Computerspiele:Neustart nach dem Crash

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Mit extrem realistischen Rennsimulationen bekämpfen Microsoft und Sony einander, doch die Produkte "Forza Motorsport" und "Gran Turismo 4" sind erstaunlich ähnlich.

Von Christopher Schrader

Die Probefahrt mit einem aufgeputschten Sportwagen endet nach wenigen Minuten an der Randbegrenzung. Und das nicht ein Mal, sondern gleich zwei Mal. Mit dem rechten vorderen Kotflügel touchiert der BMW M5 die Leitplanke auf dem Nürburgring.

Der Porsche Carrera GT schmettert dagegen auf dem Rundkurs von Elkhart Lake im US-Staat Wisconsin frontal in einen Reifenstapel. Zum Glück genügt in beiden Fällen ein Druck auf den Reset-Knopf, um den entstandenen Schaden zu reparieren.

Den Konkurrenzkampf ihrer Spielkonsolen Play-Station 2 und Xbox tragen die Computerfirmen Sony und Microsoft vor allem über die Qualität der Spiele aus. Im Sektor Rennsimulation bekämpfen sich die Firmen zurzeit mit "Forza Motorsport" (Microsoft) und "Gran Turismo 4" (von der Sony-Tochter Polyphony Digital).

Schalensitz, Lenkrad, Pedal

Und beide Firmen haben gleich am Eingang zu ihren Entwicklungslabors virtuelle Rennwagen aufgebaut, wo Besucher die Spiele testen können: Schalensitz, Lenkrad und Pedale vor drei im Winkel angeordneten Flachbildschirmen, die den Blick aus der Windschutzscheibe und den Seitenfenstern simulieren.

Diesen Aufbau findet der Besucher zum einen in Polyphonys Loft in Tokio; zum anderen im Microsoft-Forschungslabor in Cambridge, wo zwar nicht das Spiel selbst, aber ein wesentliches neues Feature entstanden ist.

In beiden Fällen ist das virtuelle Auto schwieriger zu steuern als zunächst angenommen. Den BMW bei "Gran Turismo" lenkt der Fahrer aus einer Kapsel, die mittels Hydraulik gekippt und durchgerüttelt wird.

So erfährt der Spieler, wie sich die Motorhaube beim Beschleunigen hebt; die Fliehkraft in der Kurve drückt ihn zur Seite; er spürt, wie das Auto über die Begrenzungen der Piste rumpelt und sich auf dem Randstreifen schüttelt - nur die volle Wucht eines Crashs in die Leitplanke bleibt ihm erspart.

Bei dem "Forza"-Aufbau in Cambridge sitzt der Hobby-Rennfahrer hingegen in einem Schalensitz, der ihn sanft in den Hosenboden knufft; das Lenkrad hüpft immer dann in den Händen, wenn in der Realität Stöße von der Vorderachse ins Cockpit durchschlagen würden.

Empfindlicher Stuttgarter

Der simulierte Porsche mit seinem Hinterradantrieb reagiert extrem empfindlich auf Lenkbewegungen: Er schwimmt im Zickzack über die Piste und trägt seinen Piloten zunächst ein ums andere Mal in die Reifenstapel am Rand.

Beide Spiele bieten dem Benutzer viel Auswahl: 250 Autos und gut 30 Strecken enthält Microsofts Produkt, bei Sonys Spiel sind es 750 Wagen und 50 Kurse. Darin stecken Jahre Entwicklungszeit: Die Mitarbeiter von Polyphony haben Wochen verbracht, Rennstrecken zu vermessen, damit die Spielkonsole die Boliden über realistische Kurse jagen kann.

Trotz dieser intensiven Arbeit sind die simulierten Autos auch für die Entwickler nicht immer leicht zu beherrschen: Tsubasa Inaba reißt nach wenigen Minuten die Hände vom Lenkrad und hebt sie entschuldigend in die Höhe. Der Polyphony-Programmierer hat den BMW gegen die Leitplanke geknallt.

Noch kläglicher sind die Erfolge von Chris Bishop aus dem Microsoft-Forschungslabor. Er sagt selbstironisch: "Ich fahre immer gegen die Streckenbegrenzungen. Irgendwo hier im Labor liegt auf einer Festplatte eine Datei mit meinem Fahrstil. Wenn die veröffentlich wird, wird es peinlich."

Die XBox lernt!

Dazu hätte Bishop dann aktiv beigetragen. In dem Labor, in dem Microsoft Grundlagenforschung betreibt, ist zwar nicht das Spiel programmiert worden. Aber die Basis für die so genannten Drivatars wurde in Cambridge gelegt. Atare sind virtuelle Agenten, die Aufgaben in Programmen erfüllen. Jeder "Forza"-Spieler kann einen solchen virtuellen Fahrer ausbilden.

Der erlernt mit der Zeit den Fahrstil des Menschen am Lenkrad: wie er in eine Kurve einbremst, wann er schaltet, welche Seite der Fahrbahn er bevorzugt, in welcher Situation er noch überholt und eben auch, wie er durch Fahrfehler von der Piste fliegt.

Bishop und sein Team haben der Xbox beigebracht, dass sie lernt. Das Ziel der Entwicklung war keine Maschine, die besser funktioniert als der Mensch, sagt Bishop: "Der Drivatar fährt nur so gut wie ein Spieler - er kann nicht 50-mal pro Sekunde zwischen Bremse und Gas wechseln, wie das die Computerspieler in manchen anderen Games tun."

Der Benutzer von "Forza" kann seinem trainierten Drivatar das Steuer übergeben, wenn er mitten im Rennen auf die Toilette muss, er kann mithilfe des virtuellen Alter Ego einen Wettkampf mit sich selbst beginnen oder gegen die Avatare seiner Freunde oder auch von Prominenten fahren, die man sich in seine Konsole laden können soll. Und schließlich kann er wie ein Team-Manager den weiter lernenden Drivatar auf die Strecke schicken.

Etwas Ähnliches hat Sony in das Konkurrenzspiel integriert. Im so genannten B-Spec-Modus wirkt der Spieler als Rennleiter, der seinem virtuellen Fahrer Kommandos gibt: schneller, langsamer, jetzt überholen. Dadurch wird der Fahrer mit der Zeit besser, meistert zum Beispiel Kurven in höherem Tempo, aber er kopiert nicht den Fahrstil des Spielers.

Das Herz beider Spiele aber ist die Physik des Fahrens: Die Bewegung der Autos wird im Detail im Computer nachgestellt, bevor dieser sich daranmacht, die Ergebnisse seiner Berechnungen graphisch auf dem Bildschirm darzustellen. Und dem Physik-Kern der Spiele ist es eigentlich egal, welche Autos es wirklich gibt - oder ob sie gut aussehen.

Kleinwagen aufmotzen

Das führt Kazunori Yamauchi in Tokio vor, der Chef von Polyphony. In einer Entwicklerversion seines Spiels kann er alle Stellgrößen der Autos verändern: von den Federkonstanten der Stoßdämpfer über die Gewichtsverteilung bis zur Art des Getriebes.

Mit wenigen Mausklicks verpasst er so einem Kleinwagen Vierrad-Antrieb, vergrößert die Spurbreite und zieht Super-Breitreifen auf. Das groteske Gefährt, bei dem die Pneus 20 Zentimeter aus den Kotflügeln ragen, kann Yamauchi dann wirklich fahren. In die Kurve legt es sich ganz anders.

Diese Realitätstreue hat die Firma BMW so überzeugt, dass sie wesentliche Daten ihrer Fahrzeuge nach Tokio übermittelt, damit diese möglichst genau durch das Spiel zu lenken sind. Zudem hat der Münchner Konzern vorab 100000 Demoversionen von "Gran Turismo" an seine Händler verteilt, damit Kunden den neuen Einser probefahren konnten, bevor er auf den Markt kam.

Doch eigentlich geht diese Anwendung am Zweck der Rennspiele vorbei: Das Verhalten eines normalen Autos im Straßenverkehr dürfte die meisten Käufer langweilen.

© SZ vom 19.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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