Wörthsee:Ausnahmezustand auf spiegelglatter Fläche

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Aller Gefahren zum Trotz: Am Wochenende strömten die Menschen wie die Lemminge aufs Eis - und brachten sich damit in Lebensgefahr.

Thomas Anlauf

Wenn das Eis ächzt, ist es eigentlich ein gutes Zeichen. Der Wörthsee sieht wie ein riesiger Spiegel aus. Und das Eis ächzt. Riesige Risse ziehen sich durch diesen Spiegel, wie ein Peitschenschlag entlädt sich die Spannung. "Das ist auch in Ordnung", sagt David Kramny, Leiter der Wasserwacht am Wörthsee.

Tiefe Temperaturen sind keine Garantie, dass das Eis auch an allen Stellen trägt. (Bild: Wörthsee) (Foto: Foto: dpa)

Doch da ist noch dieses andere Geräusch. Ein ständiges Rauschen, das den Leuten von der Wasserwacht an diesem Wochenende Sorgen bereitet. Es klingt wie das Röhren in einem Tunnel, und es stammt von Tausenden Kufen.

Wie die Lemminge sind die Menschen am Wochenende auf den Wörthsee geströmt, und nicht immer hat das Eis getragen. Es ist 15 Uhr, Samstag, als lautes Knattern die trügerische Idylle zerreißt. Zuvor hatten immer wieder Feuerwehrsirenen über den See gehallt. Doch jetzt machen Polizei und Feuerwehr ernst. Ein weißgrüner Hubschrauber senkt sich knapp über die Eisfläche. Die Menschenmenge hört auf, gemächlich übers Eis zu gleiten.

Mehr als tausend Ausflügler starren auf das Spektakel: Unter den Rotorblättern des Helikopters bricht das spiegelnde Eis, metergroße Platten wirbeln durch die Luft. "Kommt, wir fahren zum Hubschrauber", ruft ein Vater seinen Kinder zu.

Ein Eisläufer kommt dem Helikopter gefährlich nah. Der Pilot senkt die Schnauze seines Fliegers und fegt den Mann in Richtung Ufer. Der martialische Auftritt von Polizei und Feuerwehr erinnert an Kampfeinsätze. Doch diesmal geht es darum, Menschenleben zu retten und trügerische Eisstellen zu brechen.

Per Lautsprecher ruft die Feuerwehr auf, umgehend den See zu verlassen. Bis die Menschen tatsächlich am Ufer sind, ist es dunkel geworden. Selbst ein zweiter Hubschrauber, der tief über dem See kreist, kann die ausgelassene Gesellschaft nicht dazu bewegen, das Eis sofort zu verlassen.

Am Glühweinstand von Thomas Bernhard am Strandbad Raabe gibt es unterdessen hitzige Diskussionen. Die meisten Einheimischen verteidigen den radikalen Polizeieinsatz. "Das Problem sind die Leute, die nicht von hier sind", sagt Mike Keszler, der den See seit seiner Kindheit kennt.

Strömungen machen das Eis an manchen Stellen brüchig, die Menschen vom Wörthsee wissen das. Die Münchner meist nicht. Und in diesem Jahr hätten sich die Strömungen verlagert. "Nur wer wirklich jeden Tag auf dem Eis ist, weiß, wo es sicher ist", sagt der in Steinebach praktizierende Homöopath. Gastwirt Bernhard sieht den Großeinsatz anders. "Es gibt so viel gutes Eis, da muss man doch nicht den ganzen See sperren."

Offiziell gesperrt wurde der See auch nicht. Das hätte auch kaum jemanden gekümmert. Wieder sind am Sonntag Tausende auf dem Eis. Und glücklicherweise kommt es auch nicht zu größeren Einsätzen. Die Männer und Frauen von der Wasserwacht verbringen einen ruhigen Tag mit Früchtetee und vielen Gesprächen mit Schlittschuhläufern.

"Ich versteh die Leute ja, dass sie auf den See wollen", sagt einer, der seit 20 Jahren das Treiben beobachtet und im Notfall mit Neoprenanzug selbst ins eiskalte Wasser springt. Das Problem sei, dass die Leute nicht mehr selber denken. Und glauben, dass ihnen nichts passieren kann.

Dann kneift der Mann die Augen zusammen, blickt nach draußen. Auf dem dünnen Spiegeleis, das der Hubschrauber vor nicht einmal 24 Stunden zerstört hat, schiebt sich ein Rollstuhlfahrer übers Eis, zwei Kinder laufen neben ihm. "Ich kann gar nicht hinschauen", sagt er und dreht sich weg.

© SZ vom 12.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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