Zwei Landräte zur Schulpolitik:"Die CSU kann nicht so weitermachen"

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Wie lässt sich die wohnortnahe Hauptschule retten? Zwei Landräte im Streitgespräch über ihre unterschiedlichen Konzepte.

Christine Burtscheidt

Rückläufige Schülerzahlen gefährden die Hauptschule. Um Schulstandorte zu retten, wollen inzwischen 250 Kommunen eigene Konzepte entwickeln. Zu ihrem Fürsprecher hat sich der bayerische Lehrerverband gemacht (BLLV). SPD und Grüne begrüßen den Vorstoß. Die CSU will jedoch nur genehmigen, was in das dreigliedrige Schulsystem passt. Ein Anlass, zwei Politiker an der Front zum Gespräch zu bitten: die Landräte Eberhard Irlinger (Erlangen-Höchstadt) und Christian Knauer (Aichach-Friedberg). Bis 2002 machten sie selbst die Bildungspolitik im Landtag.

Die Schulpolitik wird in der CSU wieder zum großen Thema. (Foto: Foto: dpa (Archiv))

Süddeutsche Zeitung: Liegen auch aus Ihren Landkreisen dem Kultusministerium Anträge für individuelle Schulkonzepte vor?

Christian Knauer: Bei uns ist das noch kein brandaktuelles Thema.

Eberhard Irlinger: Aus meinem Landkreis liegen drei Anfragen vor. Zwei sehen vor, die Hauptschule aus Furcht vor einem Verlust mit der Realschule zu fusionieren.

SZ: Wirken sich die Schülerrückgänge so aus, dass Schulen in Gefahr sind?

Knauer: Wir sind Zukunftsregion und unterscheiden uns von etlichen nordbayerischen Landkreisen, die sich bereits in einer schwierigen Lage befinden. Wir können den demographischen Wandel noch durch Zuzüge und Ansiedlungen etwas verlangsamen. Aber trotzdem ist auch bei uns der Trend zu weniger Kindern klar zu erkennbar. An den Hauptschulen sind aber die Alarmsignale nicht mehr zu überhören.

SZ: Kam es schon zu Schließungen?

Knauer: Nein, aber ich bin überzeugt, vom Jahr 2009 an wird die Neuorganisation im Volksschulbereich für ein Jahrzehnt ein Megathema in Bayern werden.

Irlinger: Lass uns mal ehrlich sein, wir hatten doch in den vergangenen Jahren bereits das größte Schulschließungsprogramm: In Bayern wurden alle Teilhauptschulen weggenommen. Nun steht uns noch ein Schülerrückgang bevor. Zugleich gibt es in dicht besiedelten großstädtischen Einzugsbereichen inzwischen Übertrittsquoten an Realschule und Gymnasium von 90 bis 95 Prozent. Die Hauptschule gerät also in doppelter Hinsicht in Bedrängnis. Wenn die CSU an ihrem Konzept festhält, dann haben wir langfristig in unserem Landkreis vielleicht noch vier große Hauptschulen.

Knauer: Es muss etwas Grundlegendes passieren und zwar schnell. Sonst werden sich die Landkreise mit neuen Gymnasien und Realschulerweiterungen zu Tode bauen, während die Hauptschulen leerstehen.

SZ: Liegt die Lösung in einer Fusion von Haupt- und Realschule?

Knauer: Wir hatten die Strukturfrage parteiübergreifend eigentlich Ende der neunziger Jahre abgeschlossen. Es ging immer wieder um Detailfragen, aber nicht mehr um die Zwei- oder Mehrgliedrigkeit. Wir wollten ein Schulsystem, das die Kinder dort abholt, wo sie sind, und das nach oben durchlässig ist.

Deshalb haben wir an der Hauptschule Ende der Neunziger eine tiefgreifende Reform eingeleitet und Praxiszüge für Kinder mit Förderbedarf und die Mittlere-Reife-Züge für leistungsstärkere eingerichtet. Das geschah jedoch nur fragmenthaft. Die Reform wurde nicht zu Ende geführt. Nun stehen wir vor dem Problem, dass die Eltern - wenn es nicht an jeder Hauptschule unabhängig von der Schülerzahl einen Mittlere-Reife-Zug gibt - für ihre Kinder dort keine Perspektive sehen und sie deshalb lieber in die Realschule oder ins Gymnasium schicken.

Kultusminister Schneider muss deshalb sofort handeln, sonst werden wir eine Entwicklung wie in Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein haben. Dann können wir die Hauptschule nicht mehr halten, selbst wenn wir das gegliederte Schulsystem wie eine Monstranz vor uns hertragen.

SZ: Herr Irlinger, sollte man nicht gleich die Hauptschule abschaffen?

Irlinger: Das ist nicht die Frage. Was der Kultusminister mit der Hauptschulreform plant, ist sicherlich ein Ansatz, der den jetzigen Schülerjahrgängen helfen kann. Ich bezweifle aber, dass dies mittel- und langfristig die Lösung sein kann. Die Kommunen haben viel investiert, denn Schulen sind Anziehungspunkte für junge Familien und ein wichtiger Faktor für die lokale Wirtschaft. Auch der Städtetag schlägt Alarm. In den großen Städten laufen der Hauptschule reihenweise die Schüler davon.

Und wir haben den jüngsten Umfragen zufolge Eltern, die nicht einverstanden sind, dass schon nach der vierten Klasse ausgesiebt wird. All die Dinge liegen klar auf dem Tisch. Dafür brauchen wir flexible Lösungen. Starrheit in der Schulentwicklung führt zu nichts. Da hat der BLLV hundertprozentig recht.

Knauer: Die Hauptschule hat noch eine Zukunft. Dann muss ich die aber so gestalten, dass sie zur Ausbildungsreife und zur mittleren Schulreife führt - und zwar an jeder Schule.

Irlinger: Die M-Züge haben sich nicht in allen Regionen bewährt. An jeder Hauptschule muss der echte Realschulabschluss gemacht werden können.

Knauer: Wenn ich in einem Landkreis mit 24 Gemeinden nur drei Standorte habe, die M-Klassen anbieten, und die liegen nur in den großen Zentren, wie soll dann dafür eine Akzeptanz entstehen?

SZ: Herr Irlinger, Ihre Partei hat sich langfristig für die Einheitsschule ausgesprochen. Ist das der richtige Weg?

Irlinger: Einheitsschule ist der falsche Begriff. Unsere Kinder brauchen die Möglichkeit, lange gemeinsam zu lernen. Die Debatte haben wir beide, Christian, doch schon längst ad acta gelegt. In vielen Regionen funktioniert es, dass die Kinder auf die Realschule oder das Gymnasium gehen. Wir brauchen passgenaue Schulkonzepte für jeden Ort, damit auch kleine Standorte erhalten bleiben. Es muss von oben mehr gestattet werden. Man kann nicht stur an Regelungen festhalten, die Totschlagargumente sind.

Knauer: Eberhard hängt nicht an der Einheitsschule, und ich sage, die CSU muss schneller handeln und kann nicht so weitermachen. Das ist doch eine gute Basis für eine persönliche Koalition.

SZ: Herr Knauer, heißt das, Sie würden auch eine Haupt- und eine Realschule unter einem Dach akzeptieren?

Knauer: Ich will da nicht so starr sein. Das kann man in Ausnahmefällen machen, wo es sich organisatorisch von den Schülerzahlen her anbietet. Was wir aber vor allem brauchen, ist innerhalb des nächsten Jahres ein klares Profil für eine "Berufsbildende Mittelschule", die an die Stelle der Hauptschule tritt. Sie muss zu besseren Abschlüssen führen und überall wieder an Akzeptanz gewinnen. Sie braucht ein neues Konzept und einen neuen Namen, der alte ist ruiniert.

Irlinger: Berufsbildende Mittelschule! Was ist das anderes als eine gemeinsame Haupt- und Realschule. Das führt doch richtigerweise in ein zweisäuliges System, das nur zwischen gymnasialem und berufsorientiertem Zweig trennt. Die Einteilung in homogene Schülergruppen hat an der Hauptschule nur Nachteile gebracht. Wir haben dort so viele Schüler ohne Abschluss, weil sie frustriert sind.

SZ: Die CSU steht also unter Handlungsdruck?

Knauer: Die Hauptschule ist bislang nicht in dem Maße gestärkt worden, wie es notwendig gewesen wäre. Wenn es nicht gelingt, sie in den nächsten drei Jahren aufzuwerten und die CSU-Fraktion darin nicht nachhaltig Kultusminister Schneider unterstützt, dann verspielt sie einen Teil des gegliederten Schulsystems, von dem ich nach wie vor überzeugt bin, dass es ein gutes ist. Wir haben nicht mehr viel Zeit.

Irlinger: Das ist doch jetzt ein krampfhafter Versuch, noch etwas aus der Hauptschule zu machen. Das Schulwahlverhalten der Eltern wird sich doch nicht mehr verändern lassen. Wir müssen grundlegend etwas tun. Das heißt: Auflösung der starren Auslese. Längere gemeinsame Schulzeit und dann vor Ort in einer regionalen Schulentwicklung entscheiden, was passt in meine Gemeinde. Und da wird für jeden Schulstandort in der Sekundarstufe I herauskommen müssen, dass dort ein Mittlere-Reife-Abschluss möglich sein muss.

Knauer: Diese neue Schule könnte die "Berufliche Mittelschule" sein.

SZ: Also sind Sie sich nun einig?

Knauer: Der Unterschied ist: Irlinger will nach der Grundschule Haupt- und Realschule miteinander verschmelzen. Ich sage: In der Realschule können die Kinder sein, die frühzeitig ohne große Hilfe ihr Ziel erreichen. Für die anderen brauche ich die "Berufliche Mittelschule" mit mehr individueller Förderung.

Irlinger: Aber die kann man doch alle an eine Schule geben.

Knauer: Das wird ein Moloch.

Irlinger: Nein, im Gegenteil. Wir können dadurch gerade kleine Schulstandorte mit 200 Schülern erhalten. Dort sollen nach der sechsten oder siebten Klasse die einen in einen mittleren Reife-Zweig gehen und die anderen in den Quali-Zweig.

SZ: Wie ist Ihre Vision? Wo stehen wir in Bayern in 20 Jahren?

Knauer: Bis dahin werden sicherlich nicht mehr alle Schulstandorte zu halten sein, und möglicherweise auch nicht die Hauptschule, wenn es nicht in kürzester Zeit gelingt, eine neue, total reformierte und akzeptierte Schule auf dem flachen Land zu schaffen, die alle Abschlüsse bis zur Mittleren Reife anbietet.

Irlinger: Wir brauchen auch in 20 Jahren in jedem Dorf eine Grundschule. Und wir brauchen über eine regionale Schulentwicklung möglichst wohnortnahe Schulen bis zur Mittleren Reife, wo Kinder länger gemeinsam zur Schule gehen.

© SZ vom 25.02.2008/maru - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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