VBW: Mächtiger Lobbyverband:Strippenzieher in Nadelstreifen

Lesezeit: 4 min

"Seehofer hatte was gutzumachen bei uns": Einblicke in die unbequeme Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Ohne den mächtigen Lobbyverband geht Politik in Bayern kaum.

Mike Szymanski

Man sieht es in ihren Gesichtern, wie sehr sie es genießen, wieder so hofiert zu werden. Sie zupfen schnell noch ihre Anzüge zurecht. Die Omnibusunternehmer sind gekommen, der Schaustellerverband hat seine Leute geschickt, der Brauerbund ist dabei, die Wirtschaftskammervertreter sind es sowieso.

Wege zur Macht: Das Treppenhaus im Haus der Bayerischen Wirtschaft in München. Dort wird Politik gemacht. (Foto: Foto: dpa)

Jetzt bekommen sie einen Empfang wie Staatsmänner. Im Kuppelsaal der Staatskanzlei ist alles vorbereitet. Die Helfer haben Tische zu einem großen U zusammengeschoben. Alles sieht so wichtig aus, als würde hier gleich über Krieg und Frieden entschieden.

Es sind einmal nicht die Spitzenmanager von Dax-Unternehmen, die im Mittelpunkt stehen. Eher Wirtschaft von unten, wenn man so will. 44 Vertreter sind gekommen. Alle scharen sich um Ministerpräsident Horst Seehofer und Wirtschaftsminister Martin Zeil.

Natürlich geht es um die Symbolik auf solchen Terminen. Die Botschaft, die heute vermittelt werden soll, lautet: "Es ist Krise, aber wir, Politik und Wirtschaft, halten zusammen." Dann reichen sie den "Mittelstandspakt" herum, eine 21-seitige Absichtserklärung, künftig stärker miteinander zu kooperieren. Ein Papier, ausgeschmückt in den Landesfarben Weiß und Blau.

Kaum ein anderes Bundesland definiert sich so sehr über seine Wirtschaftskraft wie Bayern. Dennoch ist diese Zusammenkunft bemerkenswert, weil es ein vergleichbares Ereignis schon lange nicht mehr gegeben hat. Ein Teilnehmer sagt später: "Seehofer hatte längst was gutzumachen bei uns." Dies beschreibt die Stimmungslage sehr präzise, denn Politik und mittelständische Wirtschaft hatten sich in den vergangenen Jahren auseinandergelebt. Das ändert sich gerade wieder.

Stimme von 3,3 Millionen

Wer hier im Hintergrund die Strippen zieht, wird schnell klar, wenn man die Partner des "Mittelstandspaktes" betrachtet: Etwa ein Dutzend der Unterzeichner sind auch Mitglied der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), die selbst auch den Pakt unterschrieben hat.

Wirtschaftspolitik ohne die VBW - das geht im Freistaat nicht. Die VBW dürfte die wohl mächtigste Lobbyorganisation in Bayern sein. Sie selbst bezeichnet sich als die "Stimme der Wirtschaft", und das ist gar nicht einmal vermessen. 1998 fusionierten der Landesverband der Bayerischen Industrie und die Vereinigung der Arbeitgeberverbände in Bayern zum neuen Verband der Verbände, der Unternehmen mit insgesamt 3,3Millionen Beschäftigten vertritt.

Kürzlich hatte die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zum Gespräch eingeladen. Bei solchen Anlässen entscheidet sich, wem die VBW wohlgesonnen ist und wen sie zum Gegner erklärt.

Guttenberg wird wie ein Verbündeter empfangen, weil er Opel kein Staatsgeld geben wollte. "Sie sind der Bannerträger der sozialen Marktwirtschaft", hatte Verbandspräsident Randolf Rodenstock ihn gelobt. Den Ministerpräsidenten Seehofer, der gerne den Firmenretter gibt, hatte der Verband zuvor bei einem Empfang für die Staatsregierung eher kühl begrüßt. Da hatte Seehofer gerade dem Autozulieferer Schaeffler Hilfe in Aussicht gestellt und durfte sich dann von der VBW anhören, dass der Staat sich da bitteschön rauszuhalten habe.

Wen auch immer man in Kreisen der bayerischen Wirtschaftspolitik fragt, alle bestätigen: "Der Einfluss der VBW nimmt zu." Bayerns Gewerkschaftschef Fritz Schösser sagt über die Macht des VBW: "Das macht uns schon neidisch." In der Verbandsspitze gibt es eine klare Aufgabenteilung, die bayerische Wirtschaftspolitiker so beschreiben: ein Vertreter zum Repräsentieren und ein Vertreter fürs Strippenziehen.

Präsident Randolf Rodenstock, 61, war einer der bekanntesten Brillenunternehmer Deutschlands, bis er sich aus dem gleichnamigen Familienunternehmen zurückzog und 2007 die letzten Anteile an Finanzinvestoren verkaufte. Seinem Ansehen schadete das nicht. Seither hat er noch mehr Zeit, um den mächtigen Verband, den er seit 2000 anführt, nach außen zu vertreten. Gerade erst ist er wieder zum Präsidenten gewählt worden. Es gibt Unternehmer, die sagen, Rodenstock habe erst als Lobbyist die Rolle seines Lebens gefunden.

Im Hintergrund arbeitet Bertram Brossardt als Hauptgeschäftsführer. Der 49-Jährige war früher Büroleiter unter Bayerns Wirtschaftsminister Otto Wiesheu (CSU). Kaum einer hat bis heute direktere Drähte ins Wirtschaftsministerium. Es ist vor allem Brossardts Apparat, der effektiv arbeitet. "Auf den lasse ich nichts kommen", sagt ein CSU-Wirtschaftspolitiker. Vor wichtigen Debatten lasse man sich "gerne mit Zahlen von der VBW füttern".

Und die besorgt sich die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft mitunter aus erster Quelle. Das Wissenschaftszentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht, das mit der Ludwig-Maximilians-Universität München kooperiert, erhält Geld einer Stiftung, die von einem VBW-Mitgliedsverband mitgegründet wurde. Wenn Studien gebraucht werden, gibt man sie in Auftrag. Im "Haus der Bayerischen Wirtschaft", wie die Zentrale in der Münchner Max-Joseph-Straße heißt, hält man auch ein eigenes Fernsehstudio vor. Zu fast allen Themen hat die VBW etwas zu sagen. Sie nutzt alle Kanäle.

Wer Politik gegen die VBW macht, hat es allerdings nicht immer einfach. Erwin Huber, Wirtschaftsminister von 2005 bis 2007, hatte sich ein ums andere Mal mit der VBW angelegt. Mal waren Huber die Vorschläge der Wirtschaftslobbyisten zur Gesundheitspolitik zu radikal und unsozial. Und auch beim Kündigungsschutz wollte die Politik nicht so wie die Wirtschaft und hielt an den strengen Regeln fest. Im Rückblick hat Huber die VBW als "oft unbequem und hartnäckig" in Erinnerung.

Jubeln über Comeback

Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Die Wirtschaft in Bayern trauerte lange Otto Wiesheu nach, der zur Deutschen Bahn wechselte und bei der Vereinigung bis heute regelrecht verehrt wird. Außerdem waren die fetten Jahre vorüber, in denen Edmund Stoiber noch Wirtschaftspolitik mit den Milliarden aus Privatisierungserlösen machen konnte. Einen Tiefpunkt hatte die Zusammenarbeit mit der Landespolitik unter Ministerin Emilia Müller erreicht - sie galt in der Wirtschaft als schwache Besetzung.

Mit Schwarz-Gelb an der Regierung erlebt die VBW ein "Comeback", wie ein Präsidiumsmitglied jubelt. Die Koalition aus CSU und FDP tue Bayern gut, sagt VBW-Chef Rodenstock. Für den liberalen Wirtschaftsminister Martin Zeil hat er nur Lob übrig: "Wir stimmen in vielen Dingen überein", sagt er. An dessen Politik habe er nichts auszusetzen. "Die Chemie stimmt", sagt Minister Zeil im Gegenzug über Rodenstock.

Die Wirtschaftslobbyisten können sich derzeit zurücklehnen. Sie werden von allen Seiten hofiert. Wie der jüngst unterzeichnete Mittelstandspakt zeigt, will auch Seehofer die Unterstützung der Wirtschaft für seine Partei zurückgewinnen. Der Ministerpräsident allein wird das nicht schaffen. Die Unternehmerschaft trägt ihm noch so manche wirtschaftsfeindliche Entscheidung aus seiner Zeit in Berlin nach. Aber einer wie Karl-Theodor zu Guttenberg, der Politik-Aufsteiger aus Franken, könnte die Brückenfunktion sehr wohl ausfüllen.

© SZ vom 02.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: