E-Mails als Menscheitsgedächtnis:Die elektronische Zeitkapsel

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Die "British Library" bewahrt die literarischen Schätze der Menschheit: eine Gutenberg-Bibel, Shakespeare-Gesamtausgaben, die Magna Charta - und in Kürze auch einige tausend E-Mails.

chka

Zum Endspurt wählt Jonnie Robinson, Soziolinguist an der British Library in London, nochmals große Worte: "Es ist der erste größere Umbruch in der Schriftkultur des Englischen seit Erfindung des Buchdrucks." Die Rede ist von der E-Mail.

(Foto: Foto: iStockPhoto)

Robinson betreut das Projekt "Email Britain", das noch bis Ende dieses Monats zur Einsendung von Mails auffordert ( email@emailbritain.co.uk). Die Schriftstücke sollen in der British Library einen Platz neben zum Beispiel zwei Gutenberg-Bibeln, zwei Kopien der Magna Charta und fünf Kopien der ersten Shakespeare-Gesamtausgabe einnehmen, um für Nachgeborene Alltag und Kommunikation Anfang des 21. Jahrhunderts zu dokumentieren.

Kollektives Tagebuchschreiben

Es ist nicht die erste Aktion dieser Art, mit der sich die Nationalbibliothek des Vereinigten Königreichs als Archiv für die Zukunft empfiehlt. Bereits im Herbst vergangenen Jahres lud man auf der Internetseite der British Library zum kollektiven Tagebuchschreiben ein, um im "größten Weblog aller Zeiten" festzuhalten, womit der Brite den 17. Oktober 2006 hinter sich brachte.

Auch das neue Projekt wird wieder in Superlativen gepriesen, als ginge es um einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde. "Das ist das erste Archiv seiner Art", betont Robinson und fügt mit akademischem Ernst hinzu: "Wir betrachten es als eine elektronische Zeitkapsel - für Sozialwissenschaftler und Historiker wird es eine unglaublich reichhaltige Quelle sein".

Und, nebenbei gesagt, für das Softwareunternehmen Microsoft, welches das Projekt unterstützt, ist das Ganze eine schöne Gelegenheit, sein neues Windows Live Hotmail-Programm zu bewerben.

Nicht zuletzt: Humor

Um die 14.000 E-Mails sind bereits bei der British Library eingegangen. Zehn Kategorien hat die Bibliothek vorgegeben: Fehltritte, lebensverändernde Mails (als Beispiel werden Heiratsanzeigen genannt), Liebe und Romantik, alltägliche Mails, Beschwerden, Spam, Nachrichten, Geschichten aus dem Umfeld und aus dem Ausland, und nicht zuletzt: Humor.

Dass das E-Mail-Archiv dereinst tatsächlich einen größeren Umbruch in der Geschichte dokumentieren könnte, zeigt sich am zugehörigen Beispiel der British Library. Für witzig halten die Bibliothekare eine Mail folgenden Inhalts: "An: alle Benutzer. Betreff: die Person, die meinen Muffin gegessen hat. Es wäre besser wenn DU gefragt hättest, statt einfach den Muffin ohne Erlaubnis zu nehmen." Wahrhaftig: Vom britischen Humor war man vor Erfindung der E-Mail anderes gewohnt.

© SZ vom 30.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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