des aus Deutschland stammenden Spiels diskutiert. Bei "Clodogame" müssen die Online-Clochards Metro-Tickets aufsammeln, sich zu Banden zusammenschließen und Kämpfe um ihre Stadtviertel austragen, um sich im Spiel hochzuarbeiten. Wer besonders viele Punkte sammeln will, sollte auch Diebstähle begehen und vor Schlägereien nicht zurückschrecken. Das Spiel bediene die "schmutzigsten Klischees" und missachte die Würde der Obdachlosen, kritisiert der für Stadtentwicklung zuständige Staatssekretär Benoist Apparu. Den Machern des Spiels wirft Apparu vor, menschliches Leid zu benutzen, um einen "Werbe-Coup" zu landen.

Marius Follert, 20, einer der Erfinder des erfolgreichen Rollenspiels, sieht das etwas anders. "Das Spiel wirkt auf den ersten Blick eigenartig", gibt der Hamburger Jungunternehmer zu, "aber wer sich damit näher beschäftigt, merkt schnell, dass es sich um Satire handelt." Das erkenne man schon daran, dass sich die Spieler Elefanten oder Giraffen als Haustiere halten können, argumentiert Follert. Handlungsgrundlage des Spiels, das er zusammen mit dem Spielentwickler Niels Wildung erfunden hat, sei "ein aktuelles gesellschaftliches Thema", das ironisch gebrochen werde. Den Protesten aus Frankreich steht er ziemlich gelassen gegenüber, denn auch nach dem Start von pennergame.de in Deutschland vor einem Jahr gab es kritische Stimmen. Das Diakonische Werk befand, das Spiel sei diskriminierend und verstärke stereotype Vorurteile gegen Menschen, die auf der Straße leben.

Dem Erfolg hat dies keinen Abbruch getan. Seit pennergame.de vor einem Jahr online ging, hat sich das Spiel zum Renner unter Schülern entwickelt. Mittlerweile ist es eines der größten Online-Rollenspiele in Deutschland, schon vormittags sind Zehntausende registrierter Nutzer online. Sie haben bislang 132792676017 Pfandflaschen gesammelt und 143191562 Flaschen Bier getrunken, wie in der Web-Statistik nachzulesen ist. Mitspielen ist kostenlos, die Seite wird durch Werbung für Katzenfutter, Mobilfunkunternehmen oder Internet-Buchhandlungen finanziert.

Ursprünglich hatte das Spiel laut Follert keine kommerziellen Absichten, aber das scheint sich mittlerweile geändert zu haben. Wer eine werbefreie Version spielen will, muss eine "Ehrenmitgliedschaft" in Silber oder Gold erwerben, für 2,99 oder 4,99 im Monat. Dafür darf der Penner dann unter anderem ein eigenes Bettelschild beschriften oder ein Haustier nach eigenen Ideen erstellen. Ein Teil der Einnahmen gehe an das "Hamburger Spendenparlament" und komme Obdachlosen in Hamburg zugute, verspricht der Anbieter.

Ob sich echte Obdachlose über die Almosen der Online-Penner freuen? Oder fühlen sie sich verhöhnt? In Hamburg und Berlin habe man Obdachlosen das Spiel vorgeführt, sagt Marius Follert, und die hätten wenig auszusetzen gehabt. Die Obdachlosen-Zeitungen Hinz und Kunz und Straßenfeger lobten das Spiel und hatten kaum etwas auszusetzen. Anders in Frankreich: Das Spiel bestätige Klischees über Obdachlose, sagte Jacques Deroo, ein ehemaliger Obdachloser, der Zeitung Le Parisien. Ein Sprecher des französischen Roten Kreuzes nennt das Spiel "eine Schande".

© SZ vom 07.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: