Erster interaktiver Internet-Krimi:Roman zum Mitmachen

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Musische Qualitäten, ein Spiel-Roman - das Internet kann Neues aus der Literatur herauskitzeln. Erfolgsautor Akunin hat einen solchen interaktiven Roman verfasst.

Ingo Petz

Unter stalinistischen Bedingungen lässt es sich nur schwer nachdenken. "Los antworte!", befiehlt der Offizier. "Nicht herumtrödeln! Schau mir in die Augen." Seine Taschenlampe blendet. Wie soll man da einen Genossen für das bevorstehende Krimi-Abenteuer zusammenbasteln?

Der Krimi soll künftig interaktive Züge bekommen. (Foto: Foto: dpa)

Es ist eine Szene aus dem ersten interaktiven Internet-Roman des Bestseller-Autors Grigori Tschchartischwili - besser bekannt als Boris Akunin. Unter diesem Pseudonym hat der georgisch-russische Schriftsteller seit 1998 allein in Russland mehr als 15 Millionen Bücher verkauft. Bisher wurde sein Werk, das von der Kritik gern für seine ungewöhnliche Sprachkunst und Originalität gelobt wird, in 24 Sprachen übersetzt.

Ein wahrhaft neues Projekt

Der 52-jährige Autor aus Moskau hat zwei Leidenschaften: Abenteuergeschichten und Computerspiele. Für sein neues Buch hat der Erfinder des Sherlock-Holmes-artigen Ermittlers Erast Fandorin nun versucht, beide zu verbinden.

Auf der Internationalen Buchmesse in Moskau stellte Akunin unter großem Medien-Tamtam sein neues Projekt vor. Es heißt rollenspiel-verdächtig "Kvest" und soll nicht nur Spaß machen und die Gehirnzellen anregen, sondern dem Autor zufolge außerdem Schriftstellern "kolossale Möglichkeiten" bieten, ein komplett neues Produkt zu kreieren, das man nicht nur lesen könne, sondern auch spielen und hören.

Abgesehen von den musischen Qualitäten, die das Internet im Idealfall aus der Literatur herauskitzeln könnte, dürfte sich solch ein Spiel-Roman auch als eine potentielle Erwerbsquelle für Autoren erweisen, die an die Möglichkeiten des Netzes glauben und neuen Wegen für ihre Kunst offen gegenüberstehen.

Akunin will diesen Weg offenbar ausprobieren. Die Geschichte, die er sich dafür ausgedacht hat, spielt in der Sowjetunion der dreißiger Jahre in einem Forschungslabor. Im Zentrum des Geschehens: ein amerikanischer Wissenschaftler, mit dem der Spieler "ein Geheimnis der Menschheit" lösen muss.

Stalin und Lenin auf dem Cover

Ihn interessiere diese Epoche, erzählte Akunin, weil es einerseits eine Zeit der wissenschaftlichen Entdeckungen und Arbeiten und andererseits eine Zeit der ethischen Krise gewesen sei, in der moralische Fragen vollkommen untergraben worden seien. Auf dem Umschlag des Buches, das als gedruckte Version am 20. Oktober auf dem russischsprachigen Markt erscheint, sind unter anderem Stalin und Lenin abgebildet.

Von der interaktiven Version des Romans www.elkniga.ru/akunin ist im Moment noch nicht allzu viel zu sehen. Denn das Spiel wird erst am 15. September freigeschaltet. Die ersten Seiten zeigen bereits, dass Akunin auch weiterhin auf den Text, das Lesen in seiner traditionellen Form setzt. Das Design ist extrem schlicht, aber schick gehalten: kein Flash, kein 3D, kein animierter Popanz.

In den Fließtext sind ein Glossar, Fotos oder auch Musikstücke eingebunden. Der gewillte Spieler zahlt, um zum ersten Kapitel zu gelangen, 75 Rubel, umgerechnet etwa 2,05 Euro. Am Ende erwartet den Leser eine Rätselaufgabe. Falls er diese lösen kann, ist der Zugang zum nächsten Kapitel gratis. Falls nicht, zahlt er weitere 32 Rubel (rund 0,88 Cent) - das ganze Paket kostet 150 Rubel (etwa 4,13 Euro).

In der gedruckten Ausgabe, die als konventioneller Roman daherkommt, hat Akunin eine Art geheimes Level eingebaut, wie es in Computerspielen vorkommt. Über dieses ließe sich - so verriet ein Mitarbeiter von Akunins Agentur der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti - der Ausgang des Romans verändern. Den Code zu dem Geheimlevel kann der Benutzer der elektronischen Version wiederum zu einem günstigen Preis im Internet erwerben.

Ob Akunin-Fans hierzulande irgendwann in den Genuss kommen werden, das ungewöhnliche Netz-Experiment begutachten zu können, hängt in erster Linie wohl vom Erfolg des russischsprachigen Pilotprojektes ab. Für den deutschsprachigen Raum sei, sagte Akunins Managerin Erika Voronova der Süddeutschen Zeitung, vorerst kein solches Internetspiel geplant.

© SZ vom 9.9.2008/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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