MP3-Erfinder:Patente Franken

Lesezeit: 3 min

Die Erfindungen des Erlanger Fraunhofer-Instituts sorgen bei der Industrie für Milliarden-Umsätze. Dennoch gelingt es der Denkfabrik, die besten Köpfe zu halten.

Heinz Gerhäuser ist normalerweise nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Doch die Behauptung, in Deutschland gemachte Erfindungen brächten meist nur in anderen Ländern die großen Gewinne, kann er sich mächtig aufregen. "Das stimmt einfach nicht, auch wenn es immer wieder gesagt wird", betont der 61-jährige Chef des Fraunhofer-Instituts Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen. Gerhäuser stützt seine Aussage auf eindrucksvolle Zahlen.

Von Edmund Stoiber mit dem Verdienstorden ausgezeichnet: Prof. Heinz Gerhäuser, Leiter des Erlanger Fraunhofer-Instituts (Foto: Foto: Fraunhofer)

Mehr als 1,5 Milliarden Euro seien im vergangenen Jahr mit MP3-Geräten in der Bundesrepublik umgesetzt worden. Das mache allein 300 Millionen Euro an Steuereinnahmen aus. Klingeltöne auf MP3-Basis für Mobiltelefone wurden 2006 auf dem Inlandsmarkt für 350 Millionen Euro verkauft.

Dem Thema MP3 kann sich keiner entziehen, der mit dem ständig expandierenden Forschungsinstitut in Erlangen-Tennenlohe zu tun hat. Aus dem Jahr 1987 datiert beispielsweise ein Foto, auf dem sich sieben junge und vollbärtige Männer um einen ebenfalls barttragenden Heinz Gerhäuser scharen. Das Foto könnte auch die Geburtstagsfeier einer Gruppe von Jungrevolutionären aus dem Jahr 1968 abbilden.

Umstürzlerisches hatten die Physiker und Ingenieure damals in der Tat im Sinn. Sie entwickelten einen Echtzeitcode mit der noch immer kompliziert klingenden Bezeichnung Low Complexity Adaptive Transform Coding-Algorithmus. Das war letztlich die Geburtsstunde des MP3-Formats, entwickelt aus der Idee, Musik zu komprimieren und über Telefonleitungen zu übertragen.

"Trüffelschweinmentalität"

Unlängst war die New Yorker Sängerin Suzanne Vega in den Forschungslabors im Erlanger Vorort Tennenlohe zu Gast. Denn es war ihr Erfolgssong "Tom's Diner", mit dem das Forscherteam vor zwanzig Jahren herumexperimentierte, um erstmals das gerade gefundene Codierungssystem in die Praxis umzusetzen. Dass sie indirekt an der MP3-Entwicklung Anteil hatte, erfuhr Vega erst Jahre später.

"Neugier, Gespür für Entwicklungen, eben Trüffelschweinmentalität", bescheinigt Gerhäuser seinen Mitarbeitern. Die arbeiten allerdings zu Tarifen des Öffentlichen Diensts. Der Instituts-Chef weiß, dass Headhunter bei seinen Leuten regelmäßig nach fähigen Köpfen suchen. "Da werden manchmal Mondgehälter angeboten", berichtet Gerhäuser.

Dem kann seine Forschungsfabrik weniger Geld als den "guten Teamgeist von Fraunhofer" entgegensetzen. Erfolge werden gemeinsam gefeiert: Wenn beispielsweise eine Ariane-Rakete mit digitaler IIS-Rundfunktechnik den Weg ins All antritt, dann sitzen in Tennenlohe alle zusammen vor den Bildschirmen - und jubeln, wenn der Start geglückt ist.

Es sind nicht immer gleich Welterfolge wie MP3, die in Erlangen-Tennenlohe erdacht und zur Praxisreife gebracht werden. Integrierte Schaltungen stellen ein Gebiet mit großer Spannweite dar. Mikroelektronische Systeme und mit Chips bestückte Geräte haben im Alltag längst überall ihren Platz gefunden. Was Schaltungen und Software betrifft, kommt einiges davon aus Erlangen, sei es in der Telekommunikation, der Audio- und Multimediatechnik und im digitalen Rundfunk.

Die Liste lässt sich noch erweitern, um Navigationsgeräte, Bildsysteme und neueste Röntgentechnik. Oft brauchen die Entwicklungen lang: Bis die Geräte verkaufsfertig in den Elektronikmärkten liegen oder serienmäßig in Fahrzeuge eingebaut werden, können bis zu zwei Jahrzehnte vergehen. "Wir überlegen uns jetzt schon, welche Themen in zwanzig Jahren die Forschung bestimmen können", sagt Gerhäuser. Er ist sich sicher, dass es noch genügend Dinge zu erfinden gibt, die den Menschen das Leben erleichtern können, besonders den Älteren.

Die Ergebnisse sind manchmal verblüffend. Man muss sich nur mal in das Arbeitszimmer von Christian Küblbeck begeben. Der hochgewachsene, schlanke Physiker hat etwas Jungenhaftes, wenn er von seinem Schreibtisch in eine kleine Web-Cam an der Wand blickt und das Gesicht zu Grimassen verzieht. Das tut der 38-jährige Leiter der Abteilung Bildsensorik keinesfalls, um seine vier Mitarbeiter im Raum zum Lachen zu bringen.

Vielmehr haben Küblbeck und seine Kollegen ein System zur Gesichtsbilderkennung entwickelt, dessen Software nicht nur in der Lage ist zu unterscheiden, ob ein Mann oder eine Frau gerade in Richtung Kamera schaut. Es kann auch beurteilen, in welcher Stimmungslage sich die Person im Moment befindet. Die am PC-Schirm angezeigte englische Gefühlsskala reicht von "happy" bis "sad".

Keine Spielerei

Das ist beileibe keine Spielerei. Mit dem Einsatz der Gesichtsfeinanalyse, für die Küblbeck und seine Crew 20.000 Porträtaufnahmen nach jeweils 30.000 Vergleichspunkten abtasteten, können zum Beispiel Werbetreibende erkennen, wie Menschen unbeeinflusst und unwillkürlich auf Plakatwände reagieren.

Noch etwas dienlicher erscheint ein anderes Einsatzfeld: Die Kombination von Kamera und PC-Software kann Autofahrer rechtzeitig vor einem drohenden Sekundenschlaf warnen oder Leute, die gefährliche Maschinen bedienen. Küblbeck ist überzeugt, dass es bis zur Serienreife keines großen Aufwands mehr bedarf.

Die 1949 gegründete Fraunhofergesellschaft betreibt satzungsgemäß anwendungsorientierte Forschung. Die Auftraggeber kommen aus der freien Wirtschaft und über öffentliche Forschungsprojekte. Das ergab zuletzt ein Forschungsvolumen von 1,2 Milliarden Euro. Erlangen-Tennenlohe mit seinen Ablegern in Nürnberg, Fürth und Dresden zählt Fraunhofer-Präsident Hans-Jörg Bullinger zu den wirtschaftlich erfolgreichsten seiner insgesamt 56 Institute.

Kein Wunder, dass der Gebäudekomplex an der Autobahn Nürnberg-Frankfurt ständig wächst. Dabei hat auch hier alles klein angefangen: 1985 nahmen zwei Dutzend Forscher ihre Arbeit in einer ehemaligen Schlosserei der Stadt Erlangen auf. Heute sind es 550.

© SZ vom 25.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: