"Intelligente" Textilien:Sie können den Teppich jetzt ausschalten

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Meterware mit integrierter Elektronik funktioniert sogar, wenn sie zugeschnitten wird.

Von Karlhorst Klotz

Das Stück Teppich, das Christl Lauterbach Besuchern auf den Tisch legt, ist nur ein Labormuster. Berührt man es mit der Hand, leuchten ein paar im Flor versenkte Leuchtdioden auf. Was wirklich in ihm steckt, zeigt ein Blick auf die Unterseite. An den Kreuzungspunkten von gitterförmig verlegten Strom- und Datenkabeln sitzen Mikroprozessoren, die den Bodenbelag künftig – mit nahezu beliebigen Sensoren bestückt – zur intelligenten Mess- und Anzeigefläche machen können. Er vermag dann die Klimaanlage zu steuern, die Alarmanlage auszulösen oder – in ein anderes Gewebe integriert – Risse in Baumaterialien zu melden. „Genauso könnte man auch Zeltplanen mit Displays ausstatten“, schwärmt Lauterbach vom neuartigen Gewebe.

Einstweilen schweben der Forscherin beim Chip-Produzenten Infineon in München-Neuperlach aber schlichtere Anwendungen vor. Vereinzelte Lichter könnten nacheinander feuern und so in öffentlichen Gebäuden zum Ausgang oder in Kaufhäusern zum Angebot des Tages weisen. Und als Bewegungsmelder eignet sich ein Bodenbelag bereits, wenn er nur einen Mikroprozessor pro Quadratmeter aufweist. Hier wirken schon die Verbindungsdrähte als Sensoren, die bei Fußtritten mit einer messbaren Ladungsverschiebung reagieren.

Ohnehin ist Lauterbach die konkrete Nutzung weniger wichtig als die Vernetzung der Sensoren untereinander. Auch ein elektronischer Teppich muss schließlich wie Meterware auf das gewünschte Maß zugeschnitten werden: Was passiert dann mit den Schaltkreisen? Für Lauterbachs Abteilung war die Antwort Selbstorganisation.

In einer Initialisierungsphase ermitteln die funktionierenden Elemente selbst dann ihre Zeilen- oder Spaltennummer, also ihre Position, wenn einzelne Chips oder Drähte defekt sind. „Die Mikroprozessoren müssen nur wissen, in welchem Abstand sie sitzen, dann können sie sich selber durchzählen und ihre Position ermitteln“, beschreibt Lauterbach das „Booten“ des Teppichs.

Eine an der Seite in den Bodenbelag eingespeiste Information erreicht die Prozessoren so auch im letzten Winkel. Direkte Pfade und notfalls Umwege findet eine Rechenvorschrift, die Infineon ursprünglich für elektronisches Papier entwickelt hat, also für flexible elektronische Displays, die Texte und Bilder anzeigen können.

Noch trickreicher ist das Einsammeln der Daten von den Sensoren, wenn zum Beispiel mehrere Personen über den Teppich laufen und individuell erfasst werden sollen. „Wenn viele Daten gleichzeitig anfallen, stellt das hohe Anforderungen an den Datentransport im Teppich“, sagt Lauterbach. Die Prozessoren müssen die Daten in der richtigen Reihenfolge zum Steuerrechner am Rand des Teppichs schaufeln.

„Der Teppichboden ist nur der Anfang“, sagt Lauterbach, während sie mit der Hand über das quadratmetergroße Labormuster streicht. „Wir suchen in der Industrie Kooperationspartner, die mit uns ein gewebtes Textil mit integrierter Elektronik entwickeln.“ Statt der im Labormuster per Hand eingefädelten Litzen müssten feine Metalldrähte eingewoben, Löcher gestanzt, noch flachere Chips eingesetzt und in einem Arbeitsgang verkapselt werden.

In drei Jahren könnte solch ein Stoff marktreif sein und „ein ziemlich breites Anwendungsfeld eröffnen“, hofft die Infineon-Forscherin.

„Etwas industriell zu fertigen, was man in größeren Flächen zum vernünftigen Preis verlegen kann, ist der richtige Weg“, sagt Rodney Douglas vom Institut für Neuroinformatik (INI) derUniversität und der Technischen Hochschule in Zürich. Bei der Schweizer Landesausstellung im vergangenen Jahr hatte das INI den Raum „Ada“ installiert.

Mehr als eine halbe Million Besucher wandelten in Neuchâtel über einen „intelligenten“ Boden, dessen 65Zentimeter große Wabenelemente in unterschiedlichen Farben aufleuchten konnten. „Ada hat die Besucher entdeckt, ist ihnen auf ihrem Weg gefolgt und hat sie je nach Bewegungsmuster mit charakteristischen Farben markiert“, erzählt Douglas.

Ein solcher Spaß- und Erlebnisraum zeigt nach Ansicht des Professors schon jetzt, was im „intelligenten Haus“ machbar sei: „In der Zukunft sollten Böden und Wände mit einem Bewohner oder Besucher inter agieren.“

(sueddeutsche.de)

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