Bilderbomben:Wenn das Glöckchen klingelt

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Die Koalition will "Killerspiele" verbieten. Doch was fehlt, sind nicht neue Gesetze, sondern intelligentere und menschlichere Spiele. Ein Plädoyer.

Bernd Graff

Es gibt einen Cartoon von Gary Larson, in dem die Denkblase eines Vaters zu sehen ist, der seinem Sohn beim Computerspielen zuschaut. Offensichtlich macht sich der Mann Gedanken darüber, was aus seinem Kind einmal werden wird. Und dabei ist er äußerst optimistisch.

Das Killerspiel "Condemned - Criminal Origins" war den deutschen Jugendschützern zu blutrünstig und erhielt deshalb bei uns keine Freigabe. (Foto: Foto: Sega)

Denn in des Vaters Blase erkennt man eine Fülle von imaginierten Stellen-Angeboten wie: "Tüchtiger 24-Std.-Gamer gesucht. Höchstbezahlung!" Oder: "Highscore-Schützen bestimmen ihr Gehalt selber!" oder: "Crack im Zombie-Töten händeringend benötigt!" und so fort.

Man schmunzelt. Denn solche Offerten wird es nie geben. Nicht auf diesem Planeten. Schon gar nicht in Deutschland.

Denn die Deutschen halten Computerspielen im Allgemeinen immer noch für Kinderkram - oder aber für gefährlich. Darum richten sich derzeit alle Augen auf die neue Bundesregierung.

Die hat koalitionsvertraglich vereinbart, dass sie "Killerspiele" verbieten wolle. Doch das ist kaum mehr als ein Kratzfuß vor selbstverständlichem Jugendschutz.

So sollen "Killerspiele" zum einen die aufgemotzten Räuber- und Gendarm-Varianten bezeichnen, bei denen sich Menschen durch den Wald jagen. Sie sind dabei mit CO2-Gewehren bewaffnet, die mit Farbpatronen geladen sind.

Diese Spiele werden "Paintball"- oder "Gotcha"-Spiele genannt. "Got you!", "Hab' dich!", was man an den Farbflecken der Treffer erkennen soll.

Gotcha verbieten? Und Fechten?

Diese Sorte Spiele hat die neue Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen gerade auf einer Pressekonferenz der Initiative "Schau hin! Was deine Kinder machen" in ziemlicher Begriffsnot "reale Killerspiele" genannt, um sie von den "virtuellen Killerspielen" zu unterschieden.

Darunter will sie - zum anderen - Computer- und Videospiele verstehen. Nun stiftet aber der nachgereichte Definitionsversuch weitere Verwirrung. Denn jetzt muss man sich fragen, was denn ein "reales Killerspiel" sein soll - wenn es nicht das ist, was es faktisch bezeichnet: Reales Morden als Spiel.

Falls aber Frau von der Leyen die bekannten Gotcha-Spiele mit einem Verbot belegen wollte, dann wird auch sie wissen, dass diese Spiele schon wegen der eingesetzten Waffen bereits jetzt unter das deutsche Waffengesetz fallen und erst ab 18, also von Erwachsenen, gespielt werden dürfen.

Zudem sind derlei Farbballereien, die übrigens von ihren Vertretern als Teamsport begriffen werden, auch nicht überall gestattet, sondern nur in dafür eigens ausgewiesenen und abgesperrten Arealen.

Mit anderen Worten: Hier hat der Gesetzgeber bereits erheblich geregelt. Sollten der neuen Regierung jedoch diese bereits bestehenden Gesetze zu lax sein, so wird sie sich fragen lassen müssen, warum sie es dann duldet, dass Menschen mit Säbeln, Degen und Floretten aufeinander losgehen und dies mit dem "Fechten" sogar olympische Disziplin genannt wird.

Killen im Kopf des Betrachters

Artikuliert sich hier, wenn nicht Willkür, dann doch nur ein gefühlter Grad von zulässiger Abstraktheit des "Killens"? Sind nicht die von der Bundesfamilienministerin eingeführten "realen Killerspiele" auch nichts anderes als "virtuelle Killerspiele"? Und findet das "Killen" nicht hier wie dort nur im Kopf des Betrachters statt - oder eben nicht?

Die mangelnde Trennschärfe bleibt ein offenes Problem. Eines, das es auch dann zu lösen gilt, wenn einem das High-Tech-Tschingdarassabumm und paramilitärische Manöver-Getue mancher Gotcha-Sportsfreunde herzlich zuwider ist.

In solchen Fragen wandern die Augen der besorgten Deutschen gern von der Autorität der Gesetzgebung zu der Autorität der Wissenschaft. Das scheint übrigens ein von Eltern-Generation zu Eltern-Generation vererbter Reflex zu sein. Denn mit demselben Argwohn und demselben Misstrauen beäugte man schon einst die aufkommenden Jugend-Medien: Kino und Comics.

Und wie damals beherrscht eine Frage die Diskussion: Machen die blutigen Bilder aus Computer, Kino, Comic unsere Kinder aggressiv?

Dies sollen nun entweder Wirkungsforscher beantworten - oder aber staatlich bestallte Pädagogen und Jugendpfleger.

Zu gruselig für deutsche Spieler: "Condemned - Criminal Origins". (Foto: Foto: Sega)

Wie etwa Dr. Klaus-Peter Gerstenberger, der Leiter jener Einrichtung, die seit 10 Jahren - seit der Novellierung des Jugendschutzgesetzes 2003 sogar verpflichtend - für die Alterskennzeichnung der in Deutschland erscheinenden Computerspiele zuständig ist.

"Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle" (USK) heißt diese Einrichtung. In ihr wirken Lehrer, Journalisten und "Menschen aus der Forschung, die mit Kindern und Jugendlichen verbunden sind und mit dem Medium Computerspiel." So Gerstenberger in einem Interview für die auch vom Bund geförderte Initiative "Schau hin!".

In diesem Interview äußert Gerstenberger nachdenkenswerte Überlegungen, etwa: "Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass Computerspiele entwicklungsfördernd sein können. Das Spiel bietet die Möglichkeit, Strategien des Lernens zu erlernen. Wir lernen das Lernen dadurch, dass wir uns einem Problem zuwenden. Computerspiele sind in erster Linie Problemkonstruktionen."

Abgründe der Bilder

Allein: Derlei schöne Allgemeinplätze zum Spiel sind kaum angetan, das Licht der Aufklärung in die klamme Nacht der Killerspiel-Furcht zu tragen.

Denn Eltern und Pädagogen fragen ja nicht nach den Vorzügen positiven Spielens, sondern nach den Abgründen und möglichen Wirkungen schlimmer Bilder.

Obwohl, da darf man dem USK-Leiter dann auch nicht Unrecht tun, lediglich drei Prozent aller bei der USK eingereichten Spiele keine Jugendfreigabe erhalten. Mithin sind 97 Prozent der Produktionen in Abstufungen für Kinder und Jugendliche geeignet, mehr als die Hälfte sogar ab 6 Jahren.

Deutschland ist keine Bastion der Zombie-Töter, heißt das. Aber das bedeutet noch lange nicht Entwarnung!

Denn Eltern und Erzieher interessieren sich brennend für eben jene drei Prozent der für Kinder und Jugendliche ungeeigneten Spiele, von denen sie nur zu genau wissen, dass sich auch ihre Kinder brennend dafür interessieren.

Und über Internet oder Schulhoftausch oder aber auch durch den bestellten Kauf einer gutmeinenden Omi dann doch wieder relativ problemlos Zugang erhalten. Was also ist die Wirkung der bluttriefenden, aggressiven Bilder?

Bislang funktioniert die Begutachtung solcher Spiele so: Irgendjemand produziert die synthetischen Bilderwelten eines Spiels und anschließend beugt sich eine mehr oder minder besorgte Öffentlichkeit darüber, um feststellen zu lassen, ob diese Bilder mit ihrem Wertekanon vereinbar sind und ob die thematisierte Aggression wohl auf den Spieler abfärben könne.

Man zäumt das Pferd so von hinten auf: Ausgehend von einer befürchteten Verrohung, ausgehend also von der Frage, welche Täterschaft in direktem Zusammenhang mit dem Konsum der Bilder stehen könnte, reglementiert man deren Zugang - und hält damit das Problem für erledigt.

Man fühlt sich so ein wenig an die Hundeexperimente des Iwan Petrowitsch Pawlow erinnert: Wenn das Glöckchen klingelt und der Hund sabbert, dann muss da wohl was gewirkt haben.

Wo kein Spieler ausrastet, da kann auch keine schädliche Wirkung sein. Das ist reichlich kurz gedacht.

Zumal man die Entscheidung, ob ein Spiel schädlich ist, an Gremien delegiert hat, also an Experten, deren Prüfsiegel dann die allgemeine Unbedenklichkeit garantieren soll.

Man muss sich jedoch zweierlei klar machen. Zum einen: Spielebilder sind nichtnotwendige Bilder. Nichts an und in diesen vollsynthetischen Welten muss zwingend vorkommen. Alles darin ist "gemacht".

Es gibt also, liebe Spiel-Industrie, keinen Grund, ekelhafte, deprimierende Spiele-Bilder zu zeigen und es gibt, liebe Eltern, auch keinen Grund, seine Kinder diesen Bildern auszusetzen und sie die Spiele spielen zu lassen - selbst, wenn man sie für "Problemkonstruktionen" mit mutmaßlichem Lerneffekt hält.

Diese Entscheidung aber haben mündige Eltern für ihre Kinder zu treffen - und sie müssen sie souverän treffen. Denn dafür gibt es keine USK-Siegel.

Blamabel simple Theorien

Zum anderen: Als Wirkung der Bilder gilt gemeinhin nur das, was an Aggression gewissermaßen von den Spiele-Bildern an den Spieler weiter gereicht wird und ihn - nach blamabel simpler Abbildungstheorie - selber aggressiv macht.

Als ob die Aggression der Bilder nicht auch darin bestünde, den Spieler mit simultan gebotenen Anweisungen, Tönen und Eindrücken zu überwältigen und seine Sinne zu überladen. Oder aber, ganz im Gegenteil, ihn durch die Monotonie der immer gleich zu erbringenden Eingaben zu unterfordern.

Eine Monotonie, die sich zudem in der Monotonie der ewig gleichen Bilder und Figuren-Choreographien aufs Erbärmlichste doppelt.

Außerdem, auch das ist strukturelle Aggression, gibt es Spiele, die den Spieler in ein Handlungskorsett schnüren, das lediglich seinen Untertanengeist fördert, weil das Spiel restriktiv vorschreibt, was eine richtige und was eine falsche Problemlösung sein soll.

So suggeriert die Konstruktion des Spiels, dass der Spieler das Problem ist, weil er falsche Lösungen liefert.

Denn auch das ist klar: Opulent und annähernd realistisch sind die Spiele-Bilder immer nur auf der Ebene des Augenscheins, also da, wo Programmierer ausschließlich agieren können, da, wo Hardware-Hersteller die technischen Voraussetzungen, also die Bühne für die meist klägliche Dramaturgie der Spiele liefern.

10 Jahre alte Spielkonzepte

Denn für wirklich kreative Spiellösungen und innovatives Gameplay gibt es anscheinend keine Algorithmen. Sonst würde man heute nicht Spielkonzepte von vor 10 Jahren lediglich im immer wieder aufgegossenen Update erleben müssen.

Wenn also über Killerspiele und die Wirkung der Bilder nachgedacht wird, dann sollte man sich klar machen, dass Wirkung auch in der Vermittlung von Weltbildern, Stereotypen und Standards besteht und Wirkung nicht auf Nachahmung von Aggression beschränkt bleibt.

Es ist, wie der Kunsthistoriker Horst Bredekamp im SZ-Interview einmal ausführte: "Wenn Bilder die Netzhaut scheinbar körperlich bombardieren, dann sind Bilder nicht mehr losgelöste Dinge; vielmehr haben besonders markante Bilder dieselbe Kraft wie Schwerthiebe oder Faustschläge."

Ein Spiel, das seinen Spieler traurig macht, ist ebenso aggressiv wie ein leichtfertig so genanntes Killerspiel, heißt das.

Dieser Artikel erscheint am Ende eines Jahres, das für die Computerspiel-Industrie wohl das erfolgreichste in ihrer Geschichte sein dürfte. Wieder einmal das erfolgreichste. Zuwächse im zweistelligen Prozent-Bereich. Inzwischen nähert man sich in großen Schritten den Umsätzen der Filmindustrie - auch mit Produkten, die Intellekt und Geist Hohn sprechen und einen Angriff auf das ästhetische Empfinden und den guten Geschmack darstellen.

Da wir aber den Rückgriff auf die Medien-Geschichte schon hatten, sei hier eine Analogie gestattet. Als die junge Comic-Industrie vor etwa 60 Jahren vor dem Problem ähnlicher Anfeindungen und fast derselben Monotonie ihrer Inhalte stand, versuchte man dieses Problem durch herbe Restriktion zu lösen. Es half nicht.

Die Comics kamen erst dann aus der Schmuddelecke, als man etwas einführte, das auch den Computerspielen von heute immer noch fast völlig abgeht: Empathie und menschliche Helden.

© SZ vom 23.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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