Vor der Landtagswahl in Bayern:Kartell der Angst

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Die CSU bangt um die absolute Mehrheit. Dem Freistaat würde es aber guttun, wenn die eitle christlich-soziale Machtclique diesmal irritiert wird. Lange Perioden der Kontinuität führen zur Erstarrung.

Hans Werner Kilz

Günther Beckstein kann viel lustiger sein, als er gemeinhin wirkt. Eine kleine Journalistenschar, die tagaus, tagein die bayerische Politik verfolgt und kommentiert, überraschte er bei einem Abendessen mit der Frage: "Kennens eigentlich den FDP-Spitzenkandidaten? Wissens, wie der heißt?" Die Herren Kommentatoren griffen verlegen nach Besteck und Weinglas, blickten in die Menükarte, um seinen neugierigen Blicken auszuweichen.

Günther Beckstein bei der Wahlkampfabschlussveranstaltung der CSU in München. (Foto: Foto: ddp)

Der Regierungschef feixte. Es mögen 98 oder 99 von 100 wahlberechtigten Bayern sein, die den FDP-Politiker nicht kennen, und das stimmt den CSU-Ministerpräsidenten heiter. Das könnte sich am Wahlabend nach den ersten Hochrechnungen ändern. Verfehlt die CSU die absolute Mehrheit der Parlamentssitze, braucht Beckstein die Liberalen, um weiterregieren zu können.

Davor hat er Angst, er hätte einen ruhmlosen Eintrag im Geschichtsbuch sicher: als der CSU-Regierungschef, der nach einem halben Jahrhundert Alleinherrschaft die absolute Mehrheit der Partei verspielte.

Wer künftig in Bayern herrscht, steht fest

Ganz egal, ob es am Ende 50 minus X oder doch wieder 50 plus X sind. Wer künftig in Bayern herrscht, steht fest: die CSU. So viele Möglichkeiten, wie die Wahl ausgehen könnte, gibt es gar nicht. Genau genommen, sind es zwei.

Entweder behält die CSU die absolute Mehrheit, dann regieren Beckstein und Huber allein weiter. Oder sie verliert die absolute Mehrheit, dann regiert sie mit der FDP in einer schwarz-gelben Koalition. Wenn Ministerposten winken, lassen sich Freidemokraten erfahrungsgemäß nie lange bitten. Und die Freien Wähler, die der Landesregierung inhaltlich sehr nahestehen, werden von der CSU wie Schmarotzer empfunden und entsprechend behandelt. Sie sollen auf keinen Fall aufgewertet werden, weil sie der CSU in den Kommunen schon lästig genug sind.

Beckstein wird das kleinere Übel wählen, wenn es die Arithmetik erfordert. Auch knappe Mehrheiten sind Mehrheiten, das gehört zum Wesen der Demokratie. Es müssen ja nicht immer Kriege und Revolutionen sein, die erstarrte Verhältnisse lockern. In Demokratien genügt es, wenn die Wähler mal nachdenken und zu der Überzeugung kommen, etwas verändern zu müssen. Genau das reizt offenbar viele Bayern: dafür zu sorgen, dass die CSU endlich jemanden fragen muss, bevor sie etwas entscheidet.

Stoibers Hybris

Es wird auch dem Freistaat Bayern guttun, wenn die christlich-soziale Machtclique, die sich sehr eitel in höchsten staatlichen Ämtern bewegt, diesmal irritiert wird. Lange Perioden der Kontinuität führen zur Erstarrung.

Das war in den einst SPD-dominierten Hochburgen Hamburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen so; das war auch im Bund unter Helmut Kohl so, der dickfellig alle Zeichen der Abnutzung und Zermürbung ignorierte, bis ihm die Wähler nach 16 Jahren zu verstehen gaben, dass ein Wechsel im Kanzleramt notwendig wäre. Wer zu lange regiert, verfällt zu leicht dem Irrtum, er dürfe sich alles erlauben.

Dieser Hybris erlag am Ende auch Edmund Stoiber, der sich und seine bundespolitische Rolle total überschätzte. Als er merkte, wie wenig er gegen die Kanzlerin Angela Merkel ausrichten konnte, dann reumütig den Rückzug antrat und auch noch so tat, als werde er in Bayern dringendst gebraucht, zeigte ihm die eigene Partei, wie sehr er überzogen hatte. Das Fallbeil, das Stoiber als unentbehrliches Werkzeug seiner Machtausübung einzusetzen verstand, wurde ihm selber zum Verhängnis.

Auf der nächsten Seite: Warum Beckstein und Huber so schwer am Erbe Stoibers tragen.

Im Stile eines rachsüchtigen Voralpen-Fouché holte sich Erwin Huber, untergehakt bei Beckstein, die Unterstützung der Fraktion. Wer es in der CSU bis ganz nach oben gebracht hat, versteht sich auch aufs Meucheln. Stoiber war binnen einer Nacht erledigt, und was er dann - mit Duldung der Partei - monatelang tat, offenbarte nur, wie sehr er der Macht erlegen war.

Er merkte nicht, dass er sich mit seinen Auftritten mehr blamierte als profilierte - ob es der Besuch bei Putin im Kreml oder bei Sarkozy im Élysée war, die beide signalisieren sollten, wie sehr Politiker weltweit den Rat aus Wolfratshausen schätzen.

Der Oberbayer Stoiber bewegte sich gern in den Fußstapfen seines großen Förderers Franz Josef Strauß, erreichte aber nie dessen Format. Am Ende wirkte Stoiber nur noch lächerlich. Er verspielte manches, was er sich als zäher Rackerer in Partei und Regierung aufgebaut hatte: seine Reputation als kompetenter Politiker, sein Ansehen als erfolgreicher Ministerpräsident, seine bis dahin unangefochtene Position als energischer Parteivorsitzender und gefeierter Wahlsieger.

Becksteins Hypothek

Was Beckstein und Huber bei dieser Wahl beschwert, sind auch die Erblasten Stoibers: die verlustreichen Kreditgeschäfte der Bayerischen Landesbank, der Irrsinnstraum vom Transrapid, das rigorose Sparen im Haushalt, die überhastete Schulreform G8. Das war beileibe nicht alles falsch, aber vieles war falsch angepackt.

Mit Bildungsreformen gewinnen Politiker keine Wahlen, doch Ärger in den Schulen kann der Grund sein, warum sie Wahlen verlieren. Beckstein und Huber gehörten zu den Galionsfiguren in Stoibers Kabinett, sonst säßen sie nicht da, wo sie heute sitzen. Sie haben alles mitbeschlossen - und alles mitzuverantworten. Und deshalb ist es nur konsequent, wenn am Sonntag auch noch einmal über Stoiber abgestimmt wird und die beiden die Folgen zu tragen haben.

Beckstein und Huber litten von Anfang an unter der Hypothek, nur einen Übergang, aber keinen Neuanfang zu verkörpern. Sie sind zu alt und zu ungeschickt. Vor Kameras müsste man sie eigentlich verstecken. Sie wirken in Berlin provinziell und sie benehmen sich in Bayern so, als müssten sie ein um seine Macht bangendes Kartell der Angst zusammenhalten.

Sie schaffen es nicht mehr, Partei und Freistaat als etwas Identisches erscheinen zu lassen. Sie bedienen alle mit Wahlgeschenken, die Lehrer, die Blasmusiker, die Trachtenvereine und die Milchbauern. Und weil sie alle bedienen, hoffen sie auch, von allen gewählt zu werden. Das verstehen CSU-Politiker unter einer Volkspartei.

Die Wähler mucken auf

Aber plötzlich merken die Wähler, dass diese Volksnähe nur der Kitt ist, um widerstrebende Ansprüche zusammenzufügen und ja nicht die eigene Macht zu gefährden. Sie lassen sich nicht mehr alles gefallen. Sie mucken auf, wenn verliehene Macht von denen, die sie gewählt haben, missbraucht wird.

Nach außen wirkt die CSU noch wie ein monolithischer Block, im Innern brodelt es. Die Erosion der Volksparteien hat auch die CSU erfasst. Mit schwachen Repräsentanten wie Huber und Beckstein verwirkt sie ihren nationalen Anspruch und verkümmert zur Regionalpartei.

Es wird keinen Machtwechsel geben in Bayern. Ein Verlust der absoluten Mehrheit wird auch nicht den Abstieg Bayerns einläuten. In Berlin nichts mehr zu sagen zu haben, das nehmen sie in der Partei noch hin. Aber im eigenen Land nicht mehr allein bestimmen zu können, das würden CSU-Politiker als Demütigung empfinden. Wenn das passiert, ist die Phase des Übergangs schon wieder vorbei. Dann beginnt die CSU, eine normale Partei zu sein.

© SZ vom 27.09.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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