Tagung in Tutzing:Arroganz der Macht und Demut der Ohnmacht

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Die CSU hat ihr Wahldebakel noch nicht verdaut. Dennoch analysieren die Parteien überraschend offen den Ausgang der Landtagswahl.

M. F. Serrao

Wer an diesem Wochenende die Akademie für Politische Bildung in Tutzing besuchte, musste aufpassen, um auf den winterglatten Fußwegen dorthin nicht auf dem Hintern zu landen. Die Angst vor einem kapitalen Sturz und dauerhaften Schmerzen - diese Angst beherrschte manche Gäste nicht nur vor, sondern auch in der Tagungsstätte.

Der ehemalige CSU-Chef Erwin Huber glaubt nicht, dass sich seine Partei rasch vom Wahldebakel erholen wird. (Foto: Foto: dpa)

Zwar war der Titel der dreitägigen Konferenz zum Ausgang der bayerischen Landtagswahl - "Zeitenwende?" - mit einem Fragezeichen versehen. Doch so wie Erwin Huber und Horst Seehofer für die CSU und Franz Maget für die SPD ihr Ergebnis kommentierten, wäre ein Ausrufezeichen wohl passender gewesen wäre.

Als erstes spricht am Freitag in Tutzing der frühere CSU-Chef Huber. Was der 62-Jährige eine halbe Stunde lang ruhig und sachlich vorträgt, ist neu. Nicht so sehr die milde Selbstkritik; die kennt man noch vom jüngsten Parteitag. Hier kommt noch eine bemerkenswerte Skepsis dazu, was die Möglichkeit einer Rückkehr zu alten Machtverhältnissen angeht.

Huber sagt, dass er nach der schweren Wahlschlappe der CSU nicht mit einer schnellen Erholung der Partei rechne, dass das Ergebnis nicht bloß ein "Betriebsunfall" gewesen sei. Der Vorwurf, die CSU habe nach ihrer langen Alleinregierung an einer "Arroganz der Macht" gelitten, habe einen "wahren Kern". Zudem habe die Partei zu wenig Junge, zu wenig Frauen und keinen Draht zu neuen sozialen Bewegungen.

Huber spricht hier vom "informellen Bürgerengagement" und meint damit vermutlich all die Dinge, die Menschen außerhalb von Partei- und Verbandsstrukturen so tun. In der CSU habe man so etwas "bislang immer etwas skeptisch gesehen".

Der zweite Redner der CSU, Ministerpräsident Horst Seehofer, verspricht den Bürgern Bayerns am Sonntagmorgen gar einen "dramatisch" anderen Politikstil, mit mehr "Dialog". Die CSU habe vor der Wahl "allzu lange nicht gemerkt, dass da etwas nicht mehr stimmt". Ihr Motto - "Näher am Menschen" - hätten die Menschen so eben nicht erlebt.

Bleiben die Wahlsieger. So denkt man zumindest - und für die selbstbewussten Vorträge von Sepp Daxenberger (Grüne), Michael Piazolo (Freie Wähler) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) trifft das in Tutzing auch zu.

Doch dann kommt noch Franz Maget. Der ehemalige Spitzenkandidat der SPD und heutige Oppositionsführer im Landtag bezeichnet das CSU-Ergebnis am Samstag naturgemäß als "Absturz". Aber was er anschließend über sich und seine Partei sagt, ist weit mehr, als dem verlorenen Prozentpunkt bei der Wahl und der von Akademiechef Heinrich Oberreuter eingeforderten "Selbstkritik" genüge täte.

Die SPD leide im Bund wie in Bayern an ihrem widersprüchlichen Umgang mit der "Agenda 2010", also an der eigenen Reformpolitik. Einerseits erkenne die Partei das, was sie da getan habe, als richtig an, sagt Maget. Andererseits sagten viele Mitglieder bis heute: "Es war unsozial." Eine Folge sei gewesen, dass die Bayern der SPD das Regieren schlicht nicht zugetraut hätten.

Maget spricht von "Skepsis, vorsichtig ausgedrückt". Zudem habe die Partei zu wenig wählbares Personal. "In der Fläche" des Freistaats gebe es "ganze Landstriche" ohne attraktive SPD-Kandidaten. Schließlich redet Maget noch über die Jugend. Bei ihr spüre er - man achte auf die Wortwahl - eine "Sehnsucht nach politischer Führung". Nur: "Mir fällt selbst nicht ein, wie man's machen soll."

Wenn es stimmt, dass die CSU bislang unter einer "Arroganz der Macht" gelitten hat, dann ist das, was Maget hier darbietet, das andere Extrem: die Demut der Ohnmacht. Ein älterer Herr, der in der Kaffeepause kopfschüttelnd in die Runde guckt, spricht von Magets "Offenbarungseid".

Bleiben die Meinungsforscher. Was sie hier berichten, ist nichts, was den "Volksparteien" Mut machen könnte. So berichtet Richard Hilmer, Geschäftsführer von Infratest dimap, dass die CSU bestimmte Bevölkerungsgruppen gar "nicht mehr erreicht". Das seien vor allem junge Frauen, besonders die gebildeten. Die CSU habe inzwischen dieselben Probleme wie die CDU, sagt er. "Jetzt sind es wirklich Schwesterparteien."

Bei der SPD bestätigt Hilmer Magets Selbstkritik: Vier von fünf Befragten stimmten der Aussage zu, dass man von der Partei zurzeit nicht wisse, in welche Richtung sie sich eigentlich entwickle.

Hilmers Kollege Helmut Jung, Leiter der Gesellschaft für Markt- und Sozialforschung, befasst sich vor allem mit dem jüngsten Wahlkampf der CSU. Dabei zeigt sich, dass das Wahlergebnis in Bayern, wie sich in Tutzing fast alle einig sind, letztlich zwar eine "nachgeholte Modernisierung" und Normalisierung war.

Aber die Wahlkampf-Poster, die Beckstein und Huber offenbar "völlig unkritisch durchgewunken haben", hatten wohl auch ihren Anteil daran, sagt Jung. Besonders laut ist das Gelächter im Saal, als der Meinungsforscher ein Plakat mit dem Titel "Familie fördern" zeigt. "Alles schön", sagt Jung: "Aber das ist keine Familie!" Zu sehen sind zehn Leute, die in einen See springen. Von hinten.

© SZ vom 15.12.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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