Morozov holt extrem weit aus und begründet extrem ausführlich ein Grundgefühl der Skepsis - gegen die digitalen Veränderungen und die Verfechter dieser Veränderungen. Es ist nichts falsch daran, diese Haltung einzunehmen, in seiner Wut bedient Morozov allerdings vor allem das wohlige Schaudern des Kulturpessimismus, eine konstruktive Debatte über die Folgen der Digitalisierung bringt er damit keinen Schritt voran.
Zentraler Zielpunkt dieser Form der Technologiedebatte ist das Marketing für die Person des Autors. Morozov hat die Methoden der Meme-Stricher, die er kritisiert, sehr genau analysiert und bringt sie nun selber zur Anwendung, wenn er etwa im Nachwort erklärt, "dass die meisten Internetdenker einem imaginären Gott eigener Schöpfung huldigen und die Wahrheit nicht erkennen wollen".
Säuberungskreuzzug
Mit dieser Dummheit ihrer Gegner haben fast alle Wahrheitswisser auf der Welt zu kämpfen und fast alle ziehen daraus selbstgewisse Schlüsse, die im besten Fall ärgerlich und im schlechtesten Fall gefährlich sind: "Unsere Technikdebatte zu säkularisieren und vom schädlichen Einfluss des Internetzentrismus zu säubern, ist heute die bei Weitem wichtigste Aufgabe des Technologieintellektuellen."
Dieser Säuberungskreuzzug ist nicht nur deshalb unschön, weil man auf den Seiten zuvor gelesen hat, dass Morozov hier keine sprachliche Ungenauigkeit unterlaufen ist. Sie nimmt vor allem den richtigen Ansätzen, die Morozov benennt, ihre Überzeugungskraft und macht den Autor zu einem Anti-Evangelisten, der sich in Überzeugungsgewissheit kaum von denen unterscheidet, die er kritisiert.
Versteckt hinter dem selbstgefälligen Wahrheitsanspruch
Die emotionale Konfrontation verfolgt Morozov mit Ausdauer (das Wort Internet wird konsequent in Anführungszeichen gesetzt) und ohne Selbstzweifel. Sein Ziel ist es, Internetdenker scheitern zu sehen und stattdessen eine "Post-Internet-Herangehensweise an die Technik" zu etablieren, die besser, klüger und schlauer ist. Wortreich lobt Morozov als Vorzug seines Ansatzes, "dass er die oberflächlichen und historisch unkundigen Darstellungen entlarvt, die einen großen Teil unserer Technikdebatte beherrschen, und sie für facettenreichere und historisch wichtige Erfahrungen öffnet".
Wenn man sich die Mühe macht, die Worte von ihrem selbstgefälligen Wahrheitsanspruch zu befreien, entdeckt man sehr interessante Gedanken, die eine notwendige Debatte bereichern könnten. Morozov weist zu Recht darauf hin, dass "das Internet" ein gesellschaftliches Konstrukt ist, das nicht per se Lösungen bereithält oder an gesellschaftlichen Verschlechterungen Schuld trägt, sondern häufig zunächst den Interessen derjenigen dient, die es als analytische Kategorie heranziehen. Technik - das sollte man sich immer wieder in Erinnerung rufen - fällt nicht vom Himmel. Evgeny Morozovs Post-Internet-Ansatz aber eben auch nicht. Auch er verfolgt Interessen - und eine konstruktive Debatte zählt dabei nicht zu den obersten Zielen.
Evgeny Morozov: Smarte neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen. Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Ursel Schäfer. Karl Blessing Verlag, München 2013. 655 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 19,99 Euro.