Computer:Die gute Seite

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Wissenschaftliche Studien belegen: Computerspiele fördern nicht nur Gewalt, sondern auch Koordination, Geduld, Sozialgefühl.

Hubertus Breuer

Das Wort "Computerspiele" eignet sich hervorragend, seine Meinung darüber schon in der Aussprache kund zu tun. Ein langes "iiih" drückt zusammen mit Falten über der Nasenwurzel Ekel über das Genre aus, ein kurzer Vokal und hochgezogene Augenbrauen eher Vorfreude. Kaum ein anderes Unterhaltungsmedium löst derart gespaltene Reaktionen aus. Dabei sehen viele Beobachter die Spiele inzwischen als fest etablierten Bestandteil der heimischen Bildschirmunterhaltung.

Schließlich haben über 20 Millionen Menschen in Deutschland eine Spielkonsole in ihrem Haushalt stehen. Und das Angebot an Programmen ist groß: Es reicht vom Ego-Shooter, bei dem sich der Spieler als schwer bewaffneter Held durch die Welt ballert, über raffinierte Rätselabenteuer bis hin zu Strategiespielen, die soziales Gespür verlangen. Im weltweit meistverkauften Computerspiel etwa, den "Sims", lenken gottgleiche Spieler das Schicksal einer Familie.

Auch das Urteil der Wissenschaft über die Wirkung der Spiele ist inzwischen gespalten. Das ist ein Fortschritt für die noch junge Herstellerindustrie. Forscher warnen nicht mehr nur vor den Folgen der Gewalt in den Spielen; es gibt auch welche, die die Spiele loben, weil sie die Fähigkeiten der Spieler und ihr Sozialgefühl verbessern.

"Jahrelang haben sich Forscher nahezu ausschließlich auf die negativen Auswirkungen von Computerspielen konzentriert", sagt Maic Masuch, Professor für Computerspieldesign an der Universität Magdeburg. Inzwischen rückten auch andere Aspekte ins Blickfeld. Psychologen wie James Gee von der University of Wisconsin heben zum Beispiel hervor, dass Computerspiele nichtsprachliche Intelligenz fördern.

Positive Nebenwirkungen

So haben Untersuchungen der letzten Jahre mehrfach belegt, dass es nicht nur das Reaktionsvermögen und die Koordination zwischen Augen und Händen verbessert, wenn Menschen regelmäßig Zeit vor der Mattscheibe verbringen. Das Spielen fördert Vorstellungsvermögen, Kombinationsgabe, Aufmerksamkeit, Musterwahrnehmung und sogar die Geduld.

"Bei vielen Abenteuerspielen muss man mehrere Aufgaben gleichzeitig bewältigen: motorisch die eigene Figur durch die virtuelle Landschaft manövrieren, Situationen rasch einschätzen, Spielzüge in Erinnerung behalten und ständig abwägen, welches Ziel unter vielen man im jeweiligen Augenblick zuerst verfolgen soll", erklärt Gee. Zudem trete ein gestufter Lerneffekt ein: Der Spieler lernt, indem seine Fähigkeiten stets so herausgefordert werden, dass er nur mit Anstrengung die nächste Stufe erreicht. Während man oft lange nach einem ebenbürtigen Tennispartner sucht, stellt der Computer schnell den perfekten Herausforderer.

Solche Trainingserfolge zahlen sich auch in der Wirklichkeit aus. Das glaubt zum Beispiel das amerikanische Militär, das das Spiel "America's Army" herausgebracht hat, um einen Eindruck von den Anforderungen an einen US-Soldaten zu vermitteln. Wer sich bei der Armee bewirbt, wird eingeladen, seine Spielresultate anzugeben. Das mag man als Werbegag abtun. Aber auch James Rosser vom New Yorker Advanced Medical Technology Institute hat Effekte bemerkt: Chirurgen, die drei Stunden wöchentlich mit Videospielen verbringen, setzen Schnitte genauer als nicht daddelnde Kollegen, hat Rosner im vergangenen Jahr gezeigt.

Metzeln nur am Bildschirm

Mitunter bildet die virtuelle Welt auch - wenn man sie nur richtig einsetzt. So nutzt Tim Rylands, Grundschullehrer aus der Umgebung des britischen Bristol, die Phantasiewelt des Rätselspiels "Myst", um die Sprachfähigkeit seiner Schüler zu fördern. Über die Begeisterung für das Spiel bringt er die Kleinen dazu, Traumlandschaften zu beschreiben. In mehreren Ländern startet jetzt außerdem ein von dem weltgrößten Spielkonzern "Electronic Arts" gefördertes Projekt, das kommerzielle Spiele als Lernutensil im Unterricht testet.

So soll das Spiels "Age of the Empires," bei dem Spieler über 10.000 Jahre eine Zivilisation aus einem Nomadenstamm aufbauen, das Verständnis für Geschichte fördern, der Klassiker "SimCity," der soziales Leben in der Stadt simuliert, die Einsicht in komplexe Zusammenhänge trainieren.

Solche Ergebnisse können die Spielwelten nicht komplett reinwaschen. So erklärte die American Psychological Association jüngst auf ihrer Jahreskonferenz in Washington, Videospiele machten Kinder nachweislich kurzfristig aggressiver, wenn darin gespielte Gewalt vorkommt. Grundlage für diese Aussage ist eine aktuelle Studie der Psychologen Kevin Kieffer und Jessica Noll von der St. Leo University in Florida; sie haben Dutzende Untersuchungen der vergangenen zwanzig Jahre im Zusammenhang ausgewertet.

Die Kritik kommt der Videospielindustrie ungelegen. Denn in den kommenden Monaten planen Microsoft, Sony und Nintendo die Einführung neuer Spielkonsolen. Und sie bestätigt den Argwohn, den viele gegenüber Ballerspielen hegen. Doch die Aussage der Forscher aus Florida ist weniger klar, als es zunächst den Anschein hat. Kieffer und Noll räumen ein, dass bisherige Studien nur Auskunft über kurzfristige Folgen virtueller Kämpfe geben, nicht jedoch, ob die Spiele die Gewaltschwelle dauerhaft senken.

"Die Studien testen Versuchspersonen in der künstlichen Laborumgebung, jenseits des sozialen Umfelds", sagt der Magdeburger Forscher Masuch, "daher lassen sich die Erkenntnisse nicht einfach auf das wirkliche Leben übertragen." Sonst könne man sich auf der Straße seines Lebens nicht sicher sein, ergänzt er, weil viele Menschen einen guten Teil ihrer Freizeit mit dem Spiel "Grand Theft Auto" verbringen, das von Verbrechern und Verfolgungsjagden handelt.

Tatsächlich gibt es kaum Untersuchungen, ob Spiele die Gewaltbereitschaft auf Dauer beeinflussen. Eine Ausnahme stammt vom Medienwissenschaftler Dmitri Williams von der University of Illinois, der sich mit dem Rollenspiel "Asheron's Call 2" beschäftigt hat.

Seine 14 bis 68 Jahre alten Probanden verbrachten zuhause täglich ein bis zwei Stunden damit, im Nahkampf mit diversen Waffen Monster zu schlachten. Das Ergebnis: Die am Bildschirm metzelnden Spieler verhielten sich nach einem Monat keineswegs aggressiver als eine Kontrollgruppe. Aber auch Williams merkt einschränkend an: "Von dieser Analyse kann man nicht ohne weiteres auf alle gewalttätigen Spiele schließen." So wird den Spielen insgesamt ihr zwiespältiger Ruf erhalten bleiben.

© SZ vom 15.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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