Cebit 2009: Plagiate:Herr Wu vermittelt

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Plagiatsvorwürfe: 2008 durchsuchte die Polizei auf der Cebit 51 Stände und beschlagnahmte 68 Kartons. In diesem Jahr soll alles anders werden.

Thorsten Riedl

Frank Raute hat ein Problem. Der Angestellte, Ende 40, eines Unternehmens aus dem Rheinland, der weder seinen Namen noch den seiner Firma in der Zeitung lesen will, steht auf der Cebit erbost vor einem Stand des China-Pavillons. "Wir haben alle Patente", sagt er, und pocht auf einen Leitz-Ordner.

Die Polizei hatte vor einem Jahr Handys und MP3-Spieler an verschiedenen Ständen der Cebit sichergestellt. (Foto: Foto: ddp)

Nur: Eine Firma aus dem Reich der Mitte ist gleicher Ansicht. Sie stellt eine Handy-Freisprechanlage aus, die der von Rautes Firma ähnelt. Nun müssen Xuming Wang und Zhuomin Wu vermitteln. Ihr Job auf einem Gemeinschaftsstand der Europäischen Union und von China ist es, Rechteinhaber ebenso wie des Plagiats beschuldigte Firmen zu beraten - mit ersten Erfolgen.

68 Kartons mit Messeneuheiten beschlagnahmt

Es gehörte in den vergangenen Jahren zum Bild der Cebit: Polizisten in Uniform und Zivil sowie Beamte des Zolls durchsuchten im großen Stil Stände auf der Cebit, vornehmlich aus Asien: China, Taiwan oder Südkorea. Allein 2008 wurden 51 Stände gefilzt und 68 Kartons mit Messeneuheiten beschlagnahmt. Viele der Vorwürfe von damals hätten sich als unhaltbar herausgestellt, erklärt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Hannover.

Trotzdem: Unter den Ausstellern aus Fernost geht die Furcht um. Allein aus China kamen in diesem Jahr nur 382 Firmen zur Cebit, ein Fünftel weniger. Das liege wohl vor allem an der Wirtschaftskrise, sagt Thomas Pattloch, der für die EU bei Streitigkeiten wegen Patenten direkt von Peking aus vermittelt. "Wir hoffen aber auch, dass einige Produktpiraten abgeschreckt wurden."

Wang, 33, übernimmt das Gespräch mit Raute. Er lebt seit 2001 in Deutschland, spricht fließend die Landessprache, natürlich seine Muttersprache Chinesisch und Englisch. Und zusammen mit Wu, 30, kann er noch einen wichtigen Punkt für sich verbuchen: Beide forschen als Doktoranden am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München. "Wir können neutral vermitteln", erklärt Wu. Die Europäische Kommission und das chinesische Handelsministerium hätten lange nach einem solchen Partner gesucht, sagt sein Kollege.

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Wang und Wu arbeiten noch bis zum Ende der Cebit, also bis kommenden Sonntag, am China IPR Desk. So nennt sich der Gemeinschaftsstand der Europäer und Chinesen, der als Vermittlungsstelle fungiert. Der Stand findet sich auf dem China-Pavillon in Halle 19 zwischen Anbietern von Computerakkus, USB-Sticks oder digitalen Musikspielern. Auf den wenigen Quadratmetern ist Platz für eine Sitzecke und zwei Pflanzen.

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Auf einem Glastisch sowie in mehreren Regalen liegen Dutzende Broschüren zum Durchsetzen von Rechten bei Marken etwa oder bei Patenten. Das IPR-Projekt wurde 2007 gestartet und läuft noch bis 2011. IPR steht für Intellectual Property Rights, zu deutsch: geistige Eigentumsrechte. Finanziert wird es mit elf Millionen Euro aus Europa und 5,4 Millionen Euro aus China. Der Messestand ist eine Premiere.

Das Konzept hilft in einer Branche, in der die Mentalitäten aufeinander prallen. In China ist das Nachahmen von Produkten kein strafrechtlicher Tatbestand. "Die Aussteller waren sehr überrascht, als im vergangenen Jahr die Polizei aufgetaucht ist", so Pattloch. Einer setzte sich bei der Razzia sogar so sehr zur Wehr, dass er vorübergehend verhaftet wurde. Ein Teil der chinesischen Wirtschaft basiere auf dem Prinzip des Kopierens, sagt der europäische Beamte - um das zu ändern, müsse die Volkswirtschaft in ihren Grundzügen reformiert werden.

Raute fehlt die Geduld für die kulturellen Hintergründe seines Patentkonfliktes. Er sieht lediglich, dass eine Firma ein technisch ähnliches Produkt ausstellt. dass mögliche Kunden angesprochen werden. Kurz: dass Aufträge verloren gehen könnten. Er will eine Lösung. Hier und jetzt. "Das war mir zu lasch", sagt er, nachdem er knapp eine Viertelstunde mit Mediator Wang gesprochen hat.

Wäre es nach ihm gegangen, hätten die Mitarbeiter des China IPR Desks ihn zum Stand des beschuldigten Ausstellers begleitet und die Angelegenheit sofort aus der Welt geräumt. Dafür allerdings gibt es den Rechtsweg. Das kostet, weiß EU-Beamter Pattloch. Auch deshalb, so hofft der ausgebildete Anwalt, werden hiesige Firmen das kostenlose Angebot einer Mediation annehmen.

Vielversprechender Start

Der Start war viel versprechend: Rund 30 Ratsuchende haben sich diese Woche schon an Wang und Wu gewendet. Die Initiatoren des China IPR Desks überlegen, eine ähnliche Stelle zur IFA in Berlin einzurichten. Auch dort gab es zuletzt Ermittlungen. Der überzeugendste Punkt, der bislang für die Kombination aus Abschreckung und Vermittlung spricht: Die Zahl der Anzeigen wegen Plagiatsvorwürfen ging im Vorfeld der Messe um ein Drittel auf 40 zurück. Statt einer Razzia hat bislang nur eine "Begehung" stattgefunden, so die Staatsanwaltschaft Hannover. "Nach Stand der Dinge ist nicht mit umfangreichen Straftaten zu rechnen".

© SZ vom 05.03.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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