Datenschutz in Kontaktplattformen:Das Grauen vor der Bloßstellung

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Eigentlich steht ohnehin alles online. Aber muss es auch jeder noch gesteckt bekommen? Nein, fanden mehr als 700.000 Mitglieder der Online-Community Facebook und rebellierten erfolgreich gegen zu viel Offenheit.

Christiane Schulzki-Haddouti

Hunderttausende Nutzer der US-amerikanischen Kontaktplattform Facebook haben eine Änderung neu eingeführter Features erzwungen. Sie wollen sich vernetzen, aber nicht automatisch auf Schritt und Tritt überwachen lassen.

Screenshot von der Facebook-Startseite. (Foto: N/A)

Kontaktplattformen leben von der Vernetzung: Wer kennt wen? Wer ist über wen mit jemandem anderem verbunden? Facebook vernetzt mehr als neun Millionen Nutzer über virtuelle Freundeskreise miteinander und ist damit nach MySpace.com die zweitgrößte Plattform dieser Art.

Ursprünglich wurde es für Harvard-Studenten gegründet, später konnten alle College-Studenten die Plattform nutzen. Mittlerweile kann jeder Mitglied bei Facebook werden.

Die neuen Features, an denen sich der Streit entzündete, heißen "News-Feed" und "Mini-Feed". Sie informieren Facebook-Mitglieder automatisch über Änderungen in den Profilen ihrer Freunde. Sie zeigen auch, wer wen als Kontakt hinzugefügt hat, wer wo etwas kommentiert hat, wer einen Kontakt gelöscht hat oder wer sich welcher Gruppe angeschlossen hat.

Die Gegner der Neuerung befürchteten, dass das neue Feature für Stalking missbraucht werden könnte. Die meisten Mitglieder von sozialen Kontaktnetzwerken wie Facebook, MySpace oder Orkut nehmen an, dass sie hauptsächlich von Freunden und Bekannten dort wahrgenommen werden.

Auch nutzen Personalchefs schon seit längerem die Plattformen, um die Bewerbungen von Hochschulabgängern zu prüfen. Die eigentliche Neuerung der Feeds bei Facebook liegt darin, dass jeder mit dem neuen Werkzeug den Blicken anderer in einem höheren Maße ausgesetzt ist als zuvor.

Die Sozialwissenschaftlerin Dana Boyd erklärt: "Die einen grausen sich vor der öffentlichen Bloßstellung, die anderen fühlen sich überfallen."

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hatte sich jedoch von dem neuen Dienst etwas anderes erhofft: Keine Party mehr zu verpassen oder ein neues Fotoalbum eines Freundes so schnell wie möglich ansehen zu können. "Wenn Firmen Daten noch effizienter sichtbar machen wollen, entsteht oft Panik", weiß Boyd.

Ähnliche Angstreaktionen wurden ausgelöst, als Deja Diskussionsforen im Usenet durchsuchbar machte und als Google die E-Mails von Gmail-Nutzern mit Anzeigen anreicherte - und dafür die Inhalte der Mails nach Stichwörtern durchkämmte.

Die Abscheu schlug rasch in Protest um und zeigte, wie schnell und effektiv sich Interessensgruppen mit Mitteln sozialer Software organisieren können: Innerhalb von 24 Stunden formierten sich mehrere Gruppen, die gegen den neuen Dienst vorgehen wollten.

Eine Gruppe namens Gruppe "Studenten gegen Facebook News Feeds" konnte binnen weniger Stunden 13.000 Mitglieder gewinnen. 24 Stunden später waren es bereits 284.000 Facebook-Nutzer, am Ende mehr als 700.000.

Viele unterstützten eine Petition, die eine Anpassung oder Abschaffung des neuen Features forderte.

Zuvor konnten die Nutzer selbst darüber bestimmen, welche Informationen sie mit Freunden oder Fremden teilen wollten. Doch der News-Feed, der sich nicht ausschalten ließ, hätte die Kontrolle über die eigenen Daten übernommen.

Mitte September schließlich riefen sie unter dem Motto "A Day Without Facebook" zu einem Boykott auf.

Noch vor dem Boykottag ruderte Zuckerberg zurück und ermöglichte eine Änderung sowie Deaktivierung des Dienstes. "Wir haben es vermasselt", gestand Zuckerberg in einem offenen Brief an die Facebook-Gemeinde.

Gleichwohl steht der 22-jährige Gründer vor seinem größten Deal: Der US-amerikanische Portalbetreiber Yahoo interessiert sich für eine Übernahme. Bis zu einer Milliarde US-Dollar soll Yahoo angeblich für Facebook investieren wollen.

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