IFA-Trends 2008:Im Netz der Technik

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Das TV-Gerät im Wohnzimmer soll die Zentrale für die Vernetzung zu Hause werden. Doch der Mensch ist leider zu dumm, um drahtlose Musikanlagen zu verstehen.

Thorsten Riedl

Achim Berg lebt die Zukunft heute. Der Chef der deutschen Niederlassung von Microsoft wohnt eigentlich im Rheinland. Wenn er aber von seinem Büro in Unterschleißheim bei München die Heizung zu Hause aufdrehen will, ist das kein Problem. Auch von jedem anderen Ort der Welt kann er die Elektronik im eigenen Heim steuern, sofern Berg Zugang zum Internet hat: Alarmanlage scharf schalten, per E-Mail informiert werden, wer gerade vor der Tür steht, oder die Jalousien schließen. Alles kein Thema.

Fernseher wohin das Auge reicht: Aber nur Zu- und Abschalten ist Geschichte. jetzt wird gesurft, gespielt und gesteuert. (Foto: Foto: dpa)

Berg wohnt in einem intelligenten Heim, seit er bei der Deutschen Telekom im Vorstand gesessen hat. Der ehemalige Staatsbetrieb betreibt deutschlandweit noch ähnliche Projekthäuser. Viele Technologien, die dort zu bewundern sind, waren vor einigen Jahren noch Science Fiction. Inzwischen gelten sie als alltagstauglich. Zur Funkausstellung, die am Donnerstagabend von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet wird, gibt es eine Reihe von Produkten zu sehen, mit denen jeder seine Träume vom digitalen Zuhause ausleben kann. Im Mittelpunkt steht der Fernseher. Er wird zum Multimedia-Talent und zur Steuerungszentrale in den eigenen vier Wänden. Wenn der Kunde das denn will: Noch kommen die Ideen für die Vernetzung im eigenen Heim nämlich in erster Linie von den Herstellern - nicht von den Verbrauchern.

TV zum Fotos anschauen

Rechtzeitig zum Start der IFA hat der Bitkom, der Branchenverband der Informationstechnologie (IT)- und Telekommunikationsfirmen, eine Studie vorlegt. "Wofür wollen Sie Ihren Fernseher neben dem Schauen von TV-Sendungen nutzen?", lautete eine der zentralen Fragen. Allein das Zeigen von Digitalfotos stieß auf Interesse. Von den Befragten möchten mehr als 60 Prozent ihre digitalen Bilder lieber auf dem großen Schirm im Wohnzimmer als am Monitor im Arbeitszimmer anschauen, oder sie tun das bereits.

In anderen Bereichen zeigten sich die Verbraucher weniger zukunftskompatibel: Über das Fernsehen im Internet surfen oder E-Mails beantworten? Musik oder Spielfilme herunterladen? Oder online spielen, Dokumente etwa von einer Textverarbeitung lesen oder Videotelefonate mit den Lieben führen? Technisch alles möglich heutzutage. Doch auf alle Fragen antworteten zwei Drittel oder mehr der Studienteilnehmer, das sei für sie nicht interessant.

Die Industrie setzt darauf, dass den Verbrauchern der Appetit beim Essen kommt: Sind erst einmal die Geräte mit der entsprechenden Technik verfügbar, werden sich schon Käufer finden. "Das vernetzte Haus wird Realität", sagt etwa Fabien Roth, Marketingverantwortlicher im TV-Geschäft von Panasonic. "Ein erster Schritt ist die entsprechende TV-Plattform, die zur IFA zu sehen sein wird. Dann geht es weiter." Ebenso wie andere Konzerne der Unterhaltungselektronikindustrie, Pioneer, Samsung oder Sharp, wird Panasonic bei der Funkausstellung Flachbildfernseher mit Internetanschluss zeigen.

Von Branchengrößen wie Philips und Loewe gibt es Musikanlagen, die mittels Funknetzen auf die Lieder im heimischen PC zugreifen. Und, ja: Kühlschränke, Wasch- und Kaffeemaschinen mit Internetanschluss gibt es in Berlin auch zu sehen. Die Aussteller der weißen Ware kommen in diesem Jahr zum ersten Mal auf die IFA. Die Verbindung zum Netz dient bei solchen Geräten in erster Linie dazu, im Wartungsfall den Techniker zu alarmieren.

Komplexität? Nein danke

Für die Verbraucher haben die zunehmende Vernetzung im Haushalt und die neuen Funktionen von Fernseher, Musikanlagen und Kühlschränken einen entscheiden Nachteil: Es wird komplizierter. "Klar", sagt ein Manager aus der TV-Branche, "früher gab es beim Fernsehen nur zwei Möglichkeiten: zuschauen oder abschalten." Trotzdem haben die Firmen allem Anschein nach ihre Lektion gelernt. In jedem Gespräch ist von "Ease of use" die Rede, neudeutsch für die einfache Bedienbarkeit der Geräte. "Der Verbraucher wird keine Lösungen akzeptieren, mit denen die Komplexität im Haus noch erhöht wird", erklärt Michael Schidlack, ehemals Chef eines Elektrofachmarktes und jetzt beim Bitkom zuständig für das Gebiet Digital Home.

Bis vor kurzem gab es in der Branche noch eine angeregte Debatte, ob nun Fernseher oder Computer die Vernetzung zu Hause steuern werden. Vor allem die komplizierte Bedienung der Rechner hat die Frage entschieden. "Viele Kunden haben schlechte Erfahrungen mit der Media-Version von Windows gemacht", sagt Roth von Panasonic zum speziellen Microsoft-Betriebssystem, das eigentlich darauf ausgelegt ist, die Wohnzimmer zu erobern. Diese Schwäche nutzen die Fernsehhersteller nun: Sie entwickeln eigene Bedienkonzepte.

Der Kampf ist entschieden - doch die IT wird dennoch weiter tief in das Heim der Verbraucher eindringen. "Der Fernseher hat 'Computerfähigkeiten' bekommen", sagt Henrik Köhler, Leiter der Sparte Consumer Lifestyle bei Philips in Deutschland. So gehören eine Festplatte, Internetanschluss und eine spieletaugliche Auflösung zur Ausstattung vieler TV-Geräte, die bei der IFA zu sehen sind. Bislang zählten solche Funktionen in die Domäne des Rechners im Arbeitszimmer. Die Firmen der Unterhaltungselektronik kämpfen nun damit, die Geister in den Griff zu bekommen, die sie gerufen haben.

So haben sich in der Digital Living Network Alliance (DLNA) mehr als 30 Unternehmen zusammengeschlossen. Das Komitee will sicherstellen, dass auch wirklich alle Geräte miteinander kommunizieren, sind sie erst einmal vernetzt. Es gibt jedoch auch andere Standards als die der DLNA. "Für Verbraucher heißt das, dass sie unter Umständen Produkte kaufen, die im Heimnetz gar nicht miteinander kompatibel sind", erklärt ein Branchenkenner. So verschmelzen IT und Unterhaltungselektronik auch bei den Anwendungsproblemen.

© SZ vom 28.08.2008/gut - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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