Computerspiele und Gewalt:Wenn Muttern daddelt

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Wie fühlt es sich an, virtuelle Menschen zu erschießen und durch Bitblut zu waten? In Kursen sollen Eltern im Selbstversuch erfahren, was ihre Kinder an Ballerspielen fasziniert.

A.-K. Eckardt

Andrea Haftel steht in einem staubigen Innenhof. Die Mauern ringsum sind aus sandfarbenem Stein. Die zierliche Frau trägt ein rotes Hemd, weißes Kopftuch, schwarze Sonnenbrille - und eine AK 47, eine halbautomatische Kalaschnikow, die sie soeben einem toten Polizisten abgenommen hat.

Mutter Andrea Haftel: in der virtuellen Kampfzone. (Foto: Foto: Robert Haas)

Zusammen mit vier Mitstreitern muss sie als Terroristin eine Bombe am anderen Ende des Gewirrs von Höfen zur Explosion bringen. Ein weiterer Polizist kommt ihr entgegen. Sie drückt ab und schießt. Einmal, zweimal. Blut spritzt. Der Polizist sackt zu Boden. Dann knallt es wieder. Jetzt ist sie selbst tot. "Das macht schon Spaß", sagt die 44-jährige Mutter.

Spieltrieb statt Unbehagen

Noch vor wenigen Minuten hat Andrea Haftel, deren Kinder eine Waldorfschule besuchen, die kurze Einführung in das Computerspiel "Counter Strike" mit sichtbarem Widerwillen angesehen. "Mir war das richtig unheimlich", gibt Haftel zu. Doch als sie selbst an den Computer darf, weicht das Unbehagen dem Spieltrieb. Nach fünf Runden hat sie vier Polizisten erschossen und ist dreimal selbst gestorben.

Für Andrea Haftel ist es die erste LAN-Party ihres Lebens. "Eltern-LAN" heißt die Veranstaltung, die an diesem Nachmittag im Mathäser-Filmpalast in München Eltern und Lehrer in eine ihnen oft unbekannte Welt einführt. "LAN-Partys" nennen die meist deutlich jüngeren Computerspiel-Fans Treffen, bei denen oft 200 bis 300 Spieler ihre Rechner zu einem LAN (Local Area Network) vernetzen, um gegeneinander anzutreten.

Mehr Pädagogik als Party

Wobei Party an diesem Nachmittag das falsche Wort ist. Zum einen ist die Zahl der interessierten Eltern mit drei Teilnehmerinnen eher überschaubar. Zum anderen haben die Veranstalter mehr Pädagogik als Party im Sinn. Ziel sei es, so steht es auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB), Eltern und Lehrer bei der Auseinandersetzung mit dem Hobby ihrer Kinder und Schüler zu unterstützen.

Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) hatte nach dem Amoklauf von Winnenden erklärt, dass Eltern "ausreichend Computerkenntnisse" für die Erziehung ihrer Kinder benötigten. Während Computerspiele in der Öffentlichkeit immer wieder kontrovers diskutiert werden, berichten Jugendlichen in einer aktuellen Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest, dass dieses Thema zu Hause kaum Konfliktpotential berge. 70 Prozent der zwölf- bis 19-jährigen Spieler gaben an, nie mit ihren Eltern über Computerspiele zu streiten. Wenn doch, dann fast nur über die Nutzungsdauer - selten gehe es um die Inhalte der Computerspiele.

Daher gibt es Eltern-LAN-Treffen. Es ist bereits die fünfte Veranstaltung, die die BPB zusammen mit Turtle Entertainment, dem Betreiber der Electronic Sports League ESL - einer Art Bundesliga für Computerspiele - und mehreren medienpädagogischen Einrichtungen bundesweit organisiert. Im Schnitt kommen zwischen 15 und 20 Teilnehmer. Diesmal wurde das Eltern-LAN erst kurzfristig in das Programm des Fachkongresses Munich Gaming aufgenommen. Normalerweise finden die Eltern-LANs an ESL-Spieltagen statt. So können die Eltern neben der eigenen Ballerei gleich eine echte LAN-Party miterleben.

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Jung schlägt alt

"98 Prozent der Bundesligaspieler sind Jungs, die meisten zwischen 16 und 21", erklärt Torben Kohring vom Spieleratgeber Nordrhein-Westfalen den interessierten Müttern. Der älteste ESL-Spieler sei 27 Jahre alt. Er könne nur noch mithalten, weil er so viel Erfahrung habe. "Die jungen Spieler haben einfach die besseren Reflexe."

Jung schlägt alt - das bekommen auch die Eltern nach einer kurzen Einführung zu spüren. Zum Aufwärmen dürfen sie das Auto-Rennspiel "Trackmania" spielen. Obwohl das Spiel äußerst simpel ist, haben die Mütter gegen zwei Jungs, die zu Beginn mitspielen, keine Chance.

Dann wird es ernst. Eine blonde Hostess postiert sich am Eingang der mit Stellwänden abgeschirmten Eltern-Zone. Für Jugendliche unter 16 ist der Zutritt von da an strengstens verboten. Als nächstes steht "Counter Strike" auf dem Stundenplan. Das Shooter-Game, bei dem zwei Teams - Polizisten und Terroristen - gegeneinander antreten, wird in der Diskussionen um die Gewalt in Computerspielen immer wieder als Negativbeispiel genannt. Zu unrecht, findet Torben Kohring. "Das Spiel ist ein absolutes Gruppenspiel." Die Spieler müssten ständig miteinander sprechen und gemeinsam eine Taktik entwickeln. "Kein Jugendlicher wird alleine durch Counter Strike gewaltbereit."

Steigendes Aggressionspotential

Dass Computerspiele wie Counter Strike dann doch nicht ganz so harmlos sind, belegen indes mehrere Studien, etwa von der Psychologin Ingrid Möller, die gezeigt hat, wie durch Mediengewalt das Aggressionspotential steigt, und die Fähigkeit zum Mitleiden sinkt. Zu ähnlichen Ergebnissen sind auch verschiedene Untersuchungen in den USA gekommen. Doch in der abschließenden Diskussion der Eltern-LAN zeigt sich schnell: Zu fast jeder Studie gibt es auch eine entsprechende Gegenstudie. Und stimmt die Kausalkette überhaupt? Könnte es nicht sein, dass es tendenziell eher gewaltbereite Jugendliche sind, die solche Computerspiele mögen?

Andrea Haftel jedenfalls ist froh, dass ihre 17-jährige Tochter gar nicht und ihr 14-jähriger Sohn bislang nur "harmlose Spiele" spielt. Warum Sie trotzdem gekommen ist? "Ich wollte wissen, wie PC-Spiele auf Kinder wirken. Die Faszination kann ich jetzt auf jeden Fall besser verstehen."

© SZ vom 3.4.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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