Ego-Shooter:Spielerszene klagt über "Hexenjagd"

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Die Counter-Striker fühlen sich nach Erfurt in die falsche Ecke gestellt und wehren sich vehement dagegen.

Peter Zschunke

Der Lauf eines schweren Sturmgewehrs schiebt sich in einen dunklen Gang. Plötzlich springen zwei Uniformierte um die Ecke. Mit einem Mausklick oder einem Druck auf die Enter-Taste werden sie erschossen. Szenen wie diese aus dem Computerspiel "Half-Life" sind typisch für Ego-Shooter oder 3D-Shooter, die nach dem Amoklauf in Erfurt wieder einmal ins Gerede gekommen sind.

"Counter-Strike"-Spieler sind durchaus kommunikativ. Die Foren der schätzungsweise 500.000 Spieler werden besucht wie kaum zuvor. (Foto: N/A)

"Was wir jetzt brauchen, ist eine größere Intoleranz gegenüber der Darstellung und Verherrlichung von Gewalt", verlangte Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber schon wenige Stunden nach der Bluttat am Erfurter Gutenberg-Gymnasium. Und Bundesfamilienministerin Christine Bergmann will die Eindämmung von Gewalt verherrlichenden Programmen in eine Gesetzesnovelle zum Jugendschutz aufnehmen, die seit eineinhalb Jahren in Vorbereitung ist.

"Wir wissen nicht, was das eigentlich soll", sagt der 24-jährige Bremer Rami Allouni, Teamcaptain der deutschen "Counter-Strike"-Mannschaft bei der derzeit laufenden Europameisterschaft. "Counter-Strike" sei ein taktisches Team-Spiel, bei dem man mehr überlegen müsse als ständig zu schießen. Zudem sei die Trennung zwischen Spiel und Realität allen bewusst: "Jeder sieht diese Pixel und weiß, dass sie nicht real sind."

In Deutschland gebe es etwa 500.000 "Counter-Strike"-Spieler, schätzt Allouni und fügt ironisch hinzu: "Dann hätten wir eine halbe Million potenzieller Amokläufer." "Counter-Strike", das in unbestätigten Medienberichten mit dem Amokläufer von Erfurt in Verbindung gebracht wurde, ist zwar bereits vor drei Jahren von "Half-Life" abgeleitet worden, hat sich aber längst zu einer eigenen Szene entwickelt. In Umlauf sind Versionen von drei verschiedenen Fassungen: Die amerikanische Originalfassung, eine leicht entschärfte deutsche Fassung, die ab 16 Jahren empfohlen ist und in der Sierra-Reihe von Vivendi Interactive vertrieben wird, sowie eine frei erhältliche Internet-Fassung.

Beim Online-Spiel finden sich fünf bis zehn Spieler im Internet in Gruppen zusammen, die als Clans bezeichnet werden. Jeweils zwei solcher Clans spielen gegeneinander. Die Spieler sind zumeist Studenten und junge Männer im Alter von 19 bis 20 Jahren. "Es gibt aber auch Clans von Vätern, die dann gegen ihre Söhne spielen", erklärt Allouni. Auch haben sich schon einige Frauenclans gebildet. In der Gruppe hat jeder seine eigene Aufgabe, nach dem Spiel trifft man sich zum Chat, telefoniert miteinander oder verabredet sich zum Treffen im wirklichen Leben. "Wichtig ist nur, dass man sich gut versteht", erklärt Allouni.

Dass bei "Counter-Strike" heftig geballert wird, um das eigene Überleben zu sichern, ist für Allouni eher nebensächlich. Im Mittelpunkt stehe das taktische Geschick, das man erst nach mehrjähriger Spielerfahrung bekomme. Den besonderen Reiz sieht er außerdem in den wechselnden Szenerien, die immer wieder neue Wege erforderlich machen. Der Sound spielt bei "Counter-Strike" keine Rolle - das würde nur die Übertragung der Spieldaten im Internet ausbremsen.

"Wir alle sind entsetzt und erschüttert darüber, dass so etwas in Deutschland möglich ist", erklärte Allouni in einer Stellungnahme für die verschiedenen Web-Sites der "CS"-Szene. Es sei aber völlig abwegig, Computerspiele zum Sündenbock für die Bluttat von Erfurt zu machen. Die Community der Online-Gamer stelle einen Querschnitt der Gesellschaft dar.

Bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften steht am 16. Mai eine Entscheidung zur möglichen Indizierung von Counter-Strike an. "Ego-Shooter negieren in extremer Weise das Wertesystem unserer Gesellschaft", sagt die Leiterin der Prüfstelle, Elke Monssen-Engberding. "Der Spieler bekommt darin den Auftrag, Gänge zu durchstreifen und auf alles zu schießen, was sich bewegt." Die Bundesprüfstelle hat bisher rund 300 Computerspiele indiziert, womit Verkauf oder Überlassung an Minderjährige untersagt werden.

Mehr als 26.000 beteiligen sich an Online-Petition

Die Counter-Striker wehren sich dagegen, als jugendgefährdend eingestuft zu werden - damit wäre wohl auch die Unterstützung von Firmen für die beliebten LAN-Partys gefährdet. Mehr als 26.000 Spieler beteiligten sich bisher an einer Online-Petition der Zeitschrift GameStar, in der es unter anderem heißt: "Ich spiele Counterstrike nicht, weil ich mich an der Gewaltdarstellung ergötzen will, sondern um des sportlichen Vergleichs willen." Auch der Bremer Psychologe Ralf E. Streibl erklärt, dass die meisten deswegen in die Welt solcher Spiele eintauchen, weil sie den Thrill genießen, in Echtzeit auf unvorhersehbare Ereignisse zu reagieren.

Andere aber lassen sich nach Einschätzung Streibls von der Gewalt faszinieren, was oft mit verwandten Formen des Medienkonsums einher geht: eine Fixierung auf Waffen, eine Vorliebe für brutale Filme oder der einseitige Konsum von aggressiver Musik. "Je weniger eine Vielfalt im Erleben da ist, desto weniger kann auch eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Umwelt stattfinden", erklärt Streibl, der sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Studiengang Informatik der Universität Bremen mit der Wirkung von gewaltbetonten Computerspielen beschäftigt.

Als Vorstandsmitglied des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung wies Streibl schon 1998 in einem Beitrag für die Zeitschrift "Wissenschaft und Frieden" auf einen Zusammenhang zwischen gewaltbetonten Computerspielen und der allgemeinen politisch-gesellschaftlichen Entwicklung hin. Wenn Krieg wieder als Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln betrachtet werde, sei es moralisch doppelzüngig, wenn nur bei den Computerspielen nach Abrüstung gerufen werde.

(sueddeutsche.de/AP)

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