Netzeitung zu verkaufen:Glaub mir!

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Die Netzeitung steht zum Verkauf und putzt sich heraus - gerade noch rechtzeitig.

Christoph Kappes

Als Michael Angele und Matthias Ehlert zum Jahreswechsel die Chefredaktion der nur im Internet erscheinenden Netzeitung (NZ) übernahmen, hieß es, sie würden ,,frischen Wind'' in die Berliner Redaktionsräume blasen. Der norwegische Mutterkonzern Orkla will die NZ verkaufen und verhandelt derzeit mit Interessenten über den Preis. Da stehen Erfolgsversprechen gut zu Gesicht.

(Foto: Screenshot: sde)

Wie auch eine optische ,,Entschlackung'' (Angele): Seit Mittwoch tritt die NZ nach einem Relaunch ihrer Homepage in frischem Gewand auf. Ein Neustart ist auch vonnöten: Im vergangenen Jahr verlor die NZ den Titel ,,meistzitiertes Internetmedium'' an Spiegel-Online.

Längst haben andere bessere Besucherzahlen. Auch die Begeisterung über den Bürgerjournalismus, über den Leser als Reporter, hat sich gelegt. Wo soll er also herkommen, der frische Wind?

"Die Szene ist empfindlich"

Aus dem Internet selbst. Das glauben jedenfalls Angele, 42, und Ehlert, 39, die sich von den Berliner Seiten der FAZ kennen. Die NZ soll nach Vorstellung der beiden die zahllosen Quellen anzapfen, die im Netz vor sich hin sprudeln.

Vieles, was durch den Mit- und Selbermach-Kosmos des Web 2.0 - also durch Internet-Tagebücher (Blogs) und Diskussionsforen - schwirrt, könnten Redakteure aufbereiten. ,,Rückübersetzen ins Web 1.0'', sagt Angele. Aus einer Gerüchteküche mit vielen Köchen eine Story machen. Angele: ,,Eine Zeitung aus dem Netz für das Netz.'' Die Idee ist nicht ganz neu.

Man kann das parasitären Journalismus nennen. Ehlert nennt es Lokaljournalismus: ,,Die Netzeitung hat den größten Lokalteil der Welt: das Internet.'' Und sie bedient sich des größten Reporterpools: der Nutzer des Web 2.0. Deren Geschichten erscheinen unter dem Namen des Redakteurs, mit dem Zusatz: ,,Für das Web ediert von ...''. Das verspricht zumindest: ausgewählt, geprüft, überarbeitet.

Die NZ will sich ja vom Bürgerjournalismus unterscheiden. Angeblich trauert hier keiner der Readers Edition nach, einer von Lesern verfassten Ausgabe, die der ehemalige NZ-Geschäftsführer und Chefredakteur, Michael Maier, bei seinem Ausscheiden mitgenommen hat. Nicht alles, was da zu lesen ist, sei des Lesens wert, meint Angele. Gleiches gelte für Internet-Tagebücher. Es gebe mittlerweile eine ,,Hysterie um Blogs''. Journalisten als Bloggern misstraue man im Internet, wo man sich gerne anarchisch gibt: ,,Da ist die Szene empfindlich.''

Personal-Schwäche zur Stärke machen

Ach ja, die Szene. Eine NZ-Gemeinde stellt sich Angele so schizophren vor wie jene, die früher ,,den Playboy in die FAZ eingewickelt'' hätten. Im Internet müsse man stärker als im Printbereich das Boulevardbedürfnis des Lesers befriedigen. Deshalb richtete die NZ eine ,,Small Talk''-Sektion ein. Oben rechts auf der Seite. So in die Ecke gestellt, könne man sich von der ganzen Sache ,,auch wieder distanzieren'', sagt Ehlert - irgendwie schizophren, aber wohl normal.

Das ernste Geschäft stemmt die NZ hauptsächlich mit Agenturen. Eigens recherchierte politische Hintergrundberichte wären wohl auch zu viel verlangt von einer Redaktion, hinter der kein Print-Verlag steht und die mit einem Blick zu übersehen ist: Zwölf Redakteure surfen, wählen aus und redigieren für die NZ im Großraumbüro von sieben bis 22 Uhr. Für Spiegel-Online arbeiten fast fünf Mal so viele Redakteure.

NZ-Chef Angele weiß die Personal-Schwäche in eine Stärke umzudeuten. Im Vergleich zu den Dickschiffen des Internet-Journalismus verfüge die NZ über eine gewisse Glaubwürdigkeit: ,,Es gibt eine Net-Credibility, ähnlich der Street-Credibility'' - weil hinter der NZ kein großer Verlag stehe. Um den Ruf zu kultivieren, ein wildes Gewächs des Internets zu sein, bemüht man sich bei der NZ, vor allem die Sprache des Netzes zu sprechen: ,,kurz, schnell, prägnant, witzig''.

Bei Druckerzeugnissen würde man das Leser-Blatt-Bindung nennen. Im Internet nennt man es: die Community stärken. Das ist auch Ziel der geplanten Video-Kolumne von Jürgen Kuttner auf der Seite der NZ. Unter der Rubrik Was sagt YouTube mäandert der langjährige Moderator des Rundfunksenders Fritz (RBB), Vater von MTV-Plärrstimme Sarah Kuttner, künftig durch den Assoziationsdschungel zu einem bestimmten, wöchentlich ausgewählten Begriff. Zu den eigenen Gedanken liefert Kuttner das entsprechende Bildmaterial von der Videoplattform.

Möglicher Käufer: Holtzbrinck

Wie groß der Anklang der NZ bei der Netzgemeinde genau ist, lässt sich schwer sagen. Sie meldet keine Zahlen an die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW), plant dies aber für die Zukunft, versichert NZ-Geschäftsführer Philip Graf Dönhoff. Für den vergangenen Monat gibt er die Zahl der Seitenaufrufe, der Page Impressions, mit 20 Millionen an (Spiegel-Online laut IVW: mehr als 400 Millionen).

Profit bringt wohl das Dienstleistungsgeschäft: Aus der NZ-Redaktion werden auch die Internetseiten des Nachrichtensenders N24 und der Teletext von Pro Sieben Sat 1 bestückt. Wie lange das Geschäft allerdings noch läuft, ist ungewiss. Zahlen gibt Dönhoff, ein Neffe der 2002 gestorbenen Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, mit Verweis auf die Verkaufsverhandlungen nicht heraus.

Dass sich der Mischkonzern Orkla mit seinem reichhaltigen Portfolio von Aluminium bis Tiefkühlpizza von der deutschen Medienbeteiligung trennen will, ist bekannt. Dem Vernehmen nach sind beim Bieterverfahren noch zwei Interessenten in der engeren Auswahl: die BV Deutsche Zeitungsholding des Finanzinvestors David Montgomery (Berliner Zeitung, Hamburger Morgenpost) und der Holtzbrinck-Verlag (Tagesspiegel, Zeit, Handelsblatt), der sich seit geraumer Zeit auf großer Einkaufstour im Internet befindet.

Gegen einen Kauf durch Montgomery sprachen bislang kartellrechtliche Bedenken, da die NZ auch am Berliner Radiosender 100,6 Motor FM beteiligt und Montgomery mit der Berliner Zeitung im Sendegebiet bereits publizistisch vertreten ist. Das Interesse der Zeitungsholding beschränkt sich nun offensichtlich nur auf die Online-Geschäfte.

Käme entweder Holtzbrinck oder Montgomery zum Zug, würde die Netzeitung ein Verlagsportal werden, auf dem es mehr um Synergien als um Credibility ginge. Andererseits scheint eine Zeitungsexistenz online ohne die Kraft der gedruckten Worte, die Printunternehmen einbringen, schwer möglich.

© SZ vom 23.02.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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