Internet:Freiheit, Gleichheit, Zensur

Lesezeit: 3 min

Ausgerechnet Frankreich: Das Land der Bürgerrechte prescht beim Kampf gegen unerwünschte Inhalte im Internet vor und will elektronische Filter vorschreiben.

Von Helmut Martin-Jung

Was hatte man sich nicht alles erhofft vom Internet. Weil elektronische Kommunikation die Welt zum globalen Dorf schrumpfen lässt, werde auch der Weltgeist mit Lichtgeschwindigkeit reiten. Bildung, Wissen um Demokratie und Menschenrechte seien quasi die natürlichen Folgen.

(Foto: Illustration: sueddeutsche.de)

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Ein großer Teil dessen, was im Internet steht, ist mit Müll noch vornehm beschrieben, und, schlimmer noch: Demokratiefeindliche Regierungen und Despoten versuchen alles aus der Datenflut heraus zu filtern, was sie ihre Bürger lieber nicht wissen lassen wollen. Wenn die überhaupt ins Internet dürfen.

Und nun hat es den Anschein, als mache sich zum ersten Mal auch eine demokratische Regierung ernsthaft daran, das Internet zu zensieren. Frankreich will die Internetanbieter des Landes zwingen, mit elektronischen Filtern zu verhindern, dass ihre Kunden illegal Musikwerke, Pornos oder rassistische Inhalte ins Netz stellen.

Der Gesetzentwurf wurde bereits von der Nationalversammlung verabschiedet und liegt jetzt dem Senat vor. Er ist die Umsetzung einer europäischen Direktive (Originaltext siehe Link unten) in französisches Recht.

Wird man also auch in good old Europe bald nur noch das im Internet sehen können, was uns die Regierung und Industrie zu sehen erlauben?

Kollateralschaden

Soweit dürfe es nicht kommen, argumentiert der französische Verband der Internetdienste-Anbieter (Afa), dem alle Großen wie Tiscali, AOL, Wanadoo und Télécom angehören.

Im Gegensatz zur Haltung von Staaten wie China, Iran oder Birma "darf die Einschränkung des von der Verfassung garantierten Rechtes auf Informationsfreiheit nicht als Kollateralschaden betrachtet werden, den man vernachlässigen kann", heißt es in einem offenen Brief (Originaltext siehe Link unten) an die Abgeordneten der Nationalversammlung.

Die Internet-Zugangsanbieter seien nicht dazu bereit, die Kommunikationsfreiheit der Internet-Benutzer zu verschleudern, um damit die Fehler der Musikindustrie auszubügeln. Die hätten es nicht verstanden oder nicht gewollt, so die Afa weiter, die Eröffnung eines neuen Marktes durch den Verkauf von Musik übers Internet vorherzusehen, wollten nun aber die Filterung von Internetinhalten nur aus diesem Grund durchsetzen.

Terra incognita

Es ist aber nicht bloß die Industrie, die mit dem Gedanken liebäugelt, das Internet stärker zu überwachen als bisher und Filter einzubauen. Auch die Politik bewertet den Schutz der Bürger vor Schmutz und den Kampf gegen illegales Gut aus dem Internet höher als die Freiheit in einem Medium, das für viele ihrer Entscheider noch terra incognita ist.

Schwer tut sich auch die Justiz, die vor allem mit dem Problem zu kämpfen hat, was sie in einem freien Land gegen Inhalte tun soll, die hierzulande verboten sind, aber vom Ausland aus ins Internet gestellt werden.

Filter erscheinen vielen als idealer Ausweg. Doch da mutet man Maschinen und Routinen mehr zu als sie leisten können. Zwei Gefahren drohen durch Filterung: Erwünschte Inhalte können ungewollt auf die schwarzen Listen geraten. Inhalte, die man blockieren will, schlüpfen im Tarnanzug durch die Filtersysteme.

Vorreiter Apple

Die Madonna-Musikdatei heißt dann eben M@donna oder M_donna oder M@dona - ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer für einen Silizium-Chip. Findige Computernutzer haben noch immer einen Weg gefunden, die errichteten Sperren zu umgehen.

So etwa der junge Norweger Jon Lech Johansen, der es 1999 im Alter von 15 Jahren schaffte, die Kopiersperre von DVDs auszuhebeln. Er wurde dafür übrigens erst Anfang diesen Jahres in letzter Instanz freigesprochen: Er hatte den Kopierschutz zwar geknackt, die Filme aber lediglich auf seinem eigenem Computer abgespeichert, weil er sie dort abspielen wollte.

Anstatt sich gegen eine Entwicklung zu wehren, die wegen ihrer faszinierenden Vorteile - nahezu verlustfreies Kopieren von Musik und Filmen - ohnehin nicht zu stoppen war, hätte die Industrie besser gleich getan, was ihr der Computerhersteller Apple nun vormacht.

Dessen Plattform iTunes, die für den download eines Song 99 US-Cent verlangt, hat sich unter anhaltendem Druck der Musikindustrie, die illegale Datensammler verfolgt, zum Erfolgsmodell entwickelt. Bereits mehr als 30 Millionen Songs wurden bisher herunter geladen, die illegalen downloads in den USA gingen stark zurück.

Und was tun mit Naziproaganda, mit Kindersex, Tierpornos und anderen Scheußlichkeiten? Es wäre vermutlich der bessere Weg, unsere Kinder so zu erziehen, dass sie von dem Alter an, in dem es ihnen gelingt, Schutzmechanismen auszuhebeln, auch gelernt haben, mit solchen Inhalten umzugehen. Aus dem Leben verbannen kann man sie nicht.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: