Bayerisches Wörterbuch:B - wie Bier

Lesezeit: 4 min

"Das schlägt dem Fass den Boden aus" - ein Spruch zum Thema Bier. Im Bayerischen Wörterbuch ist er unter dem Buchstaben B nicht zu finden. (Foto: Manfred Neubauer)

Der Gerstensaft ist den Bayern Grundnahrungsmittel und Nationalheiligtum. Das schlägt sich auch in der Sprache nieder.

Von Maximilian Gerl

Das Bairische im Bier ist gut versteckt. Wer es finden will, muss durch den Münchner Hofgarten laufen und kurz vor der Staatskanzlei rechts abbiegen und danach gleich noch mal. Dann darf man auf keinen Fall durch die Toreinfahrt in die Residenz der früheren Könige einziehen, sondern muss den vergleichsweise unspektakulären Eingang eines Nebengebäudes wählen, über dem dafür umso größere weiß-blaue Fahnen baumeln. "Ach, der Doktor Denz", sagt der Pförtner, "der ist gerade rein, gehen Sie ihm ruhig nach." Über lange Flure, in denen sich die Ölgemälde aneinanderreihen, geht es immer den unsichtbaren Spuren von Doktor Denz hinterher, bis zu seinem Arbeitszimmer, das bis unter die Decke mit kleinen Kartons vollgestellt ist und in denen alles gesammelt ist, was es zum Bier in der bairischen Sprache zu sagen gibt. "Naja", meint Doktor Denz, der an einem Schreibtisch in der Mitte des Zimmers sitzt, "letztlich ist das ein Wort wie jedes andere auch."

Die Bayern und ihr Bier sind in all den Jahrhunderten zusammengewachsen. Als Nationalgetränk besitzt es den Rang eines Grundnahrungsmittels, kein Wunder, dass es schon mal zu Revolten kam, wenn sich die Obrigkeit erdreistete, den Bierpreis anzuheben. Das bayerische Reinheitsgebot, das dieses Jahr sein 500. Jubiläum feiert, gilt als ältestes Verbraucherschutzgesetz der Welt. Der Begriff "Bayerisches Bier" ist sogar eine international eingetragene Schutzmarke und darf nur von bayerischen Brauereien verwendet werden.

Von der innigen Beziehung der Bayern zum Bier zeugen viele Ausdrücke, die Eingang in die bairische Sprache gefunden haben und aus ihr gar nicht mehr wegzudenken sind. So benötigt jedes anständige Bierzelt ein paar kräftige Ganterburschen, welche die Bierfässer vom Wagen zum Ganter wuchten. Der Ganter ist die Holzunterlage, auf der ein Fass auf bayerische Art angezapft wird, nämlich mit dem Schlegel. Den Wagen mit den Bierfässern zogen früher wohlgenährte Ochsen, weshalb man noch heute von korpulenten und trägen Personen behauptet, sie seien beinander wie ein Bräuochs. Und ein schlechtes, weil mit Wasser verdünntes Bier ist in manchen Gegenden Bayerns noch heute als Scheps bekannt. Vermutlich, weil es so schrecklich schief schmeckt.

Hier kommt der Doktor ins Spiel. Er hat den wissenschaftlichen Überblick. Seit 36 Jahren arbeitet Josef Denz an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, sein Fachbereich: Mundartforschung. Eigentlich ist Denz in Rente, aber er kommt trotzdem fast jeden Tag ins Büro. "Die Arbeit macht mir Spaß", sagt er.

Denz kümmert sich natürlich nicht nur ums Bier. In der Akademie sammeln er und seine Kollegen alle Wörter, die das Bairische zu bieten hat. Dazu verschicken sie Fragebögen an ihr Netzwerk, das mehrere Hundert Menschen umfasst und sich übers ganze Land verteilt. In den Fragebögen tragen die Sammler Begriffe aus ihrer Heimat ein und senden sie zurück nach München. Dort landen sie alphabetisch geordnet in Kartons - bis Denz und seine Kollegen sie eines Tages herausgreifen, um sie im Bayerischen Wörterbuch zu verewigen. Neun Bände soll das Lexikon mal umfassen, erschienen sind bislang zwei. Bis das gesamte bairische Sprachwissen katalogisiert ist, dauert es also noch ein bisschen. Derzeit arbeitet Denz am Buchstaben D.

Beim B wie Bier war er schon. Im Wörterbuch zeigt Denz den entsprechenden Eintrag, er ist einer der längeren. Auf zehn Seiten stehen alle Begriffe, in denen das Wort Bier vorkommt. Was sofort auffällt: Bezeichnungen für den Gerstensaft gab und gibt es in Bayern allerhand, je nach Anlass wird aus dem stinknormalen ein besonderes Bier. Etwa ein Pocherbier, das man nur am Aschermittwoch trinkt; ein Dreschbier, das es zur Belohnung nach einem Arbeitstag auf dem Feld gibt; ein Engeleinsbier, das an Kinder an Christi Himmelfahrt ausgeschenkt wird, zumindest, wenn ihre Eltern dabei sind. Die Liste ist ziemlich lang.

Neben der Aufzählung vielerlei Sorten gibt es im Wörterbuch einen Absatz mit zahlreichen Redewendungen zum Thema Bier. Manche Sprüche sind schon ausgestorben, gut zu erkennen an einem kleinen Kreuz. Die meisten existieren aber noch. Denz geht ein paar von ihnen durch. "A Griß ham wia's saure Bier", liest er vor und liefert gleich die Übersetzung: "Das heißt, jemand ist unbeliebt." Geriß ist ein alter Ausdruck für Zulauf, das mit dem sauren Bier selbsterklärend.

Mit "Etwas ist (nicht) jemands Bier" hat es auch eine der bekanntesten Bierweisheiten ins Lexikon geschafft. Andere fehlen, zum Beispiel: "Da ist Hopfen und Malz verloren." Der Spruch stammt aus der bayerischen Frühbierzeit, dem Mittelalter, in dem man noch daheim braute. Ging dabei etwas schief, konnten die beiden wichtigsten Zutaten, der Hopfen und das Malz, nicht mehr gerettet werden und waren verloren. Oder: "Das schlägt dem Fass den Boden aus." Manche Quellen sagen, der Spruch gehe auf eine Brauverordnung der Wittelsbacher zurück. Viel schöner ist eine Legende aus dem 14. Jahrhundert, der zufolge in Nürnberg Brauer schal gewordenes Bier verkaufen wollten. Den Stadtoberen gefiel das nicht. Kurzerhand verboten sie den Verkauf und ließen den Fässern sicherheitshalber den Boden ausschlagen.

Denz hat eine Erklärung, warum diese Redewendungen im Wörterbuch trotz ihrer Beliebtheit fehlen. Das Lexikon liste die Begriffe und Sprichwörter nach Wortstamm auf, "wir müssen alles nach einem wissenschaftlichen System sortieren", sagt Denz. Heißt: Nur wenn der Begriff Bier in einem Satz oder im Wortstamm fällt, taucht er im Wörterbuch auch unter Bier auf. "Da ist Hopfen und Malz verloren" wird sich also erst unter den Buchstaben H wie Hopfen und M wie Malz wiederfinden.

Denz will den Einfluss des Biers auf das Bairische nicht überbewerten. Natürlich sei der Eintrag ein bisschen länger als andere, aber, wiederholt er, "Bier ist auch nur ein Wort wie jedes andere." Er blättert weiter zum Eintrag Brot: Der ist doppelt so lang.

© SZ vom 23.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: