Bild-Zeitung virtuell:Das Netz-Sternchen

Lesezeit: 3 min

Der Springer-Verlag drängt auf den virtuellen Zeitungsmarkt. In der Online-Spielewelt "Second Life" erscheint seit Donnerstag die Boulevard-Zeitung "The Avastar".

Jörg Donner

Sie sind nicht auf "Welcome Island" und nicht in der "Big O! Mall". Auch auf keiner der wichtigen Parties in der virtuellen Welt finden sich die Zeitungs-Verkäufer im roten Dress mit dem weißen Stern auf dem Rücken. Selbst das Verlagsgebäude ist nicht ohne weiteres zu finden. Der Start der virtuellen Boulevard-Zeitung "The Avastar" war in der Online-Rollenspielwelt "Second Life" gestern kaum wahrnehmbar.

Titelseite der elektronischen Zeitung "The Avastar" (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Dabei hat das neue Zeitungsobjekt aus dem Axel Springer-Verlag durchaus Prestigecharakter: Es ist das erste Produkt eines Medienkonzerns, das sich ausschließlich mit virtuellen Ereignissen auseinandersetzt und nur elektronisch veröffentlicht wird.

"Umfassende Informationen über das Leben in der virtuellen Welt" soll die englischsprachige Zeitung wöchentlich vermitteln, verspricht der Verlag. Für 30 Seiten voller Nachrichten, Wirtschaft, Klatsch und Tratsch, Mode, Reise, und Veranstaltungen will der Bild-Ableger auch in der Sekundärwelt Leser finden.

Vorbild mit großem Namen

Dabei zeigt sich die erste Ausgabe deutlich zurückhaltender als der gedruckte Pate, die Bild-Zeitung: Während die Printausgabe am Donnerstag auf der ersten Seite eine leicht bekleidete Katie Price zeigt, ist der Aufmacher des Avastar ein Betrugsfall beim virtuellen "Big Brother" in Second Life. Immerhin gibt es auch ein "Girl von Seite 1": Der "Avastar der Woche" heißt Nyte Vargas und ist stolz auf ihre Katzenaugen und -ohren.

Optisch und inhaltlich orientiert sich die elektronische Bild-Kopie am Original: Sexy Weihnachtsmode an Cyber-Models, reißerische Überschriften zu einem Online-Immobilienbetrug, Partytipps.

Second Life-Bewohner Tom Bender, der im realen Leben Tom Smutny heißt, ist beeindruckt von der Qualität, auch wenn er den Avastar für überflüssig hält: "Viele Leute im Spiel sind der Meinung, wir brauchen keine neue Zeitung, die auch noch Geld kostet." Tom ist seit etwa einem Jahr Bewohner der virtuellen Welt, als bekannter DJ verdient er hier einen Teil seines realen Einkommens.

"Die 'Stimme des Volkes' hat der Avastar gut getroffen", gibt Tom zu. "Die Themen sind interessant, vor allem für Neulinge in Second Life sind ganz gute Tipps dabei." Negativ findet er, dass die Zeitung auch noch Werbeanzeigen enthält. "Entweder ein Verkaufspreis oder Werbung, beides kommt gar nicht gut an."

Für 150 virtuelle Linden-Dollar, umgerechnet etwa 42 Cent, können die "Residents", die Bewohner der Welt, eine digitale Ausgabe des Blatts kaufen. In den ersten vier Wochen verteilen Promotionteams den Avastar kostenlos in Second Life, in virtuellen Zeitungsboxen am Straßenrand liegt das Blatt später zum Verkauf bereit. Lesen lässt es sich allerdings nur als pdf-Dokument, die elektronischen Lebewesen können noch nicht anminiert blättern.

Für die Bewohner von Second Life ist der Avastar bislang noch ein Unbekannter. Verständlich, denn das Blatt ist keineswegs die erste Informationsschrift für die Online-Gemeinschaft, auch wenn der Verlag gerne darauf hinweist, dass es "das erste Massenmedium mit professionellem Hintergrund" sei. Für die Redaktion des seit Juni 2004 bestehenden " Second Life Herald" ein Schlag ins Gesicht und die Aufforderung zum Kampf.

"Meine zehnjährige Erfahrung als Journalist zählt wohl nicht", beschwert sich Walker Spaight auf seiner Webseite. Mark Wallace, so heißt der Herausgeber der Online-Zeitung im echten Leben, ist Co-Autor eines Buches über Online-Spiele und seit mehreren Jahren als freier Journalist tätig.

Für die Avastar-Macher war er offenbar erfahren genug, um zu versuchen, den "unprofessionellen" Konkurrenten abzuwerben. Per E-Mail baten sie um eine Arbeitsprobe eines Artikels über Second Life. "Wo liegt ihr Fokus / ihre Erfahrung / Leidenschaft für Second Life?", heißt es in dem Schreiben eines Headhunters.

Die Antwort Spaights an die Jobvermittler: Wenn die Macher des Avastar das nicht selber wüssten, hätten sie in Second Life nichts verloren.

Und auch die (realen) Redakteure des Avastar scheinen noch recht unbedarft im Umgang mit dem virtuellen Medium zu sein. Second Life-Bewohner "Inigo Chamerberlin" amüsiert sich in seinem Kommentar zum Artikel Spaights, er sei ebenfalls von Springer kontaktiert worden: "Ich sprach mit einer der Redakteurinnen und sie wusste noch nicht mal, wie man einen Screenshot auf der Festplatte speichert."

Aber schließlich hat der Avastar dafür seine Leserreporter: Für jedes Foto, das in der Zeitung erscheint, sollen Bewohner von Second Life 500 Lindendollar erhalten, für exklusives Material gibt es mehr. Fast wie im richtigen Leben.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: