Interview:Kauft Lexika!

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"Wikipedia"-Gründer Jimmy Wales über seine Internet-Enzyklopädie.

Interview: Steffen Kraft

In Frankfurt am Main treffen sich auf der ersten Internationalen Wikipedia-Konferenz die Macher des erfolgreichsten Internet-Lexikons der Welt. Das Besondere an der Online-Enzyklopädie: Jeder Leser kann Artikel schreiben oder ändern. -- Bis der Nächste wieder etwas anfügt. Den Bedarf an gedruckten Lexika hat das Internet allerdings nicht geschmälert. Die Brockhaus AG hat ihren Umsatz im vergangenen Geschäftsjahr gesteigert. Im Interview spricht der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales über Wissen und Selbstkontrolle im Netz.

"Absolute Neutralität gibt es nicht": Wikipedia-Gründer Jimmy Wales in Frankfurt. (Foto: Foto: ddp)

SZ: Aus wie vielen Bänden besteht das Lexikon in Ihrem Bücherregal?

Jimmy Wales: Null. Enzyklopädien sind teuer, ich besitze keine. Allerdings habe ich nichts gegen Lexika. Ich denke sogar, die Leute sollten sich eine Enzyklopädie kaufen.

SZ: Warum?

Wales: Es ist wichtig, eine stabile Version der Artikel zur Hand zu haben. Bei uns ändern sich die Einträge manchmal im Minutentakt. Diese Aktualität ist der große Vorteil von Wikipedia, kann aber auch zum Nachteil werden.

SZ: Wann zum Beispiel?

Wales: Kurz nach der Papstwahl hat ein Spaßvogel das Bild von Benedikt XVI. mit dem Foto des Imperators aus Star Wars vertauscht. Das Bild stand nur eine Minute auf der Seite. Aber wer den Artikel in dieser Minute aufruft, ärgert sich - und zweifelt vielleicht an unserer Glaubwürdigkeit.

SZ: Werden Sie die Kontrolle verstärken?

Wales: Ja. Auf der Konferenz diskutieren wir, wie wir die Inhalte besser schützen können. Allerdings müssen wir dabei einen Spagat machen. Einerseits wollen wir unser offenes Bearbeitungsmodell erhalten, andererseits müssen wir die Einträge vor Vandalen bewahren.

SZ: Wie wollen Sie das machen?

Wales: Fälle wie den mit dem Papst-Bild können wir verhindern, indem wir Seiten nicht mehr automatisch, sondern etwas zeitversetzt freischalten. Das wollen wir aber nur bei Einträgen versuchen, die besonders oft von Vandalen heimgesucht werden. Ansonsten wird es vielleicht bald so genannte stabile Inhalte geben. Dafür frieren wir Seiten ein, deren Qualität unbestritten ist.

SZ: Und wer kontrolliert das?

Wales: Das wissen wir noch nicht. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die wir hier in Frankfurt besprechen. Eine ist, dass Seiten, die viele Nutzer als ausgezeichnet bewerten, an eine Art Kommission geschickt werden. Dafür brauchen wir allerdings Enthusiasten, die mitmachen.

SZ: Nach welchen Kriterien sollen die Leute die Beiträge bewerten?

Wales: Natürlich soll alles, was in Wikipedia steht, wahr sein. Für die tägliche Arbeit ist der Begriff "Wahrheit" allerdings nicht hilfreich. Die Menschen sind eben oft nicht einer Meinung, was in einem konkreten Fall wahr ist. Wir versuchen daher lieber einen so genannten NPOV zu finden, den neutral point of view. Es ist nicht unsere Aufgabe zu entscheiden, was wahr ist. Wir geben lieber die Diskussion darüber wieder.

SZ: Nimmt Wikipedia diesen neutralen Standpunkt immer ein?

Wales: Selbstverständlich gibt es keine absolute Neutralität. Aber ich denke, wir schaffen es besser als traditionelle Enzyklopädien. Nehmen Sie mal ein altes Lexikon zur Hand. Sie werden bemerken: Viele Artikel erscheinen aus heutiger Sicht alles andere als neutral. Das kommt daher, dass bei oft irgendein Professor die zum Zeitpunkt herrschende Lehrmeinung wiedergegeben hat. Oder einfach seine eigene. Im Internet aktualisieren die Nutzer die Beiträge -- und diskutieren sie über Grenzen hinweg.

SZ: Wikipedia gibt es in vielen Sprachen. Andererseits sprechen doch wieder nur Menschen aus der selben Region miteinander.

Wales: Der Austausch von Daten zwischen den Sprachgemeinschaften ist eine unserer Schwächen. Die Konferenz soll das ändern. Hier nehmen Menschen aus 52 Ländern teil. Danach werden die Daten vieler Länder-Projekte auch in anderen Sprachen abrufbar sein.

© SZ vom 5.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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