Oskar R. war einmal ein Multimillionär. Doch dann verfiel er dem Roulettespiel, im staatlichen Casino Bad Kissingen spielte er fast täglich und verzockte so etwa sieben Millionen Euro. Heute lebt der 82 Jahre alte Mann von Sozialhilfe. Nun hat der Spielsüchtige den Freistaat Bayern verklagt: Fast eine Million Euro fordert er zurück.
Bei seinen Geschäften hatte Oskar R. noch eine glückliche Hand gehabt: Mit Handwerker-Kolonnen und Immobilien verdiente er viel Geld. Doch die vergangenen 20 Jahre seines Lebens widmete er sich ausschließlich einer Leidenschaft: dem Zocken. Er zog damals extra nach Bad Kissingen um, um täglich in die staatliche Spielbank gehen zu können. "Er war dort bekannt wie ein bunter Hund", sagt seine Rechtsanwältin. "Wenn um 15 Uhr geöffnet wurde, war er gleich da und blieb bis nachts um 23 Uhr, manchmal wurde es auch zwei Uhr." 30.000 bis 50.000 Euro habe ihr Mandant im Monat beim Roulette verspielt.
Zum Schluss, als er fast pleite war, verkaufte der Mann sein letztes Haus in Nürnberg für knapp 450.000 Euro. Als er trotzdem schon bald darauf den letzten 50-Euro-Schein gesetzt hatte, bekam er Hausverbot im Casino. Die Anwältin hat den Freistaat nun in seinem Namen verklagt: Sie wirft den Verantwortlichen vor, gegen die im Glücksspielstaatsvertrag vorgeschriebene Fürsorgepflicht verstoßen zu haben - denn alle hätten zweifelsfrei erkennen müssen, dass Oskar R. pathologisch spielsüchtig sei.
Geschäftsunfähig durch Spielsucht?
In dem Verfahren vor der Amtshaftungskammer am Landgericht München I soll nun ein Münchner Diplom-Psychologe und Therapieforscher als Gutachter feststellen, ob die extreme Spielsucht Oskar R. sogar geschäftsunfähig gemacht hat. Dafür könnte sprechen, dass sich der Mann in jeder freien Minuten mit der Auswertung von Spielplänen und dem Austüfteln neuer Systeme beschäftigt habe. Das will die Anwältin durch Zeugen belegen lassen.
Sie will auch frühere Tischchefs und Croupiers bezeugen lassen, dass auf Weisung der Spielbankleitung die Einsätze und Verluste der "Hochspieler" regelmäßig namentlich erfasst wurden - man also genau Bescheid gewusst habe. Die Angestellten hätten regelmäßig Bericht erstatten müssen. Ein Finanzbeamter habe sich wegen datenschutzrechtlicher Bedenken sogar bei seinen Vorgesetzten über dieses Verhalten beschwert.
Der Anwalt des Freistaats und ein Regierungsdirektor der Staatlichen Lotterieverwaltung schildern das in dem Prozess anders. Der Leiter der Spielbank habe Oskar R. mehrmals auf sein tägliches Erscheinen angesprochen. Der habe ihm glaubhaft dargelegt, dass er sehr wohlhabend sei und sich das regelmäßige Roulettespiel leisten könne. Seine damalige Frau und andere Familienangehörige seien bloß hinter seinem Geld her - da gehe er lieber ins Casino. Es könne auch keine Rede davon sein, dass Oskar R. regelmäßig die behauptet großen Beträge verspielt habe.
Es wird aber eingeräumt, dass die damalige Ehefrau einige Male verlangt hat, ihren Mann wegen seiner Spielsucht zu sperren: Er lebe nur noch von rund 1700 Euro im Monat und habe Unterhaltsverpflichtungen, sagte sie. Doch damals hätten die Eheleute schon in Scheidung gelebt, und man habe sich nicht in deren Rosenkrieg einmischen wollen. Anzeichen für eine Spielsucht habe man nicht gesehen. Natürlich sei Oskar R. im Casino gut bekannt gewesen, nicht zuletzt auch, weil sein Sohn dort einige Zeit lang als Croupier gearbeitet habe.
Zocken bis zum Hausverbot
Das Hausverbot gegen Oskar R. begründen die Verantwortlichen der Spielbank mit kriminellen Machenschaften, die dann aufgeflogen seien. Tatsächlich hatte sich herausgestellt, dass ein Gast und zwei Croupiers das Casino um mindestens 50.000 Euro betrogen hatten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft führten rasch zu Oskar R.
Die Croupiers, ein Mann und eine Frau, wurden später in einem Strafprozess zu einjährigen Freiheitsstrafen mit Bewährung und zur Wiedergutmachung des Schadens verurteilt. Das Verfahren gegen Oskar R. wurde dagegen eingestellt: Der über 80-Jährige war nicht mehr verhandlungsfähig - rund 16.000 Euro muss er allerdings zurückzahlen. Ob Oskar R. durch seine Spielsucht zumindest teilweise auch geschäftsunfähig war, ließ der Gerichtsgutachter damals allerdings offen.
Für das Amtshaftungsverfahren am Münchner Landgericht steht nun neben der Frage nach der Geschäftsunfähigkeit im Mittelpunkt des Verfahrens, ob die Spielbank zumindest von 2008 an eine Schutzpflicht gegenüber Oskar R. gehabt habe. Deshalb soll nun aufwendig geklärt werden, ob R. damals noch eine freie Willensentscheidung gehabt hat - oder ob er seinen Tagesablauf, sein Denken und Handeln komplett seiner Spielsucht untergeordnet hatte. Die Rechtsanwältin regte trotzdem an, angesichts des Alters und der schlechten Gesundheit von Oskar R. einen Kompromiss zu finden - sonst müssten seine Erben das Verfahren weiterführen. Der Prozess wird 2013 fortgesetzt.