Waldemar von Knoeringen:Bayerns "roter Baron"

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Die CSU auf der Oppositionsbank, Einsatz für die Atomkraft, junge Akademiker in der Arbeiterpartei: Als der adelige SPD-Visionär im Freistaat das Sagen hatte.

Christian Ude

Im vergangenen Jahr wurde sein 100. Geburtstag gefeiert, was auch der Anlass für die Herausgabe des zweibändigen Sammelbands "Waldemar von Knoeringen" war; in diesem Jahr wird - in aller Stille, versteht sich - ein "Jubiläum" begangen, das die Bedeutung seines Wirkens unterstreicht: 50 Jahre SPD-Opposition in Bayern.

Waldemar von Knoeringen (Foto: Foto: Archiv)

Für jüngere Menschen ist es ja kaum noch vorstellbar, dass die SPD in Bayern regiert und den Ministerpräsidenten gestellt hat. Das war in der Zeit der Viererkoalition von 1954 bis 1957. Wilhelm Hoegner war - wie schon 1945/46 nach der Ernennung durch die Besatzungsmacht - der rote Regierungschef des weißblauen Freistaats, und der "rote Baron", wie Waldemar von Knoeringen teils ironisch, teils respektvoll genannt wurde, war der Architekt dieses Bündnisses der bayerischen SPD mit der Bayern-Partei, dem Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen sowie der FDP.

Alles vergessen? Wie ungerecht das wäre, macht der Beitrag des Historikers Michael Stephan deutlich: Die Koalition hat auf Betreiben Knoeringens gegen die Stimmen der CSU die Gründung der Politischen Akademie in Tutzing durchgesetzt, die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit ins Leben gerufen (die freilich erst seit 1964 so firmiert), das Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik von Göttingen nach München geholt und Pläne für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der bayerischen Hochschulen geschmiedet, den sozialen Wohnungsbau forciert, den Landesentwicklungsplan auf den Weg gebracht und die Fremdenverkehrsförderung mit dem Naturschutz verknüpft.

Vielleicht ist dies alles auch deshalb nicht so präsent, weil die konservative Mehrheit im Lande diesen Zeitabschnitt gerne verdrängt, die Bayernpartei die Spielbankenaffäre und der GB/BHE die Zeitläufte nicht überlebt hat, und die SPD mit manchen Bilanzposten heute wenig anfangen kann, etwa dem Garchinger Atom-Ei und dem damals völlig unstrittigen Ruf nach Atomkraftanlagen.

Rechtfertigung gegenüber dem Großvater

So wichtig aber dieser Nachtrag zur Landesgeschichte auch sein mag, so falsch wäre es, sich nur auf diese drei Jahre zu konzentrieren. Das gesamte politische Lebenswerk Waldemar von Knoeringens ist bedeutsam, weil es Wege zur Mehrheitsfindung aufzeigt, aber auch einen Politik-Stil, der heute aktueller denn je ist.

Das beginnt mit seinem Entschluss, gegen sein konservatives Herkunftsmilieu mit 20 Jahren der SPD beizutreten. Der Brief, mit dem er dies seinem Großvater gegenüber rechtfertigt, gehört - bei allem jugendlichen Pathos - zu den bewegendsten Texten des zweiten, des dokumentarischen Bandes.

Als hellsichtiger und wortgewaltiger Gegner der Nazis engagiert er sich in Widerstand und Exil und sammelt Auslandserfahrungen, die ihn vor allem mit britischen Labour-Positionen vertraut machen: Akzeptanz "eines liberaldemokratischen Wertekonsenses", "Keynesianismus als integraler Bestandteil des politischen Denkens" (so Julia Angster in ihrem Essay über den "westlich geprägten" Remigranten).

Wie der "rote Baron" Politik machte, schildert Hans-Jochen Vogel in einem sehr persönlich gehaltenen Beitrag. Knoeringen sammelte Nachwuchstalente um sich, vor allem aus dem Hochschulbereich (darunter, neben Vogel, der spätere Bundesgeschäftsführer Peter Glotz und der spätere Münchner SPD-Vorsitzende Hans-Günter Naumann) und eröffnete ihnen Wirkungschancen an der Georg-von-Vollmar-Akademie auf Schloss Aspenstein am Kochelsee, deren Gründer und Leiter er war: ein früher Vorfahre heutiger Mentoring-Programme.

Eher glücklos in der Partei

Er eroberte für die SPD damals mit der "Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Akademiker" noch völlig unbekanntes Neuland und regte Vortragsreihen an, die Furore machten: über Atomenergie, die Welt der Roboter oder Christentum und Politik.

Das von ihm propagierte "Gespräch mit jedermann" war mehr als ein Versuch, eigene Ideen unter die Leute zu bringen, nämlich eine Initiative, um das Legitimationsdefizit der politischen Parteien durch ernsthaften Programm-Dialog mit Nicht-Mitgliedern abzubauen. Und das bereits Jahrzehnte vor der Politik- und Partei-Verdrossenheit! Das verlieh der verkrusteten Partei intellektuelle Anziehungskraft, brachte dem Initiator, gerade in den eigenen Reihen, aber auch den Ruf "hochfliegender Pläne" oder "illusorischer Visionen" ein.

Tatsächlich ist er in der Bundespartei, wo er einige Jahre Stellvertreter neben Herbert Wehner war, zwar ein erfolgreicher Verfechter des Godesberger Programms gewesen, ansonsten aber eher glücklos.

Willy Brandt, der zeitweise mit ähnlichen Vorbehalten der "Macher" leben musste, würdigte den bayerischen Vordenker der Sozialdemokratie bei der Beisetzung im Münchner Waldfriedhof am 7. Juli 1971 mit den Worten, er habe die Gabe gehabt, "die Wirklichkeit von heute und morgen oft deutlicher zu erkennen, als es manche derer vermochten, die dem bloßen Tagesgeschehen verhaftet waren".

Beigesetzt wurde Waldemar von Knoeringen übrigens im Grab Georg von Vollmars, als dessen legitimen Nachfahren er sich sah - als Spross verarmten Adels, der sich der Arbeiterbewegung verschrieb, zunächst revolutionären Theorien anhing, aber dann die eigene Partei lehrte, dass die Theorie korrigiert werden muss, wenn sie mit der Realität nicht mehr übereinstimmt.

Der Autor ist SPD-Mitglied und Oberbürgermeister von München.

HELGA GREBING/DIETMAR SÜSS (Hrsg.): Waldemar von Knoeringen (1906-1971). Ein Erneuerer der deutschen Sozialdemokratie. Vorwärts Buch, Berlin 2006. 710 Seiten, 29,80 Euro.

© SZ vom 9.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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