Einzelne Wahlcomputer sind manipulierbar:System der kollektiven Sicherheit

Lesezeit: 3 min

Auch in Deutschland darf mit Wahlcomputern gewählt werden. Klingt komisch, ist aber so. Dabei sind die Geräte manipulierbarer als bisher angenommen. Nun wächst der politische Protest - und wird bald das Verfassungsgericht erreichen.

Bernd Oswald

Wählen ist eigentlich eine einfache Sache. Nur das Auszählen dauert mitunter länger als gewünscht. Damit das einfacher und schneller geht, gibt es Wahlcomputer. Und genau da wird die Sache wieder kompliziert. Die Geräte arbeiten nach Ansicht ihrer Kritiker nicht transparent und sind manipulierbar.

Ein simpler Tastendruck auf den elektronischen Wahlzettel genügt. Kompliziert wird es erst bei der Sicherheitsarchitektur der Software (Foto: Foto: ddp)

Dies demonstrierte kürzlich ein deutsch-niederländischer Hackerverbund am Beispiel eines Wahlcomputers der Firma Nedap, die Gemeinden in beiden Ländern mit ihren Wahlgeräten beliefert. Den niederländischen Computeraktivisten "Wij vertrouwen Stemcomputers niet" (Wir vertrauen Wahlcomputern nicht) gelang es, in Zusammenarbeit mit dem Berliner Chaos Computer Club, auf dem Wahlgerät Nedap ES3B ein manipulatives Zusatzprogramm aufzuspielen.

Wahlgerät zum Schachcompter frisiert

Der Clou an "Nedap Power Fraud": Jedes Mal, wenn eine Stimme für Partei A abgegeben wird, entscheidet das Programm, ob die Stimme tatsächlich für Partei A gewertet wird - oder aber in einen Zwischenspeicher wandert. "Nedap Power Fraud" zog am Ende der Partei A einen Teil der im Zwischenspeicher befindlichen Stimmen ab und verteilte sie an eine andere Partei.

Der ganze Eingriff dauerte gerade einmal fünf Minuten und wurde vor laufenden Fernsehkameras vorgeführt. Um die Demütigung für den Hersteller komplett zu machen, brachten die Hacker auf dem Wahlcomputer auch noch ein Schachprogramm zum Laufen. Mit den Wahlcomputern, die bei den Kongresswahlen in den USA Probleme bereiteten, haben die Nedap-Geräte allerdings nichts zu tun.

Herbert Schulze Geiping, Geschäftsführer der HSG Wahlsysteme GmbH, die die niederländischen Nedap-Wahlcomputer in Deutschland vertreibt, verteidigt seine Geräte gegen den erfolgreichen Hack: "Es wird nie ein Wahlgerät geben können, das für sich allein manipulationssicher ist." Allerdings seien sämtliche Nedap-Wahlcomputer "stand alone"-Geräte, ein systematischer Hack somit ausgeschlossen.

Die Sicherheit komme durch die menschlichen Kontrollen: die Geräte stünden im Wahllokal unter ständiger Aufsicht und würden ansonsten vom Staat sicher verwahrt. Ein System der kollektiven Sicherheit sozusagen. Und dann verweist Schluze Geiping noch auf den Abschreckungseffekt: "Eine Manipulation der Geräte, egal an welcher Stelle im Prozess, ist gesetzeswidrig und wird strafrechtlich verfolgt."

In Deutschland noch keine Manipulationsversuche bekannt

Dennoch ist man auch in Deutschland ins Grübeln gekommen. "Wir würden jetzt, in dieser neuen Lage, dem Innenministerium nicht mehr raten, die Erklärung, dass die Geräte noch ausreichend sicher sind, ohne Einschränkung abzugeben", sagte Dieter Richter, Fachbereichsleiter "Metrologische Informationstechnik" bei der Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in einem c't-Interview zu dem spektakulären Hack.

Die PTB prüft im Auftrag des Bundesinnenministeriums (BMI) je ein Musterexemplar von Wahlgeräten. Entspricht das Gerät den Richtlinien für die Bauart von Wahlgeräten, erteilt das Ministerium eine Bauartzulassung. Dieses Prozedere wird für jeden Gerätetyp vor jeder Wahl wiederholt.

In Deutschland gibt es E-Voting bereits seit der Europawahl 1999, vor allem in Nordrhein-Westfalen. Bei der Bundestagswahl 2005 wurden in 2,25 Prozent der Wahllokale elektronische Wahlgeräte eingesetzt. Manipulationsversuche gab es nach Angaben des BMI bisher nicht.

Online-Petition mit 45.000 Unterschriften

Dennoch gibt es auch hierzulande einige Kritiker, die gegen den Einsatz der Stimmenmaschinen aktiv werden. Vergangene Woche lief die Zeichnungsfrist für eine Petition aus, die die ersatzlose Streichung des § 35 Bundeswahlgesetz fordert, welcher die Stimmabgabe mit Wahlgeräten erlaubt. Die Online-Petition erhielt mehr als 45.000 Unterschriften und wird nun vom Petitionsausschuss des Bundestages geprüft.

Noch einen Schritt weiter geht der promovierte Physiker Ulrich Wiesner, der gegen das Ergebnis der Bundestagswahl 2005 klagt. Der 39-Jährige stört sich daran, dass die Wähler den Behörden vetrauen müssen, bei denen die Wahlgeräte aufbewahrt werden. "Es geht einfach nicht, dass sich die Behören selbst einen Persilschein ausstellen."

Für Wiesner widerspricht der Einsatz der Wahlgeräte dem Öffentlichkeitsprinzip bei Wahlen, weil die Stimmabgabe mittelbar über das Wahlgerät und die zum Einsatz kommende Software erfolgt. Dabei kann seiner Ansicht nach nicht überprüft werden, ob die abgegebene Stimme sofort und unverändert im Stimmenspeicher abgelegt wird - und ob sie bis zur Ermittlung des Wahlergebnisses nicht mehr verändert wird: "So wird eine wirksame Kontrolle der Wahlen durch die Öffentlichkeit verhindert."

Bundestag, Richter in eigener Sache

Wiesner fordert unter anderem, die Wahl dort zu wiederholen, wo elektronische Wahlgeräte eingesetzt wurden. Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages hat den Einspruch wie so oft als "offensichtlich unbegründet abgelehnt". "Als Richter in eigener Sache ist er aber befangen", sagt Wiesner, der damit rechnet, dass das Bundestags-Plenum in der kommenden Woche der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen wird. Dann wird er "auf jeden Fall" vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, die nötigen 100 Mitstreiter hat er schon beisammen.

Zwar wird das Verfassungsgericht die Wahl höchstwahrscheinlich nicht annullieren, doch dem für ein Softwareunternehmen arbeitende Wiesner geht es darum, dass die Karlsruher Richter "die Rechtsgrundlagen für Wahlcomputer klären." Das wäre auch an der Zeit, denn die Bundeswahlgeräteverordnung wurde zuletzt 1999 novelliert. Seither hat sich in der IT-Sicherheit einiges getan. Einfacher ist sie nicht geworden.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: