Majestic:Verfolgungswahn per Abo

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Das neue Spiel "Majestic" läuft nicht im Rahmen der eigenen Software ab, und hört auch nicht auf, wenn man den Computer wieder ausschaltet.

Stefan Schmitt

So etwas hat Frank Hermann noch nicht erlebt. Der PR-Manager für Mitteleuropa beim Computerspiele-Hersteller Electronic Arts hat kein PR-Material zum Verteilen. Die Informationen, die er an die Presse weitergibt, musste ein Mitarbeiter mühsam im Internet zusammenklauben. "Es gab Verstimmung mit USA", sagt Hermann. "Mit USA", das bedeutet mit der Mutter Electronic Arts in Redwood City, Kalifornien. Die betreibt bei ihrem neuesten Online-Computerspiel eine dermaßen zurückhaltende Informationspolitik, dass selbst die Niederlassungen in Übersee nicht genau erfahren, was gespielt wird.

Das Spiel heißt "Majestic" und lebt geradezu von Geheimniskrämerei. Die Mitspieler sollen "die größte Verschwörung der Geschichte" aufdecken. Dabei ist "Majestic" ein Versuchsballon in jeder Hinsicht. Das Spiel, so hofft die gesamte Branche, soll den von ewigen Wiederholungen und lahmen Plagiaten geplagten Computerspielemarkt um ein neues Genre bereichern. "Majestic" soll den Kunden daran gewöhnen, für Spiele Abonnementsgebühren zu zahlen, statt eines einmaligen Kaufpreises. "Majestic" soll sein Medium verlassen und sich mit dem echten Leben vermischen... - Soll, soll, soll.

Was ist "Majestic"? "Majestic", das ist eine Verschwörungstheorie, eine jener Räuberpistolen, die besonders in den USA begeisterte Anhänger finden: Das Wort "Majestic" oder auch das Kürzel "MJ-12" stehen für eine Geheimorganisation, die angeblich das Schicksal der Welt im Allgemeinen und Regierungen im Speziellen steuert. Von der Erfindung der Atombombe über den Kennedy-Mord bis hin zur geheimen Forschung an abgestürzten UFOs - überall hat der mysteriöse Geheimorden seine Finger im Spiel. Gerüchte über "Majestic" und unzählige andere Verschwörungstheorien gab es schon lange, bevor Electronic Arts 1982 die ersten Videospiele programmierte. Das Spiel, dass jetzt für Furore sorgt, bindet einige dieser kruden Geschichten in eine fiktive Ermittlung ein.

Anrufe von Unbekannten

Jeder Mitspieler soll sich als furchtloser Geheimagent fühlen, der den allgegenwärtigen Mächten auf der Spur ist. Im Internet muss er sich - auf Hunderten von fingierten Seiten - Hinweise und Spuren zusammensuchen, fast so wie die TV-Agenten Mulder und Scully in der Mystery-Serie "Akte X". Wenn die nicht mehr weiter wissen, dann bekommen sie meistens einen Anruf vom klischeehaften mysteriösen Unbekannten, der über alles Bescheid weiß. Das geht bei Majestic auch so.

Das Spiel läuft nicht wie gewöhnlich im Rahmen der eigenen Software ab, wenn man es startet, und hört auch nicht auf, wenn man den Computer wieder ausschaltet. Vielmehr ruft es den Spieler an, schickt ihm SMS-Kurznachrichten aufs Handy oder Faxe nach Hause. Ist er gerade online, bekommt er E-Mails oder ein fiktiver Unbekannter kontaktiert ihn über Instant Messaging. Die Schnitzeljagd "Majestic" bedient sich aller Kommunikationswege - das erste Computerspiel, das den Computer verlässt.

Bewerkstelligt wird das über eine Software mit dem schillernden Namen "Experience Server". Das Programm führt Buch darüber, was ein Spieler herausgefunden hat, und ob er bei seinen Ermittlungen einen Hinweis gebrauchen könnte. Kommt der "Experience Server" zu diesem Schluss, dann kann es passieren, das der Spieler mitten in der Nacht von einer hysterischen Frauenstimme angerufen wird, die behauptet, verfolgt zu werden - und etwas ganz Heißes herausgefunden zu haben. Die Computerstimmen gleichen menschlichen zum verwechseln. Man spielt nicht "Majestic", wie seine Schöpfer gerne betonen, "man wird von ihm gespielt." - "It plays you."

Majestic braucht also einen recht sensiblen "Experience Server". Weder darf er sich über den Kenntnisstand eines Spielers im Unklaren sein, noch darf er sich als Computer zu erkennen geben. Vor derselben Herausforderung wie die "Majestic"-Programmierer stehen ihre Kollegen aus der profanen Anwendungsentwicklung. Um Kundenkontakte - etwa für Callcenter - zu verwalten, suchen sie nach Programmen mit den Fähigkeiten des "Experience Servers".

Electronic Arts hofft darauf, das Software-Gerüst von "Majestic" nach einer erfolgreichen Einführung auch auf dem Markt für so genannte Customer-Relationship-Software feilzubieten.

Doch die totale Kontrolle des Spielers ist nur eine Seite. Viel mehr als durch computergesteuerte Impulse wird sich die Handlung der Geheimnissuche durch Klatsch und Tratsch entwickeln. Die Spieler können sich zu Teams zusammentun oder nur lose Informationen austauschen. Auf jeden Fall ist "Majestic" ein Gemeinschaftserlebnis. Gut fürs Geschäft, denn wenn sich Spieler untereinander austauschen können, entstehen die treuesten Fan-Gemeinden.

Doch anders als bei bekannten Beispielen für diesen Effekt, wie etwa dem Simulationsspiel "Sims" vom gleichen Hersteller, soll bei "Majestic" die Gruppendynamik auch bare Münze bringen. Das Spiel wird nämlich im Abo-Verfahren verkauft. Die erste "Folge" ist kostenlos, ab der zweiten werden jeweils neun Dollar fällig. Und je besser sich die Spieler kennen lernen, je mehr sie einander helfen, desto schwerer wird es ihnen fallen, auszusteigen - so das Kalkül. Pete Larsen von Electronic Arts nennt das "sozialen Klebstoff".

Hilfe bei Mord

Der Suchtfaktor könnte aber zum Problem werden, weil bei "Majestic" die Vermischung von Fiktion und Realität Programm ist und nicht nur Nebeneffekt. Electronic Arts erhielt bereits Bewerbungen von unbedarften Arbeitssuchenden für Firmen, die nur auf gefälschten "Majestic"-Webseiten existierten. Wie im Film "The Game" mit Michael Douglas sehen Majestic-Skeptiker den Spieler zaudern: Was ist Spiel? Was ist echt? Gibt es überhaupt einen Unterschied? Zwar wird es die Möglichkeit geben, zu bestimmen, dass alle Nachrichten von Majestic auch eindeutig als solche gekennzeichnet werden sollen. Das, muss Frank Hermann zugeben, "nimmt dem Ganzen aber die Spannung". Rechtlich, betont er, werde man sich jedenfalls absichern, gegen eventuelle Schäden, die das Spiel im wahren Leben verursachen könnte.

Sicher vor dem schwer zu erkennenden Spiel sind auf absehbare Zeit Menschen außerhalb von Nordamerika. Sie dürfen nicht teilnehmen, ebenso wenig wie Minderjährige. Ob "Majestic" nach Europa kommt, hängt nicht nur vom US-Erfolg ab. Vor allem betont Frank Hermann: "Ich denke, in Deutschland würden wir deutlich über dem US-Preis liegen." Grund sind die im Vergleich zu den USA wesentlich teureren Ortsgespräche. Das ist der Nachteil an einem Computerspiel, das telefoniert.

Erste Nachahmer hat "Majestic" bereits gefunden. Seit Frühling läuft ein "Majestic"-ähnliches kleines Online-Rollenspiel als Werbegag für den neuen Steven-Spielberg-Film "Artifical Intelligence". Eine Roboterpsychologin bittet die Netzgemeinde um Hilfe, den Mord an einem Freund aufzudecken. Ihre Webseite ist auf das Jahr 2142 datiert. Im WWW lässt sich eben nicht nur Realität, sondern auch die Zukunft prima fälschen.

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